zum Hauptinhalt

Film "Somewhere": Das langsame Erwachen des Johnny Marco

In Venedig preisgekrönt: Sofia Coppola und ihr Film "Somewhere", der zweite Geniestreich nach "Lost in Translation".

Es gibt Regisseure, die sind in ihren Interviews von geradezu unheimlicher Brillanz, Atom Egoyan und Christian Petzold zum Beispiel. In der üblichen halben Stunde in einer Hotelsuite, die sie mit dem Interviewer teilen, analysieren sie das Kino und die Welt so in Grund und Boden oder in den Himmel oder sonstwohin, dass mitunter sogar das Aufnahmegerät vor lauter Begeisterung zu quietschen beginnt. Kann dann allerdings schon sein, dass ihre neuesten Filme, eigentlich Gegenstand des Gesprächs, hinter dem rhetorischen Feuerwerk verblassen.

Sofia Coppola ist das genaue Gegenteil davon. Ob bei der Pressekonferenz in Venedig nach der Premiere von „Somewhere“ oder im sogenannten Einzelinterview: Sie nimmt jede Frage bereitwillig an, lässt aber die Antwort alsbald im Ungefähren versanden. Selbstdarstellungsbedürfnis: Null. Oder eines, das jedes andere regisseursseitige Selbstdarstellungsbedürfnis auf die sanfteste Tour dekonstruiert. Kann schon sein, dass ihre Filme angesichts solcher Bescheidenheit plötzlich übergroß erscheinen.

Wie sie unlängst im Flur vor der Berliner Hotel-Suite, in der das Interview stattfinden soll, ihre Mails checkt: Man könnte sie, schlicht in Flanellhemd, T-Shirt und Jeans gekleidet, neben ihren Betreuerinnen glatt übersehen. Und dann perlt eine attitüdenfreie Begegnung dahin, deren ersehnt exklusive Ergebnisse eher im dahingesagten Celebrity-Bereich zu orten sind. Ferrari? Nein, sie fuhr mal Jaguar. Paris, wo sie das Drehbuch zu „Somewhere“ schrieb? Ja, sie besitze mit ihrem Mann noch eine Wohnung in St. Germain. Tarantino, von dem es hieß, er habe seiner Ex-Freundin den Goldenen Löwen zugeschanzt? Richtig, da war mal was, aber es war kurz, und heute hat sie nicht mal mehr seine Telefonnummer.

Wozu auch viel reden, wenn der Film jede Antwort gibt. „Somewhere“ spielt in der Glamourwelt Hollywoods, in der Sofia Coppola als Tochter des großen Francis Ford Coppola aufgewachsen ist. Deren Innenansicht, die sie behutsam nach außen wendet, ist markerschütternd unauffällig. Die Leute dort leben weder besonders exzessiv noch extrem unglücklich, sie haben nur in Sachen Geld ein paar Sorgen weniger als andere. Die Verrücktheit schlägt ihnen allenfalls in Form der Normalo-Erwartungen entgegen, etwa bei hirnrissig hysterischen Pressekonferenzen. Entwaffnendes Gegenrezept: einfach normal bleiben.

Johnny Marco ist in „Somewhere“ ein Actionstar, der seine besten Tage mit Mitte dreißig wahrscheinlich schon hinter sich hat – und er verhält sich in der Öffentlichkeit genauso low profile wie seine begnadete Erfinderin. Er hat sich für länger in einem Apartment des legendären Hotel Chateau Marmont am Sunset Boulevard eingemietet, er schläft mit durchreisenden Blondinen, die ihn auf der Terrasse einen Augenblick zu lange ansehen, und kürzlich ist er nach einer, naja, rauschenden Party auf der Treppe hingefallen und trägt nun den linken Unterarm im Gips. Kann schon sein, dass das den letzten Kick für eine leer hinzugrübelnde Midlife Crisis gibt, aber welcher Mann hat die heute nicht zwischen Mitte Zwanzig und Mitte Fünfzig.

Stephen Dorff spielt diesen LangweilerTypen so minimalistisch als einen langsam Erwachenden, dass einem vor lauter Wahrhaftigkeit schwindlig werden will. Natürlich hat dies vor allem mit Johnnys Tochter Cleo (Elle Fanning) zu tun, die ein paar Wochen lang vom Rand seiner Lebensbahn umwerfend unauffällig in die Mitte rückt. Die Mutter hat ihr Kind einfach bei ihm geparkt, weil sie sich dringend mal um sich selber kümmern will. Johnny soll sehen, wie er mit Cleo klarkommt, und sie dann ins mamaseits gebuchte Feriencamp bringen.

