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Der Erzähler Georg Klein, Jahrgang 1953.

© Carmen Jaspersen/dpa

Georg Kleins Roman „Miakro“: Das Büro der Zukunft

Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse: Der schwarze Romantiker Georg Klein entwirft in seinem Roman „Miakro“ eine postapokalyptische Arbeitswelt.

Vielleicht muss man sich die weitere Entwicklung des digitalen Zeitalters nach dem Exitus aller Benutzeroberflächen und Displays so vorstellen: In vollkommen gleichförmigen Rundbauten und labyrinthisch strukturierten Bürogebäuden stehen dicht an dicht graumäusige Angestellte an ihren gläsernen Arbeitstischen und beobachten den „Bildfluss“, der auf ihren Monitoren in meist schemenhafter Darstellung vorüberzieht.

Eine solche Bürowaben-Gesellschaft, die Tag für Tag undefinierbaren Beschäftigungen nachgeht, ist der Schauplatz des neuen fantastischen Romans von Georg Klein. „Miakro“, wie er in der Verkoppelung der Bezeichnungen für das Hauchfein-Kleine (Mikro) und enorm Große (Makro) heißt, ist ein meisterliches Werk des Manierismus und zugleich das dunkelste, rätselvollste Buch, das Klein bisher geschrieben hat. Die perfekte Architektonik dieser düster funkelnden Zukunftswelt mag die Jury des Leipziger Buchpreises dazu bewogen haben, Georg Klein, der bereits 2010 den Preis erhalten hat, erneut zu nominieren.

Gleich zu Beginn konfrontiert uns der Autor mit den unheimlichen Ereignissen in einem nach außen hin abgeschirmten Bauwerk, das auf drei Ebenen äußerst funktionale Büros zu beherbergen scheint. Am „weichen Glas“ von Arbeitstischen sind hier Büromenschen tätig, wobei die gläsernen Tische selber als eigendynamischer Bio-Organismus zu funktionieren scheinen. Die Räume des Gebäudes werden mal als „Hohlzylinder“, mal als „negativer Kegel“ oder „Trapez“ beschrieben, was den Eindruck des Labyrinthischen noch verstärkt.

Das dystopische Setting wirft Rätsel auf

An keiner Stelle gibt der Erzähler Auskunft, welche Aufgaben die in hellblaue Overalls gekleideten Büroarbeiter haben, welchen Produktionszielen und welchen Direktiven sie folgen. Es ist eine Versammlung entindividualisierter Subjekte, die im „Mittleren Büro“ ihre Beobachtungen am „weichen Glas“ machen, sich nach getaner Arbeit im „Nährflur“ verköstigen und in ihre ovalen Schlafkojen kriechen, um nach ein paar Stunden ihr Tagwerk wiederaufzunehmen.

Das dystopische Setting wirft Rätsel auf, die sich im Verlauf des Romans vermehren. So bleibt unklar, wieso die offenbar von namenlosen Mächten kontrollierten Kontoristen in ihre Bürowelt eingeschlossen sind, die sie von der „wilden Welt“ trennen, in der vor allem Frauen das „Volk“ bilden. Eine aufschlussreiche Störung im Getriebe bringt erst der Entschluss von fünf „Ausgesandten“, ihren Bürokomplex zu verlassen und sich auf die Suche nach einem Kollegen zu begeben, der auf unappetitliche Weise von einer „bleichen Wand“ des Büros aufgesaugt wurde. Solche subtilen Inszenierungen morbider Szenen und greller Horrorbilder sind seit je die Domäne des Fantastikers Georg Klein, der jedes psychologisierende Erzählen verweigert.

In der Mitte des Romans vollzieht sich ein Perspektivenwechsel: Die Innenschau des Büros, in dem sich die Männer auf aussichtslosem Irrgang befinden, wird von einer Außenperspektive abgelöst, in dem ein weiblicher „Fachleutnant“, die „Naturkontrollagentin“ mit dem hübschen Kunstnamen Xazy das Sagen bekommt. Nun erweist es sich, dass der hermetische Bürokomplex von einem militärischen Kommando belagert wird, das sich Zugang zu dem unheimlichen Gebäude verschaffen will.

