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Blech und Spannung. Von den Fünfzigern bis in die Achtziger waren die Leinwände mit Parkplatz äußerst beliebt.

© Doug Griffin/Getty

Das Autokino erlebt eine Renaissance: Die Rückkehr des Stiefbruders

Einst galten sie vor allem als Orte zum Knutschen und B-Movie-Schauen. In Zeiten von Corona eröffnen in Ballungsräumen plötzlich neue Autokinos.

Von Andreas Busche

Die Pandemie ist auch eine Zeit des Revivals. Fast vergessene Wörter wie Ausgangssperre oder Hamsterkäufe kursierten plötzlich wieder, in den USA loben Politiker fast hundert Jahre nach dem „New Deal“ wieder die Vorzüge des Wohlfahrtsstaats, und die deutsch-französische Freundschaft, um die es zuletzt nicht zum Besten bestellt war, erlebt – wenn auch unter dem Druck einer drohenden europäischen Wirtschaftskrise – ein bescheidenes Comeback. Da passt es, dass gerade einige traditionsreiche Kulturtechniken wiederentdeckt werden, etwa das öffentliche Singen – oder Autokinos.

Das Autokino erwies sich in der Vergangenheit bereits als krisenresistent. Es hat den Tod des Rock’n’Roll in den Fünfzigern überstanden, als „Drive-in Movie Theatres“ für amerikanische Jugendliche mit Hormonstau die letzte Bastion zum Heavy Petting waren; die besten Plätze dafür befanden sich in der hintersten Reihe, der sogenannten „Love Lane“.

Das Autokino überstand sogar die Ölkrise

Hollywood hat diese Ära ikonisiert, weshalb Filme wie „American Graffiti“ und „Grease“ in Kleinstadt-Drive-ins bis heute zum festen Repertoire gehörten. Auch die Ölkrise Anfang der Siebziger, als der Vater den Familienschlitten höchstens zum sonntäglichen Waschen in die Einfahrt fuhr, haben die meisten Autokinos schadlos überdauert.

Mitten in der Coronakrise erleben sie nun ein unverhofftes Comeback. Die Bundesnetzagentur meldet, dass derzeit so viele Anträge auf Erteilung von Frequenzen für Autokinos wie nie zuvor gestellt werden. Seit Anfang März hat die Behörde 43 Rundfunkfrequenzen für Autokinos vergeben. Und seit Anfang April häufen sich die Meldungen von wieder eröffneten Autokinos und Pop-up-Autokinos auf Brachflächen am Rande der Ballungsgebiete.

In Essen, Düsseldorf und Marl gibt es einen Ansturm auf Filme wie „Lindenberg! Mach dein Ding“ und – sehr passend – „Der Junge muss an die frische Luft“. Vorführungen sind binnen weniger Stunden ausverkauft. Andere Städte wie Münster und Hatten bei Bremen ziehen bereits nach. Auch in den USA und Südkorea strömen die Menschen in die Autokinos. In Zeiten abgesagter Großveranstaltungen erscheint das Auto – gewissermaßen Selbst-Quarantäne im öffentlichen Raum – als logische Antwort auf die Anforderungen der sozialen Distanzierung.

Von einst 4000 Freiluftkinos existieren in den USA noch 305

Zugegeben, das Autokino hat schon bessere Zeiten erlebt. Von den gut 4000 Freiluftkinos, die in den Fünfzigern überall in Amerika aus dem Boden schossen, existieren heute laut der „United Drive-in Theatre Owners Association“ noch 305.

Das erste Autokino Berlins eröffnete 1965 in Siemensstadt und hielt sich bis in die frühen Achtziger, als in Deutschland der Niedergang einsetzte; auf dem Höhepunkt in den Siebzigern gab es in Westdeutschland 40 Autokinos. Mit dem Boom der Multiplexe verlor das Abenteuer, sich ohne Beinfreiheit, eingequetscht und malträtiert vom blechernen Sound aus einem Lautsprecher im Autofenster, einen zweitrangigen Actionfilm anzusehen, bald an Reiz. Und mit den explodierenden Grundstückspreisen im Stadtgebiet wurde der Unterhalt eines meist saisonal betriebenen Autokinos zunehmend kostspieliger.

Doch jetzt, wo die öffentliche Kultur lahmgelegt wurde und Filmfans merken, dass Netflix allein nicht glücklich macht, nimmt man solche Unpässlichkeiten wieder dankbar in Kauf. Runter von der Couch und hinters Lenkrad geklemmt. Auch wenn selbst der Familien-SUV nicht mit dem Komfort moderner Multiplexkinos mithalten kann, schwärmen Menschen plötzlich vom „Erlebnis Autokino“, wie Maximilian Meynigmann berichtet, der mit seinen Partnern seit Anfang April ein Autokino im nordrhein-westfälischen Marl betreibt.