Man könnte sagen: Sofia Coppola hat „Lost in Translation“, ihren ersten Geniestreich von 2003 mit Bill Murray und Scarlett Johansson, noch einmal gedreht, nur näher dran an ihrem eigenen – gewesenen – Leben. Sie ist die Tochter, die den berühmten Vater zu einer Preisverleihung nach Mailand begleitet, aber sie ist auch der coole, doch keineswegs kalte Immer-noch-Promi, der alles, aber auch alles über sich ergehen lässt. In beiden Filmen erzählt sie letztlich von nichts anderem, als dass die Liebe ein bisschen zu kurz kommt meistens im Leben, und sie tut es so zart und kenntnisreich, dass es einem die Tränen in die Augen treibt.

Sofia Coppola (39), geboren in New York, ist der weibliche Regie-Star Amerikas. Filme: „The Virgin Suicides“ (1999), „Lost in Translation“ (2003) und „Marie Antoinette“ (2006).

© Stephanie Cornfield

„Lost in Translation“ steckt in dem großartig feinen, immer auf dem Staunen beharrenden Humor, mit dem Coppola die beruflichen Pflichten ihres Helden betrachtet: Damals waren es Bill Murrays legendäre Proben zum Whiskey-Werbespot, hier sind es Foto-Shootings, Sitzungen in der Maske, die Pressekonferenz und schließlich die Fernsehgala mitten in einem überkandidelt verblödeten Berlusconi-Italien. „Lost in Translation“ steckt auch im Abschiedswort des Mannes, das in „Somewhere“ der Krach von Hubschrauberrotoren halb verschluckt. Am schönsten aber ist die Parallele in einem Augenblick der Stille: Scarlett Johansson ließ den Kopf in der Tokioter Karaoke- Bar unvergesslich langsam an Bill Murrays Schulter sinken, und diesmal ist es Cleo, die – Vater und Tochter sind, todmüde, zurück aus Mailand – bei Johnny genau diese Nähe sucht.

So wenig. Und so viel. Dass man sich ab und zu davonstehlen muss aus einem durch und durch gelenkten Leben: Wer wüsste das nicht? Aber hier sieht man es, und wie – selbst wenn in diesen Auszeiten ganz und gar nichts Aufregendes passiert. Auch dass das Bewusstsein von Glück, wenn man es denn überhaupt zulässt, unweigerlich Schmerz heraufbeschwört, weil der Verlust ihm als Gefahr innewohnt: noch so eine Allerweltserkenntnis. Aber hier sieht man unmittelbar, wie lächerlich hilflos und zugleich rührend einer damit umgeht, dass er sich plötzlich selbst begreift. Johnnys Schluchzen am Telefon gegenüber der ungeeignetsten Person ist das Äußerste an – äußerem – Drama, das „Somewhere“ seinen Zuschauern zumutet, und natürlich ist es, huschhusch, wieder vorbei.

Zählt man „The Virgin Suicides“ und „Marie Antoinette“ hinzu, so sind es scheinbar eindeutig die – offenkundig versorgten, aber tief vereinsamten – weiblichen Hauptfiguren, die im Mittelpunkt von Sofia Coppolas Filmen stehen. Tatsächlich aber ist sie mindestens so sehr eine Männerfilmerin. Keine Regisseurin der Welt blickt derzeit so tief in die Männerseele, so lächelnd und so freundlich doch. In „Somewhere“ bringt sie diese doppelte Sicherheit zur Vollendung, indem sie eine dysfunktionale Vater-Tochter-Nähe behutsam repariert. Was dabei an Schönem angerichtet wird? Vieles. Und an Schlimmem? Nicht viel mehr als ein Ferrari-Getriebeschaden.

Was nach dieser erneut die Liebe umkreisenden und nun so sachte ins Ziel treffenden Geschichte im Werk der Sofia Coppola noch kommen mag: Man hätte es fragen sollen an jenem Vormittag vor dem Lunch-Break im Hotel. Was mag also noch folgen auf das so wunderbar ungefähre „Somewhere“? „Something“, hört man die Regisseurin mit ihrer sanften Stimme sagen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false