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Klassischer Name. Auf Friedrich Schiller beruft sich TUI bei der Benennung des Bordtheaters.

© TUI Cruises

Entertainment auf Kreuzfahrschiffen: Da lacht der Klabautermann

Der Kreuzfahrt-Boom macht’s möglich: Jetzt gibt es auch Boulevardtheater auf hoher See.

Schon verrückt: Während am Ku’damm gerade die beiden traditionsreichen Bühnen der Familie Woelffer abgerissen werden, hat auf hoher See ein neues Boulevardtheater eröffnet. Dessen Produktionen in Berlin entstehen, im Probenzentrum von TUI Cruises in Treptow. Sieben Schiffe werden mittlerweile von hier aus mit Entertainmentprogrammen versorgt, 1500 Menschen sind übers Jahr engagiert, Sänger, Tänzer, Akrobaten und Schauspieler. Damit ist der Kreuzfahrtanbieter einer der größten Arbeitgeber der Hauptstadt im Bereich der Creative Industries. Und doch quasi unsichtbar – weil die Ergebnisse der künstlerischen Arbeit eben nicht vor Ort gezeigt werden, sondern dort, wo die Bretter, die die Welt bedeuten, aus Stahl sind.

Wer eine Kreuzfahrt macht, will verschiedene Länder sehen, ohne zwischendurch den Koffer packen zu müssen, will gut und viel essen, sich auf dem Sonnendeck entspannen – und am Abend unterhalten lassen. 1000 Plätze hat der große Saal auf den TUI-Schiffen, dazu eine technische Ausstattung vom Feinsten, einschließlich riesiger LED-Wände, auf die sich „lebendige Kulissen“ projizieren lassen, wie man das vom Friedrichstadtpalast kennt. Maximal abwechslungsreich und revuehaft sind die Shows konzipiert, deren Soundtracks mal aus Schlager-, mal aus Rockmusik bestehen oder auch aus Musical-Hits.

Für die gehobenere Unterhaltung gibt es außerdem noch eine weitere Spielstätte, das sogenannte Klanghaus, in dem sich dank einer ausgeklügelten Soundanlage jede gewünschte Akustik herstellen lässt. Wird hier Kammermusik geboten, wählt der Techniker eine Nachhallzeit, wie sie sonst in der Philharmonie herrscht. Bei Lesungen wiederum steht die einzelne Stimme im Fokus. Und für Sprechtheater wird einfach die Einstellung „Schaubühne“ gewählt. So nennt die TUI nämlich ganz keck ihre Boulevardtheater-Spielstätte auf der im Mai getauften „Neuen Mein Schiff 1“. Mit Verweis darauf, dass der Begriff vom großen Friedrich Schiller persönlich stamme.

Moralische Anstalt will die Bordbühne nicht sein

Eine moralische Anstalt, als die der Weimarer Klassiker die Schaubühne 1784 in einer Rede definierte, will die Bordbühne aber natürlich nicht sein. Denn die Erziehung des Gastes im Sinne einer Geschmacksbildung ist tabu auf Kreuzfahrtschiffen – bei Ernährungsfragen in den Restaurants ebenso wie beim Entertainment. Die Leute haben schließlich jede Menge Geld dafür bezahlt, sich hier um nichts Gedanken machen zu müssen.

Entspannung ist also angesagt in der Location, die sich als traditionelle Guckkastenbühne mit 300 Plätzen präsentiert. Im Innern dominieren helle Holzfarben und Türkistöne, es gibt sogar einen umlaufenden Rang – keine Selbstverständlichkeit auf einem hochseetauglichen Schiff, bei dem die Decks normalerweise niedrig sind und die Konstrukteure um jede nur erdenkliche Möglichkeit zum Platzsparen ringen.

Eine Art Best-Of des Boulevardtheater-Repertoires wird hier gespielt, Stücke wie „Ein seltsames Paar“ von Neil Simon, Lutz Hübners „Gretchen 89ff“ und „Funny Money“ von Ray Cooney. „Erstmals in der Geschichte der Seefahrt gibt es damit auf einem Kreuzfahrtschiff einen Ort nur für die Schauspielkunst“, sagt Thomas Schmidt-Ott, der Director Arts & Entertainment von TUI Cruises. Dass der studierte Cellist und Kulturmanager für die neue Location so renommierte Regisseure wie Philip Tiedemann, Anatol Preisler oder Thomas Schendel gewinnen konnte, zeigt, wie sehr sich das Image der Kreuzfahrtindustrie in Künstlerkreisen gewandelt hat. Galt der Gang aufs Schiff früher als sicheres Zeichen dafür, dass sich eine Karriere ihrem Spätherbst zuneigt, hat der anhaltende Boom die Branche inzwischen zu einer Jobmaschine für junge Künstler gemacht. Mit jedem neuen schwimmenden Hotelkomplex, der vom Stapel läuft, wächst auch der Bedarf an Menschen, die hier bei ihren vier- bis sechsmonatigen Einsätzen auf maximal intensive Weise Bühnenerfahrungen sammeln können.

Die Passagiere interessieren sich durchaus für Sprechtheater

Nach den Proben in der Berliner TUI- Dependence gehen die Regisseure mit den sechs Schauspielern des Bordensembles aufs Schiff, um die Produktionen dort zur Bühnenreife zu bringen. „Der Anteil an unseren Gästen, die sich für Sprechtheater interessieren, ist ungefähr genauso hoch wie an Land“, sagt Schmidt-Ott. „Er liegt bei rund 15 Prozent, was bei 3000 Personen an Bord bedeutet, dass die Aufführungen eigentlich fast immer voll sind.“

Für Kunden, die mit Hochkultur etwas fremdeln, gibt es auch noch leichteres Entertainment. Zum Beispiel eine Illusionsshow mit wechselnden Magiern oder eine ganz besondere Kinovorführung, bei der auf der Leinwand der Dick&Doof- Klassiker „Der Klaviertransport“ läuft, allerdings ohne Ton. Für Dialoge und Geräusche sorgen nämlich die Darsteller live auf der Bühne. „Das ergibt noch einmal eine ganz unerwartete Komik-Ebene“, schwärmt Thomas Schmidt- Ott. Stolz ist er auch auf die Soundeffekte der Produktion „Worte wie Sterne“: Zu Bildern aus US-Nationalparks hört man die legendäre Rede, die der Indianerhäuptling Seattle 1855 hielt, als Antwort auf das Angebot von Präsident Franklin Pierce, das Land der Duwamish für weiße Siedler zu erwerben. Während dieser Hymne auf die Natur und die Menschlichkeit wandert die Stimme des Indianers dank neuester 3D-Lautsprechertechnik förmlich um die Besucher herum.

Weil den Kreuzfahrtpassagieren das abendliche Dinner über alles geht, beginnen die Aufführungen deutlich später als auf dem Festland. Um 21.30 Uhr gehen die großen Shows los, in der Schaubühne starten sie um 20.30 Uhr – und dauern auch nie länger als pausenlose 90 Minuten. Das ist das maximale Aufmerksamkeitsspanne, die im All-Inklusive-Betrieb der „Mein Schiff“-Flotte für Kulturgenuss möglich ist – denn schließlich locken die diversen Bars anschließend noch zu einem Schlummertrunk. Oder auch zwei.

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