Vielleicht haben die Autokinos in Zukunft wieder eine Chance

„Man muss das einmal selbst mitgemacht haben, um den Spaß zu verstehen“, erklärt er. „Viele unserer Gäste besuchen zum ersten Mal im Leben ein Autokino. Die Reaktionen in den sozialen Medien sind überwältigend.“ Er könne sich vorstellen, dass Autokinos auch nach dieser Zeit weiter im Kommen sein werden.

Ein Teil der Begeisterung ist zweifellos dem allgemeinen Lagerkoller geschuldet, doch das Comeback des Autokinos folgt auch einem vertrauten Muster, der Sehnsucht nach scheinbar aus der Zeit gefallenen Praktiken – wie dem Schreiben auf der Schreibmaschine oder dem Fermentieren.

Eine Mischung aus Nostalgie, Flucht aus der eigenen Komfortzone und dem Reiz des Besonderen. Von diesem Effekt könnten langfristig auch die Betreiber klassischer Filmtheater profitieren. Der Kinobesuch muss wieder zu einem Erlebnis werden, auch ohne Auto.

Zu „Lindenberg!“ kamen 1000 Zuschauer

„Wir wollen den Leuchtturm Kino hochhalten“, meint daher Dario Suter, der Geschäftsführer des Berliner Filmverleihs DCM, der zusammen mit dem Autokino Düsseldorf „Lindenberg!“ zurück auf die große Leinwand gebracht hat. Zur Eröffnung am 8. April kamen über 1000 Besucher, verteilt auf 500 Pkw.

Das sind Zahlen wie auf einem Rockkonzert, aber man muss die Euphorie in erster Linie als positives Signal verstehen – in einer Zeit, in der die Branche auch ohne Corona in der Krise steckt. Die Gefahr, dass viele Kinos nach der Zwangspause den Betrieb nicht wieder aufnehmen können, ist durchaus real. Suter aber bleibt optimistisch.

„Ich mache mir keine Sorgen darum, dass das Kino zurückkommen wird. Die Menschen lernen den Wert von Kultur und Medien gerade wieder zu schätzen.“

Im Grunde war es nur eine Frage der Zeit, bis auch das Kino von der „Retromanie“ erfasst wurde. Autokinos waren schon immer ein Event, wie 3-D-Filme, Geruchskino oder das Imax; keine Konkurrenz zum regulären Kinobesuch.

Ausgerechnet das Autokino spendet der Branche Trost

Weil sich die Betreiber die teuren Blockbuster selten leisten konnten, zeigte man notgedrungen B-Movies, so wurde in den sechziger Jahren der Begriff „Drive-in-Movies“ geprägt: Bikerfilme, Low-BudgetAction, Horror. Dass jetzt der ungeliebte Stiefbruder Autokino der Branche Trost spendet, ist fast eine Ironie des Schicksals.

Ob mit diesem „Eventkino“ neue Zielgruppen erschlossen werden können, ist dennoch fraglich. Für die Generation Netflix ist das Auto kein Statussymbol mehr, viele haben nicht mal einen Führerschein. Außerdem sind die Besuche im Moment an strenge Auflagen geknüpft, damit die Kinobetreiber überhaupt eine Genehmigung bekommen.

Die Autotüren müssen geschlossen bleiben

Die Türen müssen während der Vorführung geschlossen bleiben, Eintrittskarten und Snacks online bezahlt werden. Michael Brill, Geschäftsführer der Veranstaltungsagentur D.Live, die in Düsseldorf seit 20 Jahren Freiluftkinos betreibt, erzählt, dass die Stadt zunächst ein Konzept unter Berücksichtigung aller „Corona-Bestimmungen“ sehen wollte, bevor die Erlaubnis erteilt wurde.

Dabei klingt der Gedanke, die heimischen vier Wände gegen eine Blechkarosse einzutauschen, nicht unbedingt verlockend. Aber die Lust auf Kultur ist ungebrochen, vielleicht stärker als zuvor. Brill beobachtet, dass sich trotz der Kontaktsperre ein Gemeinschaftserlebnis einstellt.

Die nächste Idee: „Autokonzerte“

„Bereits das Gefühl, mit anderen Gleichgesinnten ,Auto an Auto‘ auf einem Parkplatz zu stehen, schafft in dieser ungewöhnlichen Zeit ein Gefühl von Community.“ Die Idee kommt sogar so gut an, dass bereits erste „Autokonzerte“ geplant sind: Am 23. und 24. April hat der Rapper Alligatoah in Düsseldorf zwei Auftritte, der Livesound wird über die eigens reservierte Radiofrequenz direkt in die Autos übertragen.

Von den Einnahmen dieser „Autoimmun“-Veranstaltungen geht ein Solidarbeitrag an lokale Kultureinrichtungen, darunter die Düsseldorfer Filmkunsttheater. Das Autokino geht in der Krise mit gutem Beispiel voran.

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