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Fließende Linien. Eine Sequenz aus dem Jubiläumsband der Egmont Comic Collection "90 Jahre Micky Maus".

© Disney/Egmont

Walt Disney: Runde Sache – Micky Maus wird 90

Die bekannteste Trickfilm- und Comicfigur der westlichen Welt feiert ihren 90. Geburtstag. Als Design-Ikone erlebt sie gerade eine Renaissance.

Man begegnet ihm beim Kleidungskauf und im Juwelierladen, sein Konterfei ziert Drogerieartikel, Bettwäsche und Handtaschen. Man sieht ihn in Begleitung von Heidi Klum, Katy Perry und anderen Prominenten. Und in letzter Zeit trifft man ihn auch öfter wieder am Kiosk, im Buchhandel und im Comicladen. Dabei sieht er meist so frisch und verschmitzt aus wie am ersten Tag – für einen 90-Jährigen hat sich dieser Mäuserich bemerkenswert gut gehalten.

Am 18. November 1928 hatte der kleine Kerl namens Mickey Mouse seinen ersten großen öffentlichen Auftritt in „Steamboat Willie“, einem der ersten vertonten Zeichentrickfilme, erdacht von Walt Disney und gezeichnet von seinem Jugendfreund Ub Iwerks.

Die Premiere im Colony-Theater am Broadway ist ein rauschender Erfolg. Gleich in der ersten Filmminute stürzt die kleine Hauptfigur sich in Gefechte mit einem fetten Kater, dem Kapitän des Bootes. Zu klassischer Musik fegt die Maus über das Schiff und verwandelt alles, was ihr in die Finger kommt, in wilder Spielfreude in Musikinstrumente, einschließlich einer Ente, die im Schwitzkasten zum lebenden Dudelsack wird.

Mit "Steamboat Willie", dem ersten vertonten Zeichentrickstreifen der Filmgeschichte, hatte die Maus ihr öffentliches Debüt. Die Premiere dieses Vorfilms am 18. November 1928 im New Yorker Colony Theatre - hier eine Sequenz daraus - gilt als Mickys offizielles Geburtsdatum.
Mit "Steamboat Willie", dem ersten vertonten Zeichentrickstreifen der Filmgeschichte, hatte die Maus ihr öffentliches Debüt. Die Premiere dieses Vorfilms am 18. November 1928 im New Yorker Colony Theatre - hier eine Sequenz daraus - gilt als Mickys offizielles Geburtsdatum.

© Disney

Ein Mann hat sein Medium gefunden und wird in der Folge zum unangefochtenen Meister des Trickfilms, vor allem aber der globalen Verwertungskette und des Merchandising. Innerhalb kurzer Zeit produziert Disney Dutzende weitere Kurzfilme, in denen er mit verstellt hoher Fistelstimme auch die wenigen gesprochenen Worte seiner Hauptfigur beisteuert, die man etwas später als Micky Maus auch in Deutschland kennenlernen sollte.

Ab 1929 erscheinen in einer schnell wachsenden Zahl amerikanischer Zeitungen gezeichnete Comic-Abenteuer von Micky, Kater Karlo und Goofy. Anfangs fungiert Disney auch hier als Texter und Erzähler, Ub Iwerks als Zeichner. Aber schon bald übernimmt Disney-Mitarbeiter Floyd Gottfredson diesen Job und prägt für die nächsten 45 Jahre die Zeitungsstrips von Micky Maus. Er war ein Meister des Slapsticks und des anarchischen Humors, seine Arbeiten gelten bis heute als stilprägend – allerdings kam nach ihm auch niemand mehr, der Micky und seine Welt weiter ausbaute und nachhaltig prägte wie es Carl Barks mit Mickys ewigem Konkurrenten Donald Duck tat.

5000 Maus-Produkte auf dem deutschsprachigen Markt

Auf große Erfolge als Animationsstar und Comic-Held folgten Phasen, in denen die zunehmend brav agierende Maus an Bedeutung verlor, von anderen Figuren wie dem tollpatschigen Sympathieträger Donald Duck verdrängt wurde und eine Zeitlang kaum mehr zu sein schien als das freundliche Gesicht eines global expandierenden Unterhaltungskonzerns, der mit ganz anderen Figuren und Ideen das große Geld verdiente.

