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Der Astrologe. Kupferstich von Giulio Campagnola.

© bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Volker-H. Schneider

Das Kupferstichkabinett in der Gemäldegalerie: Hüftschwung und Wellenschlag

Von Mantegna bis Tizian: Eine kleine, feine Ausstellung erinnert an den großen Grafikliebhaber Paul James Kristeller.

Der schöne Apoll schiebt lasziv die Hüfte zur Seite. Herb und hager dagegen gibt sich Johannes der Täufer, ein nachdenklicher Büßer in verträumter Landschaft. Den einen stach Marcantonio Raimondi in Kupfer, den anderen der Venezianer Giulio Campagnola. Beide Blätter faszinierten den jungen Kunsthistoriker Paul James Kristeller. 1889 trat er seinen Dienst als Volontär im Berliner Kupferstichkabinett an. Was er dort an Preziosen der frühen italienischen Druckgrafik in die Hand bekam, prägte seine wissenschaftliche Neugier nachhaltig.

In seinem Sehnsuchtsland Italien setzte der emsige Forscher später seine ganze Akribie und Leidenschaft daran, die dortigen Grafiksammlungen in Bologna, Rom und Parma gründlich neu zu strukturieren und wissenschaftlich zu erschließen: nach Berliner Vorbild. Nicht immer mit Erfolg. Frustriert kündigte Kristeller 1898 und kam nach Deutschland zurück. Heute ist er vergessen.

Eine Ausstellung im Kabinett der Gemäldegalerie beleuchtet, was ihn antrieb. Mit Stichen von Mantegna, Jacopo de Barbari, nach Tizian und Zeitgenossen wartet sie auf. Nebenbei erzählt sie von den Mühen und Praktiken des Bewahrens und Erforschens in einem Kupferstichkabinett, ob in Berlin oder Rom. In rotes Leder mit Goldprägung gebunden stehen zwei der wuchtigen, buchartigen Grafikkästen neben Stempeln und vergilbten Karteikarten. Ein Farbdruck der Jahrhundertwende zeigt die Requisiten im Lesesaal des Berliner Kupferstichkabinetts in Aktion. Auch Damen jüngeren oder vorgerückten Alters beugen sich konzentriert über die vorgelegten Blätter. Es herrscht reger Betrieb, anders als heute in Coronazeiten.

Das Prachtstück unter den etwa zwei Dutzend gezeigten Werken ist Andrea Mantegnas großformatiger „Kampf der Seegötter“. Über den Pionier des italienischen Kupferstichs schrieb Kristeller ein Buch. Die bärtigen Muskelmänner Mantegnas reiten auf Meeresdrachen durch kunstvoll strudelnde Wogen, während hinten eine ausgemergelte Personifikation des Geizes erscheint. Neptun mit seinem Dreizack zeigt uns den Po.

Was das alles bedeutet? Über den Sinn rätseln Forscher bis heute, vielleicht war das Blatt als intellektuelle Anregung fürs Humanistenpublikum gedacht. Kaum briefmarkengroß sind die Niello-Drucke, noch so ein Spezialgebiet. Für sie hatte Kristeller eine besondere Schwäche. Es sind Probeabzüge von winzigen Gravierungen auf kostbar verzierten Metallobjekten. Neun der teils figurenreichen Szenen davon passen in ein einziges Passepartout. Lupe mitbringen! Wer hier Freude haben will, braucht Sinn für Reize, die sich nicht auf Anhieb erschließen.

1931 schrieb der Kunsthistoriker Max J. Friedländer seinem Kollegen einen Nachruf : „Paul Kristeller ist am 2. Oktober aus einer Welt geschieden, an der er viel auszusetzen hatte, und aus einer Zeit, die ihm ganz und gar nicht gefiel.“ Der Ausstellungstitel wendet es mit Kristellers Worten ins Positive: „Mich tröstet die Liebe zur Kunst“. Elke Linda Buchholz

Das Kupferstichkabinett in der Gemäldegalerie, Kulturforum; bis 11. 10.; Di bis Fr 10 – 18 Uhr, Sa / So 11 – 18 Uhr

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