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Jürgen Kuttner in „Alles anders machen. Das kurze Leben der Ost-Taz“.

© It Works

Das kurze Leben der „Ost-Taz“: Großartige Dokumentation beim Achtung Berlin!-Festival

Für drei Monate im Jahr 1990 hatte die „Tageszeitung“ eine Ost-Ausgabe. Michael Biedowicz hat sich für die Dokumentation „Alles anders machen“ auf ihre Spuren begeben.

„Warum weiß ich das nicht? Weiß keiner, oder?“ Überrascht nimmt die Reihe großer Männer des wiedervereinigten deutschen Journalismus, darunter Giovanni di Lorenzo und Hans-Ulrich Jörges, das dicke grüne Buch mit Hammer und Sichel auf dem Einband entgegen, den Michael Biedowicz ihnen in seiner Dokumentation „Alles anders machen – Das kurze Leben der Ost-Taz“ über den Tisch reicht. Der Band versammelt alle Ausgaben des Zeitungsexperiments, das nur knapp drei Monate andauerte.

Die „Ost-Taz“, ein Ableger der damals gerade aus der Weddinger Wattstraße in die Kochstraße umgezogenen „Tageszeitung“, entstand ab Januar 1990 aus sehr unterschiedlichen Motiven. Aus Sicht der West-Redaktion dominiert die Entdeckung eines kurzlebigen Geschäftsmodells, bei dem der zentrale Zeitungsvertrieb dem Verlag die gesamte Auflage abkaufte.

Für die Ost-Redaktion wiederum war die Zeitung eine Gelegenheit, den wahnwitzig schnellen Wandel, der 1989 begonnen hatte, zu begleiten. Auch Michael Biedowicz kam 1990 als Fotoredakteur zur „Ost-Taz“. Sein Dokumentarfilm läuft am kommenden Sonntag um 14 Uhr im Rahmen des Filmfestivals „Achtung Berlin!“ im Kino Babylon Mitte.

Möglich wurde das Projekt durch ein Gespräch der West-Redaktion mit Lothar Bisky, der ab Dezember 1989 Leiter der Medien-Kommission der SED war. Nach diesem Gespräch hatte das Projekt Papier, das die damalige Parteizeitung „Neues Deutschland“ angesichts sinkender Auflagen nicht länger benötigte, konnte deren Druckerei nutzen und bezog Arbeitsräume im Parteigebäude der SED, direkt gegenüber der Volkskammer. Biskys einzige Bedingung lautete, dass die „Taz“ nicht einfach ihre Redaktion über die Grenze verlegt, sondern eine Redaktion mit DDR-Bürger:innen aufbaut.

André Meier der ehemalige Chefredaktuer der „Ost-Taz“.
André Meier der ehemalige Chefredaktuer der „Ost-Taz“.

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„Da die DDR-Redaktion autonom ist, wird Zank nicht ausbleiben können. Was will man mehr?!“, schrieb der Geschäftsführer der „Ost-Taz“ Jürgen Kuttner in der ersten Ausgabe im Februar 1990. Georgia Tornow, damalige Chefredakteurin der „Taz“, spricht davon, dass sich die Zeitung den Familienstreit, den es in beiden deutschen Gesellschaften bald eh gäbe, ins Haus geholt habe.

Für die Ost-Redaktion war Zeitungmachen weitgehend neu und am Anfang stand etwas technisches Anlernen durch die West-Kolleg:innen, die Zusicherung redaktioneller Autonomie und die Möglichkeit, ihre Ausgabe mit Texten der West-Redaktion füllen zu können. In der Realität wurden diese Text aber oftmals „eingeostet“, um ihnen den Westblick auf die Situation in der DDR auszutreiben. Innerhalb dieser Strukturen füllt die Ost-Redaktion mit rauschhaftem Fleiß Ausgabe um Ausgabe.

Schnell zeigte sich, dass die Auffassungen darüber, was die „Ost-taz“ sein sollte, zwischen den Redaktionen weit auseinander gingen. Die „Taz“ hätte gern eine Zeitung der Opposition gehabt, die „Ost-Taz“ hingegen wollte sich von Weltbildern und Schubladen über „die DDR“ befreien. Zum zentralen Streitpunkt wurde die Frage, ob eine Liste mit Immobilienobjekten der Staatssicherheit veröffentlicht werden solle.

An diesem Punkt konvergierten all die Konfliktlinien, die sich angestaut hatten: über den Umgang mit den Repressionen in der DDR und die Rolle der Stasi, die Frage der Deutungshoheit über die DDR und das Verhältnis der beiden Redaktionen. Einige „Taz“-Mitarbeiter:innen entschieden die Frage schließlich im Alleingang, als sie einen Sonderdruck mit der Liste medienwirksam auf dem Alexanderplatz verteilten.

Biedowicz’ formal sehr klassische Fernsehdokumentation mit vielen Talking Heads und etwas Archivmaterial ist grandios, auch weil ein Teil jener Fragen zum Umgang mit der DDR, ihrer Abwicklung und zu den transformativen Baseballschlägerjahren die wiedervereinigten Debatten bis heute begleiten. Nicht wenige West-Linke kennen sich eben, wie der Redakteur der „ost-taz“ Dirk Branke einmal sagt, bis heute in Kathmandu besser aus als in Dresden. Oder wie Jürgen Kuttner es gewohnt knackig formuliert: „Wenn irgendwo Einheit stattgefunden hat, dann eigentlich immer im Osten.“

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