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DENKEN: Das Fremde und das Eigene

Für den Philosophen Immanuel Kant gab es genau vier Fragen, die sich ernsthaft denkende Menschen stellen müssen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun?

Für den Philosophen Immanuel Kant gab es genau vier Fragen, die sich ernsthaft denkende Menschen stellen müssen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Und: Was ist der Mensch? Wir beantworten sie, nicht immer ganz ernst gemeint, mit dem Hinweis auf eine besonders empfehlenswerte Veranstaltung im Vortrags-, Lesungs- und Debattendickicht Berlins – und den Menschen, der dahinter steht.

Was kann ich wissen?

Die Mosse Lectures widmen sich Europa im Blick der „Anderen“. Denn das, was „Europa“ sein will, hat sich immer auch in Abgrenzung zum „nicht-europäischen Anderen“ gebildet – und sich dabei gerne als Maßstab genommen, an denen es fremde Kulturen gemessen hat. Gegen diese Tradition des Vergleichens, Kontrastierens und Ausschließens setzen die Veranstalter auf die wechselseitigen Interessen und Zukunftsprojekte „europäischer“ und „fremder“ Kulturen. Hier muss natürlich erst mal gefragt werden, wie „die Anderen“ Europa sehen und verstehen. Eine Antwort liefert Gayatri Spivak in ihrem Vortrag „Europa?“ – nicht. Der Titel signalisiert bereits, dass Spivak den „Anspruch auf ein Kontinentaleuropa, den dieses winzige nordwestliche Kap des riesigen Eurasischen Kontinents stellt“ für unangemessen hält. Schon die europäische Verfassung habe eine „multikulturelle Kontinentalgemeinschaft“ konstruiert, die einzig dazu gedient habe, deren „ökonomische Zweckdienlichkeit“ zu verschleiern. Und aktuell sei Europa „nichts anderes als eine Ansammlung von Kredit- und Schuldnerstaaten unter der Aufsicht Deutschlands“.

Was soll ich tun?

Am Donnerstag um 19 Uhr mit Spivak die Blickrichtung ändern und sich mit den „Rändern“ Europas beschäftigen (Humboldt-Universität, Unter den Linden 6).

Was darf ich hoffen?

Spivak ist keine Theoretikerin, die sich mit Halbheiten aufhält. Wir dürfen also davon ausgehen, dass es Europa gar nicht gibt.

Was ist der Mensch?

Gefragt, wie sie sich sehe, zitiert die 1942 in Kalkutta geborene, nun an der Columbia University lehrende Spivak zunächst den Autor Salman Rushdie und die Zeitschrift „India Today“: In den „Satanischen Versen“ erscheint die Wissenschaftlerin, deren Arbeiten die Postcolonial Studies mitbegründeten, als „thin bengali woman with a crew cut who talked non stop about Kant“, die Zeitschrift schimpfte sie einen „boring sermoniser“. Doch eigentlich sei sie ein „classroom teacher“: Das klingt ein wenig kokett für jemanden, der letztes Jahr den Kyoto Prize erhielt, ist aber ernst gemeint: Das Preisgeld – 630 000 Dollar – steckte Spivak in die von ihr gegründeten Grundschulen, die sie seit 1986 in West Bengalen finanziert. Elke Brüns

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