Kleins Beschreibungsgenauigkeit ist einzigartig

Die Raffinesse dieses Kunstgriffs besteht darin, dass die Grenzen zwischen der Innenwelt des Büros und der Außenwelt der das Gebäude observierenden Soldaten aufgehoben werden. Hatte man in der ersten Romanhälfte mit den sehr reduzierten Tätigkeiten der Büromenschen Nettler, Schiller, Guler, Axler und Blenker Bekanntschaft gemacht, so offenbart nun der zweite Teil die vergeblichen Aktionen des Belagerungskommandos, dessen Infiltrationsversuche komplett scheitern.

Es wird offenkundig, dass sich die Akteure des Romans in einer kulturell regredierten, postapokalyptischen Welt befinden, in der etwa die Fortbildung auf einem „Lichtraddampfer“ nicht als beglückende Erweiterung des Lebenshorizonts erfahren wird, sondern als Austreibung des alten Alltagswissens. So können sich die rastlos Suchenden nur noch schemenhaft an die Bezeichnungen für die Dinge des alltäglichen Lebens erinnern. Die alte Welt ist implodiert, die neue Bürowelt erlaubt nur noch die Regression.

Die hilflosen Helden dieses Romans irren im Kreis herum, arbeiten sich an „Materialschächten“ und defekten Fahrstuhlkabinen ab, um schließlich vollends die Richtung und das Ziel aus den Augen zu verlieren. Georg Klein reiht eine dicht geknüpfte Folge unerhörter Ereignisse aneinander, wobei die Szenen in einer Beschreibungsgenauigkeit geschildert sind, die einzigartig ist in der Gegenwartsliteratur. Wieder einmal hat der Autor den ihm vertrauten Fundus der Fantasy- und Science-Fiction-Literatur geplündert und reanimiert seine bekannte Passion für Schockeffekte und Ekelbilder.

Sorgfältig geflochtene Satzperioden

Die Riesenboviste etwa, denen sich Hauptmann Blank in „Miakro“ gegenübersieht, sind Nachkommen der monströsen Pilze in Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“, die gefräßigen Goldkarpfen sind Wiedergänger aus Science-Fiction-Schmökern von Hans Dominik. In 45 kurzen Kapiteln, die sich mit schrägen Titeln wie „Schlafwurzelkittel“, „Sonnenblumenbrummen“ oder „Zeitspeckschwinden“ schmücken, führt uns Klein durch ein Kaleidoskop vielfach verspiegelter Szenen.

In die Beschreibung eines Gewächses, das sich um das Bein eines Akteurs windet, hat Klein dabei seine „Knüpftechnik“ eingezeichnet: „In einem mehrfach verdrehten Bogen schwingt er sich nach oben und findet andere seiner Art, kreuzt sich mit ähnlich schlanken und rührt, wie festgewachsen, an armdicke, fettige Stränge, löst sich wieder von diesen, um endlich in einem fast schenkelstarken Querstrang aufzugehen, der sich, bevor er sich im Dunst verliert, erneut zu drei Ausläufern zerspaltet, die sich ebenso gut als seine Zubringer verstehen lassen, weil es in diesem vielsinnig wirren Netz offenbar keine Regeln gibt, die das Feine verlässlich nach unten streben ließen, während dem Verdickten und knotig Angeschwollenen ein höherer Standort zugewiesen wurde.“

Mit solchen sorgfältig geflochtenen, vielfach sich verzweigenden Satzperioden präsentiert Georg Klein einen „Bildfluss“, der sich um profane Handlungslogik nicht schert. Man darf diesen Roman mit der Fesselung seiner Protagonisten an den „Bildfluss“ mehr oder weniger trüber Displays als Persiflage zur Selbstauslieferung ans Zeitalter der digitalen Überreizungen lesen.

Georg Klein: Miakro. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2018. 336 Seiten, 24 €.

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