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Die Künstlerin Mariana Castillo Deball im Hamburger Bahnhof.

© dpa

Mariana Deball bespielt den Hamburger Bahnhof: Das Rattern im Gleisbett

2013 gewann Mariana Castillo Deball den Preis der Nationalgalerie. Jetzt bespielt sie den Hamburger Bahnhof - und erzählt in ihrer Ausstellung "Parergon" dessen Geschichte.

Man hat ihn ausgemustert. Nach etwas mehr als 30 Jahren – was wirklich kein Alter für einen Bahnhof ist. Doch das Gebäude im Berliner Norden war 1884 plötzlich nutzlos, ein Ding von gestern. Folgerichtig wurde daraus ein Museum.

Das ist die kurze Version der Geschichte vom Hamburger Bahnhof. Ungleich länger erzählt sie Mariana Castillo Deball, die 2013 den Preis der Nationalgalerie gewann und als Erste in den Genuss des neuen Reglements kommt: Statt Preisgeld gibt es nun eine Einzelausstellung. Sie habe zwischen allen Häusern der Nationalgalerie wählen dürfen, erzählt Deball. Allerdings sei ihr schnell klar gewesen, dass der zum Ausstellungsort mutierte Bahnhof das größte Potenzial für eine Arbeit birgt, wie sie typisch für die 1975 in Mexiko geborene Künstlerin sind. Man hätte es sich denken können, als letztes Jahr die vier Finalisten am selben Ort um den Preis konkurrierten. Auch dort leistete Deball ganze Recherche und schuf eine begehbare Karte, mit der die Europäer 1524 die aztekische Stadt Tenochtitlan vermaßen – ein frühes Kapitel Kolonialgeschichte. Eine Installation, visuell überwältigend, schwer zu enträtseln.

Plötzlich hört man das Rattern im Gleisbett

Das ist jetzt anders. In der historischen Halle des Bahnhofs verteilen sich die Exponate zwar großzügig. Doch sie passen auf eigenartige Weise zur Atmosphäre des Ortes. So wie der große, rostige Kessel mit zahllosen Löchern. Die grau gestrichenen Bänke mit splitternder Farbe, die gusseisernen Räder und eine Treppe aus Glaskästen voll Schotter. „Einbettung“ steht auf den Vitrinen, und plötzlich weht einen Geschichte an. Man denkt an dampfende Eisenbahnen, hört ihr Rattern im Gleisbett. Dabei sind das alles Artefakte – Reliquien aus jener Zeit, in der der Hamburger Bahnhof als Museum für Technik und Fortschritt schon das Vergangene archivierte. Die Bänke aus den Wartehallen oder jener implodierte Heizkessel, der von heute besehen auch eine stählerne Arbeit von Richard Serra sein könnte.

Deball hat sich die Vergangenheit dieser Dinge hart erarbeitet. Ihre Biografien wie auch die Exponate selbst waren über ganz Berlin verstreut – in städtischen Archiven oder Depots. Ihren Geheimnissen ist die Künstlerin dank zäher Recherche auf die Spur gekommen. „Wie eine Archäologin“ habe sie sich durch die „Ost-West-Geschichte“ bewegt, alte Aufzeichnungen gelesen und vieles zurück ans Haus gebracht. So wie die Steinskulptur, die einst einen Gebäudeflügel des Museums schmückte.

"Parergon": von der Kunst des Nebensächlichen

„Parergon“, der Titel der Ausstellung, spielt auf das scheinbar Nebensächliche der versammelten Objekte an. In der Konzentration erzählt dieses Beiwerk allerdings spannende, grausame und kuriose Geschichten. Dabei gilt Deballs Augenmerk allen Phasen, in denen der Hamburger Bahnhof seine Funktion als Museum erfüllte. In der Ausstellung hängen Hundefahrkarten deshalb neben Fotos, die von den legendären Kunstausstellungen der achtziger Jahre erzählen.

Ein Journal mit Texten der Künstlerin hilft schließlich zu verstehen, was auch die Totenmaske des Malers Max Liebermann, die ausgerechnet Arno Breker anfertigte, im Hamburger Bahnhof zu suchen hat. Es ist das vorläufige Fazit einer ewigen Odyssee, von Mariana Castillo Deball in großartige Bilder und eine wunderbare Ausstellung übersetzt. Mitten in der Halle stapeln sich alte Holztische, die einst dem Eisenbahnmuseum gehörten. „Bleibt“ steht mit weißer Kreide auf den Möbeln, die eine anonyme Hand offensichtlich vor dem Sperrmüll gerettet hat. Man kann das auch als Appell an die Gegenwart verstehen.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50/51, bis 1.3.2015, Di/Mi/Fr 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr

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