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Gefangen. „Blind Runner“ von Amir Reza Koohestani.

© Berliner Festspiel

Das Festival „Performing Exiles“: Die Würde ist antastbar, fast überall

Wie hält man es in der Fremde aus? Und verlässt man je sein Land wirklich? Theater von iranischen und arabischen Künstlern in Berlin.

Die Geschichten sind hart, und sie werden mit einfachen Mitteln erzählt. Sie nehmen den direkten Weg zum Publikum. Bei den „Performing Exiles“ geht es um Menschenwürde. Selten in letzter Zeit war Theater so direkt erfahrbar.

„Berlin ist nach fast 100 Jahren wieder zu einer Hauptstadt der Exilierten geworden“, sagt Matthias Lilienthal, der dieses Programm für die Berliner Festspiele organisiert hat, zusammen mit dem aus Beirut stammenden Regisseur Rabih Mroué. Hier sind Künstlerinnen und Künstler eingeladen, „die aufgrund politischer Unterdrückung, bedrohlicher Lebensumstände, Überwachung, Zensur oder fehlender Zukunftsaussichten unter zumeist schwierigen Bedingungen ihre Herkunftsländer verlassen haben. Ihre Erfahrungen, Perspektiven und Sehnsüchte treffen in der Metropole aufeinander und prägen das kulturelle Leben der Stadt.“

Aber diese Stimmen müssen auch erst einmal hörbar werden. Das schaffen die „Performing Exiles“. Und die vollen Säle sprechen für sich. „Blind Runner“, die neue Produktion von Amir Reza Koohestani und der Mehr Theatre Group, ist ein Zweipersonenstück. Der Regisseur und Autor Koohestani stammt aus Iran und arbeitet seit Jahren in Europa. Im Haus der Festspiele entfaltet sich ein schier auswegloses Drama, dem man sich nicht entziehen kann.

Der endlose Lauf

Eine junge Frau sitzt im Gefängnis, Opfer des Mullah-Regimes. Bei den kurzen Besuchen des Mannes, die dem Ehepaar unter Bewachung schnell zur Qual werden, reden sie atemlos aneinander vorbei. Sie waren draußen Langstreckenläufer. Vor ihnen, vor ihrem Land und seinen Menschen liegt ein Marathon, an dessen Ende vielleicht einmal die Freiheit steht.

Es ist wenig Licht auf der Bühne. Ainaz Azarhoush und Mohammed Reza Hosseinzadeh laufen weiter, auf engstem Raum, getrennt voneinander. Die Distanz, die sich in den immer kühleren Dialogen gegen ihren Willen aufbaut, schmerzt ungeheuer. Sie haben einen tollkühnen, lebensgefährlichen Plan. Sie wollen protestieren gegen die Indolenz der europäischen Regierungen. Und das richtet sich auch gegen deren Asylpraxis.

Ketzergeschichten aus dem Libanon

„Blind Runner“, eine Koproduktion von Festivals in Brüssel, Athen, Paris und Mailand, verdichtet das Politische und das Private, das systematisch zerstört wird, in einer ungeheuren Stunde. Haben wir die Menschen und die Menschenrechte in Iran, die Verhaftungen und Hinrichtungen, nicht schon wieder aus dem Blick verloren? Und was kümmert uns die Lage im Libanon?

Auch das neue Stück von Lina Majdalanie und Rabih Mroué verdankt sich einer europäischen Koproduktion. „Hartaqat“ (Heresies): Also dreht es sich um Ketzergeschichten. Oder doch nur Biografien, die nicht in das politische, religiöse und familiäre Muster im Libanon passen. Dieses Storytelling berichtet von Gefängnissen der Tradition. Es baut sich eine Trilogie schmerzhafter Erinnerungen auf.

Musik der Seele

Wieder eine fast leere Spielfläche, mit Stühlen und einem Kontrabass. Raed Yassin produziert mit dem Instrument eine Palette schriller, verstörender Geräusche. Musik einer gequälten Seele, die sich wehrt. Er erzählt von der Großmutter im Palästinenserlager, die ihren Mann verliert und für die Mörder arbeiten muss. Sie hat Liebhaber, sie schuftet für ihre Kinder, ihre Umgebung zerreißt sich das Maul über sie. Mit bösem Klatsch wird ihr Stolz quittiert, ihre Lebenslust ist ein Skandal.

Auch im zweiten Teil der „Häresien“ spielt die Großmutter eine entscheidende Rolle. Souhaib Ayoub lebt in Paris. Seine Heimatstadt Tripoli, im Norden des Libain gelegen, kann der doch nie ganz verlassen. Ein Seidenkleid der alten Frau hat einst sein Leben verändert. Ihm wurde klar, dass er schwul ist. Auf den Straßen wird geschossen, bekriegen sich die ethnischen und religiösen Feinde, während der junge Mann mit einem Salafisten im Bett liegt. Die Scham überwinden, immer wieder. Es ist erstaunlich, wie die Performer hier ihren Humor nicht verlieren.

Das Schlussstück greift weit aus. Lina Majdalanie trägt einen Text von Bilal Khbeiz vor. Der libanesische Künstler und Schriftsteller reflektiert über die Schwierigkeit, in einer anderen Kultur überhaupt anzukommen. Vielleicht sei das ja im Grunde unmöglich. Im Hintergrund läuft in einem Video von Rabih Mroué eine Collage des Schreckens. Es ist die libanesische, die globale Apokalypse. Soldaten, Kriegsmaschinen, zerstörte Städte, verbrannte Erde in einer endlosen Sequenz.

Wie viel Empathie vermag man aufzubringen? Wie weit reicht die Aufmerksamkeit, das Aufnahmevermögen? Gibt es eine Hierarchie der Leidenden, über die man sich gar nicht im Klaren ist? Bei „Performing Exiles“ stellen sich solche Fragen. Und anders als beim Theatertreffen im Mai stehen sie nicht am Rand, sondern im Mittelpunkt. Ein starker Impuls für die Berliner Festspiele.

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