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Beim Verladen der Hilfsgüter im Logistikzentrum des Technischen Hilfswerks in Hilden.

© Eva Götting

Hilfe zur Selbsthilfe in der Ukraine: Präsidentin des Deutschen Archäologischen Institut fordert mehr Unterstützung

Putin will die kulturelle Identität der Ukrainer zerstören. Umso wichtiger ist der Beistand beim Wiederaufbau bombardierter Museen und Kirchen.

513 beschädigte oder zerstörte Objekte und Einrichtungen, die zum kulturellen Erbe der Ukraine gehören, verzeichnet die Regierungswebsite https://culturecrimes.mkip.gov.ua seit Beginn des russischen Angriffskrieges. Angesichts des russischen Angriffs muss daran erinnert werden, dass Präsident Putin schon am 12. Juli 2021 in dem Essay „Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern“ der Ukraine das Existenzrecht als Nation abgesprochen hat.

Die Zerstörung kultureller Infrastruktur wie Museen, Theater, Kirchen, Bibliotheken und Denkmäler scheint aus dieser Sicht nur konsequent, um sein Kriegsziel zu erreichen und der Ukraine ihre Identität zu nehmen. Die Haager Konvention von 1954 verbietet genau dies und ächtet solche Zerstörungen als Kriegsverbrechen. Schon im März 2022 tauchten in den Medien Bilder beschädigter Museen und brennender freistehender Kirchen auf, ohne dass sie auch nur in der Nähe militärischer Ziele lagen.

Wir müssen gerade jetzt die ukrainischen Kollegen noch stärker unterstützen, trotz der heftigen Angriffe.

Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts

Die ukrainische Gesellschaft, aber auch die internationale Gemeinschaft haben in der Anfangsphase des Krieges schnell reagiert und Hilfsmaßnahmen in die Wege geleitet. In Deutschland schickte das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine – von Auswärtigem Amt, der Beauftragten für Kultur und Medien, dem Netzwerk der KulturGutRetter und ICOMOs ins Leben gerufen – bereits im März erste Hilfslieferungen aus deutschen Museen, anderen Kultureinrichtungen sowie den Notfallverbünden des Katastrophenschutzes in die Ukraine: säurefreie Kartons, Verpackungsmaterial, Noppenfolien, gebrauchte stabile Ausstellungskisten. Bisher wurden acht Sattelschlepper mit 35 Tonnen Material geliefert und Stipendien für geflüchtete Ukrainer vergeben, allein die Stiftung Preußischer Kulturbesitz stattete zehn Wissenschaftler in Berlin damit aus.

„Viele unserer Partner in der Ukraine wollten aber gar nicht ausreisen, sondern in ihrer Heimat aktiv daran arbeiten, ihr Kulturgut zu sichern“, erzählt Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Berlin. „Wir arbeiten seit Jahren vertrauensvoll mit den ukrainischen Kollegen zusammen und haben ihnen daher Stipendien gegeben, um ihre Arbeit vor Ort fortsetzen zu können – das ist Hilfe zur Selbsthilfe.“

Das Logistikzentrum des Technischen Hilfswerk in Hilden mit Hilfsmaterial für die ukrainischen Museen.

© Eva Götting

Viele Hilfsmaßnahmen laufen über persönliche Kontakte. Die ersten Stipendien kamen von der Hasso Plattner Foundation und dem DAI. Außerdem wurden Online-Schulungen für ukrainische Denkmalpfleger angeboten. „Wir müssen gerade jetzt die ukrainischen Kollegen noch stärker unterstützen, trotz der heftigen Angriffe“, sagt Fless. Es werde derzeit viel über den Wiederaufbau geredet, dabei drohe jedoch die kulturelle Komponente aus dem Blick zu geraten. „Auch die kulturelle Infrastruktur ist lebensnotwendig für die Ukrainer“, betont sie.

„Bei allen Überlegungen zu einer Art Marshall-Plan, wie jetzt durch die Expertenkonferenz zum Wiederaufbau, muss unbedingt auch die kulturelle Infrastruktur berücksichtigt werden“, sagt Fless. Den ukrainischen Partnern sei es ein Anliegen, dass ihnen geholfen werde.

Vor Ort engagieren sich Wissenschaftler, Museumsleute, Bürger

„Sie wollen unbedingt etwas machen und setzen sich im größten Chaos dafür ein, dass in Kampfgebieten das Kulturgut geschützt wird und der Wiederaufbau später stattfinden kann.“ So wie die Armee kämpfe, engagierten sich Wissenschaftler und Museumsleute, aber auch normale Bürger mit privatem Geld für den Erhalt des Kulturguts. Den Ukrainern in solch einer Situation Hilfe auf Grund fehlender Mittel zu verwehren, sei schwierig.  

Besonders eng ist die seit 20 Jahren bestehende Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Museum der Karazin-Universität in Charkiv, das für seine Skythensammlung bekannt ist. „Es ist bewegend, wie die Kollegen auf ihre Art genauso für die Ukraine kämpfen wie die Soldaten“, erzählt Regina Uhl von der Eurasienabteilung des DAI in Berlin. Die Kollegen hätten bei einem Wassereinbruch durch die Bombardierung im Museumskeller übernachtet, um Objekte und Dokumente trotz des Beschusses  vor dem eindringenden Wasser in Sicherheit zu bringen. 

Ein anderer Museumsmitarbeiter kämpfe wiederum als Soldat im Süden und schreibe gleichzeitig weiter Artikel über Archäologie, berichtet Regina Uhl. Die Ukraine verfügte vor dem Krieg über eine gute kulturelle Infrastruktur. Restauratoren, Denkmalpfleger und Archäologen seien gut ausgebildet, sie glaubten an ihr Projekt und verfügten über ein stabiles kulturelles Selbstbewusstsein.

Viele ukrainische Kollegen fragten jetzt nach Drohnen, um archäologische Stätten zu überfliegen und die Schäden zu kartieren. Die Beispiele zeigen, dass man bei der Diskussion um den Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur auch die kulturellen Stätten nicht aus dem Blick verlieren darf, damit Putin sein Kriegsziel der Auslöschung der Identität der Ukraine nicht erreicht.

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