Doch in jüngster Zeit erlebt die Maus eine Renaissance, vor allem als Design-Ikone. Derzeit haben alleine in Deutschland, der Schweiz und Österreich 150 Unternehmen eine Lizenz, um Micky-Maus-Produkte zu vertreiben, sagt Cornelia Runkel, Sprecherin des deutschen Ablegers der Walt Disney Company. Etwa 5000 Produkte mit der Maus drauf seien derzeit auf dem deutschsprachigen Markt. Das seien mehr als je zuvor, in dem Bereich habe es in den vergangenen Jahren ein stetiges Wachstum gegeben. So habe Disney erst vor zehn Jahren damit begonnen, sich intensiv im Modebereich zu engagieren, mit Designer- Kooperationen und Sonderkollektionen.

Aber wie erklärt sich diese Popularität im hohen Alter? Welche anderen visuellen Ideen, die vor 90 Jahren relevant waren, würden sich heute noch so gut verkaufen? „Micky Maus ist ein sehr positiver Charakter, fröhlich und selbstbewusst“, sagt die Designerin Gosia Warrink. Sie ist künstlerische Mitarbeiterin an der Universität der Künste Berlin und unterrichtet Design für Wirtschaft und Werbung. „Gerade in diesen Zeiten, wo wieder vieles aus den Fugen gerät, sehnt man sich nach Zeichen, die Optimismus ausstrahlen.“

„Nach dem Krieg fungierte Micky als Sympathieträger“

Herbert Grüner, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Kunsthochschule Berlin Weißensee, schlägt einen ähnlichen Bogen zu den Anfängen der Figur. „Micky Maus ist in Zeiten der Krise großgeworden.“ In den späten 20ern – ein Jahr nach Mickys erstem Auftritt begann die Weltwirtschaftskrise – litten viele Menschen in den USA und weltweit große Not. „Und dann kommt da diese Figur, die immer gut drauf ist und die Leute unterhält.“ Dazu passe, dass der Siegeszug der Figur in Deutschland nach dem Krieg begann, 1951 erschien hierzulande die erste Ausgabe der Zeitschrift „Micky Maus“.

„Nach dem Zweiten Weltkrieg fungierte Micky als Sympathieträger, der immer wieder aufsteht“, sagt Grüner. So gesehen könne man die Popularität der Maus 90 Jahre nach ihrer Premiere als Antwort auf die von vielen Menschen erneut als krisenhaft empfundene Gegenwart sehen. Grüner: „Wir erfreuen uns in dieser schrecklich aggressiven Welt an einer Figur, die auch in schwierigen Situationen immer der Good Guy ist.“

Unverwechselbar. Die Grundform der Maus ist zum universellen Symbol geworden.
Unverwechselbar. Die Grundform der Maus ist zum universellen Symbol geworden.

© Illustration: Disney

Dazu kommen die visuellen Elemente, die Micky Maus auszeichnen: „Die Figur hat durch ihr Design einen sehr hohen Wiedererkennungseffekt“, sagt Designerin Gosia Warrink. Die fast piktogrammhafte Reduzierung auf die großen Ohren und das runde Gesicht – im Kern besteht Micky Maus aus drei Kreisen – sowie die übergroßen Schuhe, die auf vier Finger reduzierten Hände und die beiden Hosenknöpfe sprächen die menschliche Wahrnehmung ebenso direkt an wie die Reduktion auf die prägnanten Farben Gelb, Rot, Schwarz und Weiß. Dazu kommt, so Herbert Grüner, dass neben Micky auch seine Weggefährten sowie ganz Entenhausen aus runden, weichen Linien bestehen, was ihre Anziehungskraft verstärke. „Da ist nichts Eckiges, Verletzendes.“

„Wie keine andere Bilderfindung des 20. Jahrhunderts ist Mickey Mouse Teil des Alltags geworden“, konstatiert Daniel Kothenschulte, Kurator und Dozent für Film- und Kunstgeschichte, in seiner dieser Tage erscheinenden Monografie „Walt Disney’s Mickey Mouse“ (Taschen, 496 S., 150€). Zusammen mit dem US-Animations- und Comic-Historiker David Gerstein sowie dem Filmhistoriker J. B. Kaufman führt er darin die Geschichte der Maus mit opulenten Bildstrecken und teils erstmals zu sehenden Dokumenten aus dem Disney-Archiv vor Augen.

