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Johnny (John Reddy) und seine jüngere Schwester Jashaun (Jashaun St. John) sind nach dem Tod des Vaters unzertrennlich.

© Mubi

Regiedebüt „Songs My Brothers Taught Me“: Das Leben ist ein Rodeo

Die Regisseurin Chloé Zhao ist dieses Jahr für sechs Oscars nominiert. Die Streamingplattform Mubi zeigt jetzt ihr Regiedebüt „Songs My Brothers Taught Me“ von 2015.

Von Andreas Busche

Mitten in der Nacht im eigenen Bett zu verbrennen, ist ein unwürdiger Tod für einen Rodeo-Cowboy. Die furchtlosen Reiter werden im Lakota-Reservat Pine Ridge in South Dakota wie Helden verehrt, viele andere Zukunftsperspektiven bleiben den meisten „Native Americans“, die in den ökonomisch abgehängten Reservaten aufwachsen, ohnehin nicht.

Diese Erfahrung muss auch der Lehrer der örtlichen Highschool machen: Als er zum Ende des Schuljahres in der Klasse nach den Berufswünschen fragt – die Kids spielen im Unterricht mit ihren „Haustieren“: Schlangen, Kakerlaken, Spinnen, Marder –, antworten die meisten von ihnen „Rodeo-Cowboy“. Einzig Aurelia (Taysha Fuller), die im lokalen Diner kellnert, sieht ihr Leben außerhalb von Pine Ridge: Sie will nach der Schule ihr Jura-Studium in Los Angeles beginnen.

„Songs My Brothers Taught Me“ beschreibt ruhig und undramatisch das Leben in einer der ärmsten Communities Amerikas. Als Chloé Zhaos Regiedebüt 2015 auf internationalen Filmfestivals lief, war dieser Blick im amerikanischen Independentkino noch eine Seltenheit – umso bemerkenswerter, da die heute 38-jährige Regisseurin in Peking geboren wurde.

Zhao, die in London aufwuchs und später in den USA Politikwissenschaften studierte, blickt mit den Augen einer Außenseiterin auf dieses abgeschottete Milieu. Ihre Herkunft lässt zumindest vermuten, dass ihr die Gemeinschaft der Lakota gerade deswegen weniger fremd erscheint als einer in den USA aufgewachsenen Regisseurin.

Chloé Zhao gilt als Oscar-Geheimfavorit

Sechs Jahre später gehört Chloé Zhao zu den hoffnungsvollsten Regisseur:innen im US-Kino. Mit ihrem dritten Spielfilm „Nomadland“ über eine Frau, die aus der Gesellschaft aussteigt und sich einer Gruppe von Menschen anschließt, die in Campingwagen durchs Land ziehen, gewann sie vergangenen Sommer in Venedig den Goldenen Löwen. Ende dieses Monats gilt der Film bei den Oscars als Geheimfavorit – inklusive einer Nominierung als bester Film sowie drei für Zhao selbst (Regie, Drehbuch, Schnitt).

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Ihr Regiedebüt ist nun auf der Arthouse-Plattform Mubi zugänglich. 2015 war Chloé Zhao noch eine Ausnahme, dieses Jahr ist sie neben Lee Isaac Chung eine von zwei Asiat:innen, die in der Regie-Kategorie nominiert sind – ein Jahr nach den vier sensationellen Oscars für Bong Joon-hos koreanische Gesellschaftssatire „Parasite“.

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„Songs My Brothers Taught Me“ unterscheidet sich formal kaum von den Nachfolgefilmen. Wie in „The Rider“ (2017) hat Zhao in der Pine Ridge Reservation mit den Menschen gedreht, die ihr ganzes Leben dort verbracht haben. Das Bewusstsein, dass solche Geschichten von der gesellschaftlichen Peripherie die Menschen selbst erzählen sollten, macht die Stärke Zhaos Filmen aus. Es ist nicht nur ein Ausweis von dokumentarischer Nähe, sondern auch von Sichtbarkeit.

Auch das Reservat ist ein Gefängnis

Der Tod des Rodeohelden schneidet durch die kleine Gemeinde, in der die Älteren ihre Traditionen pflegen – und die Jüngeren an der Drogen- und Alkoholabhängigkeit des Ortes verdienen. Carl hinterlässt neun Frauen und 25 Kinder: „Jeder ist hier mit jedem verwandt“, meint einer der Söhne einmal zu Johnny (John Reddy) – “my brother from another mother“ –, der mit seiner elfjährigen Schwester Jashaun (Jashaun St. John) und ihrer alleinerziehenden Mutter (Irene Bedard) unter einem Dach lebt. Ihr ältester Sohn (Kevin Hunter) sitzt im Gefängnis, doch für ihn macht es keinen Unterschied. Auch das Reservat lässt einen nicht mehr los.

Chloé Zhao erzählt in elegischen Bildern – Wassertürme vor Footballfeldern, die imposante Landschaft der „Badlands“, in denen schon der Naturmystiker Terrence Malick drehte – vom Zusammenhalt zerrissener Familien. Johnny will mit Aurelia nach Kalifornien, bringt es aber nicht übers Herz, seine Schwester zurückzulassen. Die ökonomische Depression ist allgegenwärtig, doch die Hoffnungslosigkeit wirkt nie überwältigend. „Songs My Brothers Taught Me“ ähnelt selbst einer filmischen Ballade. (Auf Mubi)

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