zum Hauptinhalt
Spielt eine Schauspielerin. Helena Howard als Madeline.

© Ashley Connor

„Madeline’s Madeline“ im Forum: Das Chaos und seine Ordnung

Umfassende Destabilisierung: des Bildes, der Erzählperspektive und der filmischen Wirklichkeit. Josephine Deckers „Madeline’s Madeline“ im Forum.

Wenn Madeline (Helena Howard) auf der Bühne die Identität einer anderen Figur annimmt, verwandelt sie sich ihr auf fast schon unheimliche Weise an. Sie ist dann wirklich Katze, Schildkröte, ängstliche Schwangere oder auch die eigene überprotektive Mutter. „Du bist keine Katze. Du bist in einer Katze“ weist sie am Anfang von Josephine Deckers Films „Madeline's Madeline“ eine Stimme an, deren Herkunft unklar bleibt (Ihre eigene? Die des Tiers?). Die Katzenperformance jedenfalls verfehlt ihre Wirkung nicht. Evangeline (Molly Parker), die hochambitionierte Leiterin des Theaterworkshops, ist von Madelines Ausnahmebegabung geradezu angefixt. Sie will mehr von ihr.

Außerhalb des vermeintlichen Schutzraums der Bühne aber wirken die Rollenspiele des Teenagers mitunter psychisch grenzwertig. Als Madeline plötzlich maunzt, sich auf die Kommode legt und am Couchtisch herumscharrt, zeichnet sich auf dem Gesicht ihrer Mutter (Miranda July in einer schön untypischen Rolle) ein Gemisch aus Verlegenheit, verkrampfter Heiterkeit und Panik ab. Nach einigem Zögern lässt sie sich wie ein unsicheres kleines Mädchen in das „Theater“ der Tochter zwingen: Sie krault der schnurrenden Katze den Bauch. Nicht selten ist das Schauspiel in diesem Film auch ein Machtspiel.

„In jedem Chaos gibt es einen Kosmos. In jeder Unordnung eine geheime Ordnung“, sinniert Evangeline einmal, als ihr bei dem Versuch, Madelines psychotisches Potential für die Theaterarbeit abzuschöpfen, die Kontrolle über das Mädchen abhanden zu kommen droht.

Helena Howard überwältigt

In „Madeline's Madeline“ bleibt diese Ordnung, wenn es sie denn gibt, geheim. Und auch das Chaos bleibt Chaos. Mehr noch als in den beiden Vorgängerwerken „Butter on the Latch“ (2013) und „Thou Wast Mild and Lovely“ (2014) arbeitet die US-amerikanische Filmemacherin Josephine Decker in ihrem dritten Spielfilm an einer umfassenden Destabilisierung: des Bildes, der Erzählperspektive, auch der filmischen Wirklichkeit. Die Kamera der Bildgestalterin Ashley Connor sucht, versucht zu greifen, findet keinen Halt. Sie kippt in schräge Winkel, taumelt und verliert sich in Unschärfen. Wortfetzen, Laute und Geflüster schwirren wie freie Radikale umher. Eine psychische Erkrankung wird angedeutet, dabei scheinen in Madelines Spiel mitunter so viel Treffsicherheit und Kalkül zu liegen, dass man ihr auch die Rolle der „woman under the influence“ zutrauen würde.

Dass Grenzen – zwischen Rollen, Identitäten etc. – verwischen, ist leicht über einen Film gesagt. Decker, die „Madeline's Madeline“ mit ihrer überwältigenden Hauptdarstellerin Helena Howard und einer Gruppe von Schauspielerinnen kollaborativ entwickelt hat, erforscht dieses ungesicherte Gelände jedoch mit einer ganz eigenen filmischen Grammatik. Nebenbei irritiert sie auch die Konventionen identitätspolitischer Debatten. Dass Madeline das schwarze Kind einer weißen Mutter ist, wird nicht thematisiert, dabei berührt ihre Hautfarbe natürlich auf fundamentale Weise die Frage nach Identität. Als die Mutter sie einmal auf ihr Anderssein hinweist, spricht Madeline den Elefanten im Raum an: „Weil ich schwarz bin“"

21.2., 16.30 Uhr (Delphi Filmpalast),25.2., 16.30 Uhr (CineStar 8)

Esther Buss

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false