„Großartiger Erfolg in einem rückläufigen Printmarkt“

Und auch in jener Kunstform, die für viele Menschen als die eigentliche Heimat der Micky Maus gilt, tut sich gerade etwas: dem Comic. Denn auch wenn die Figur aus dem Trickfilm kommt, dürften hierzulande große Teile des Publikums ihre Micky-Sozialisation vor allem durch das „Lustige Taschenbuch“ und das „Micky-Maus-Magazin“ erhalten haben. In diesen und verwandten Publikationen werden seit Jahrzehnten die Comicabenteuer von Micky und Co. publiziert, wiederverwertet und durch neue Geschichten ergänzt – was in Europa im Gegensatz zu den USA auch im 21. Jahrhundert eine nennenswerte Leserschaft anspricht.

Das ist in Deutschland zwar kein Millionenpublikum mehr wie in früheren Jahrzehnten, aber aktuell erleben diese Titel offenbar wieder einen Zuwachs. „Das Verkaufsniveau der beiden Haupttitel ‘Micky Maus‘ und ‘Lustiges Taschenbuch‘ (LTB) bewegt sich zwischen fünf und zehn Prozent über Vorjahr“, sagt Jörg Risken, der beim Egmont-Verlag, der in Deutschland die Disney-Comics veröffentlicht, den Magazinbereich verantwortet.

Das „Micky-Maus-Magazin“ liegt demzufolge aktuell mit durchschnittlich knapp 80.000 verkauften Exemplaren fast 5000 Exemplare über dem Vorjahresschnitt. Auch das LTB überbiete mit einem aktuellen Verkaufsschnitt von 173.000 Exemplaren das Vorjahr um mehr als 10.000 Exemplare. „In einem rückläufigen Printmarkt verbuchen wir dieses Ergebnis als großartigen Erfolg“, sagt Risken. Sein Verlag feiert das Jubiläum mit zahlreichen Sondertiteln, Micky-Maus-Tassen, einem Wandkalender und dem Lifestyle-Magazin „Micky“.

Modernisierung und Rückbesinnung. So hat sich die Figur seit 1928 zeichnerisch entwickelt. Für Komplettansicht auf das Plus-Zeichen klicken.
Modernisierung und Rückbesinnung. So hat sich die Figur seit 1928 zeichnerisch entwickelt. Für Komplettansicht auf das Plus-Zeichen klicken.

© Illustrationen:  2018 Disney

Die interessantesten Entwicklungen in dem Bereich kommen derzeit aus Frankreich: Dort sind in den vergangenen Jahren namhafte Comicautoren mit Micky- Hommage-Bänden beauftragt worden. In dieser hochwertig aufgemachten Reihe zeigen Autoren wie der Independent-Star Lewis Trondheim („Donjon“) oder Altmeister Regis Loisel („Peter Pan“), dass man auch 90 Jahre später mit der Maus noch gute Geschichten erzählen kann, die neben einer packenden Story auch visuell Überraschendes zu bieten haben.

Im besten Fall gewinnen die Comic-Alben dem alten Stoff neue Wendungen ab und führen zugleich zurück zu den Anfängen. So erzählt Loisels „Micky Maus – Café Zombo“ (Egmont Comic Collection, 80 S., 29 €), wie Micky und seine Freunde sich während der Großen Depression gegen einen Investor zur Wehr setzen, der sie aus ihrem Viertel vertreiben will, zugleich ist der Band ein großer, anarchistischer Slapstick-Spaß. Hier scheint der rebellische Geist der frühen Maus erneut auf.

Veröffentlichungen wie diese bestätigen Disney-Kenner Kothenschulte, der den andauernden Erfolg von Micky Maus so erklärt: „Seine heutige Vitalität ist das Produkt beständiger Veränderung, wobei die gegenläufigen Tendenzen von Modernisierung und Rückbesinnung in erstaunlicher Weise ineinandergreifen.“

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