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Flausen: Auf seinem Blog reflektiert Ulf Salzmann aktuelle Erlebnisse aus dem eigenen Alltag.

© www.flausen.net

Ulf Salzmann: „Mehr talentierte Menschen öffnen sich dem Comic“

Der deutsche Independent-Comic boomt, immer öfter auch gedruckt. Wir haben Comic-Macher zu dem Trend befragt - hier die Antworten von Ulf Salzmann (www.flausen.net), dessen Buch „Pillen, Ruß & Ratten“ kürzlich erschienen ist.

Tagesspiegel: Stimmt die subjektive und durch den Comic-Salon Erlangen bestärkte Beobachtung, dass es gerade in diesem Sommer besonders viele bemerkenswerte Neuerscheinungen von deutschen Zeichner/innen gibt, die man bislang meist nur aus dem Internet oder aus Anthologien kannte?
Ulf Salzmann: Neuerscheinungen im Eigenverlag von Webcomiczeichnern gab es aus meiner Sicht kontinuierlich in den letzten Jahren schon einige. Was ich in diesem Jahr bemerkenswert fand, ist die Qualität einerseits der Geschichten und andererseits der druckgrafischen Qualität der Neuerscheinungen. Eine diesbezügliche Tendenz war allerdings auch schon in den letzten Jahren ablesbar. Bisher nahm die Rezeption allerdings über die Webcomicszene hinaus davon wenig Notiz. Das scheint sich nun zu ändern. Vielleicht liegt das daran, dass die öffentliche Aufmerksamkeit an der „Graphic–Novel–Welle“ aufgrund einer gewissen Übersättigung am Markt langsam wieder etwas abnimmt und der Blick für andere Facetten der grafischen Erzählung wieder frei wird. Außerdem flossen die Energien vieler Comiczeichner zu Erlangen 2012 in die Magazine des Comic Clash, weshalb damals einfach nebenher weniger Eigenproduktionen entstanden sind.

Wie ist diese Welle zu erklären?
Insofern würde ich nicht von einer Welle sprechen. Interessant finde ich die Frage nach dem Aspekt der Qualität: Wie kommt die gestiegene erzählerische grafische Qualität zu Stande? Einerseits scheint es in Bezug auf die Qualität so zu sein, dass sich immer mehr talentierte Menschen dem Medium Comic öffnen, andererseits ermöglicht die technische Entwicklung im Bereich der Erzeugung von druckgrafischen Erzeugnissen vergleichsweise preiswert immer bessere Druckprodukte. Die differenzierte, dem Comic geöffnete, Ausbildung an Hochschulen, Fachhochschulen und auch in freien Kursen scheint ebenfalls einen positiven Einfluss auf die Entwicklung von grafischer und erzählerischer Qualität zu nehmen.

Wie unterscheidet sich aus Zeichner-Sicht eine Print- von einer Internetveröffentlichung?
Die Internetveröffentlichung hat etwas Unmittelbares. Ohne große Hürden kann jeder alles präsentieren. Durch die Leser erfährt man durch Kommentare, Likes, Retweets, Verlinkungen etc. ein unmittelbares Feedback. Es wird für eine schnelle Verbreitung und eine maximale Öffentlichkeit gesorgt. Diese Aspekte finde ich sehr wichtig. Das Internet holt quasi den Comiczeichner aus seinem „Eigenbrödel-Dasein“ in seinen vier Wänden raus in die sozialen Kontakte des Internet. Das Web bietet außerdem einige Möglichkeiten in Form und Ausdruck, welche bei Printveröffentlichungen nicht gegeben sind (z.B. Animationen, Endlosbildschirm etc.).

Hierzu empfehle ich die Lektüre der Anthologie Panik Elektro 7 – Seelenstrips, welche ich zusammen mit Johannes Kretzschmar (Beetlebum – www.blog.beetlebum.de) im Verlag Schwarzer Turm zum Comic-Salon Erlangen 2010 herausgebracht habe. Dort betrachtet Johannes das Phänomen Webcomic umfassend kurzweilig in einem feinen „Erklärbär-Comic“. Für die Druckveröffentlichung sprechen aus meiner Sicht vor allem Aspekte, wie z.B. die Haptik des Papiers, der Geruch des Druckes und das Gefühl des Umblätterns. Der Mensch ist eben doch noch kein rein virtuelles Wesen, sondern in der Gegenständlichen Welt verortet. Außerdem können mit einem gedruckten Buch immer noch Leserschichten erschlossen werden, welche sich dem Medium Internet sperren. Und das sind aus meiner Erfahrung nicht Wenige.

Ist das Internet für Zeichner wie Dich quasi der Ort zum Warmlaufen - und Print dann das eigentliche Ziel, oder sind das für Dich zwei gleichwertige, parallel nebeneinander existierende Verbreitungsformen Deiner Arbeit?

Traumatische Erinnerungen: In "Pillen, Ruß & Ratten" arbeitet Salzmann Episoden aus der eigenen Familiengeschichte auf.
Traumatische Erinnerungen: In "Pillen, Ruß & Ratten" arbeitet Salzmann Episoden aus der eigenen Familiengeschichte auf.

© Schwarzer Turm

Für mich existieren beide Verbreitungsformen parallel, wobei ich das direkte Feedback bei der Internetveröffentlichung sehr schätze. Einerseits motiviert mich das immer weiter zu machen und andererseits ist das auch ein schönes Korrektiv für die Qualität meiner Arbeiten. Ich nutze das Internet allerdings eher für die Veröffentlichung kürzerer Comicstrips. Längere Geschichten lese ich persönlich auch nicht gern am Bildschirm, weshalb ich meine eigenen längeren Geschichten auch eher im Druck veröffentliche. In diesem Fall nutze ich das Internet eher als Plattform für den Produktionsprozess zur Präsentation „Work in Process“. Das ermöglicht mir einerseits zu schauen, wie die Leser auf die Geschichte reagieren und andererseits Leserschichten für das zukünftige Buch zu begeistern.

Was sind für Dich persönlich die interessantesten aktuellen Trends im Bereich deutsche Independent-Comics?
Ein interessanter Trend, der gleichzeitig Problem und Chance ist, fällt mir in letzter Zeit vermehrt auf: Die scheinbare „Krise“ der traditionellen Comickleinverlage. Durch die mittlerweile geringen Hürden bei der Veröffentlichung und dem Vertrieb der Comics über den Zeichner direkt, scheint die Bedeutung der klassischen Verlagstätigkeit abzunehmen. Das birgt aus meiner Sicht die Chance, dass viele Erzählstoffe, die ggf. an der Hürde der Aufnahme in ein Verlagsprogramm scheitern und somit nie erscheinen würden, trotzdem auf den Markt kommen und auch ihr Publikum finden. Das erweitert das Spektrum an grafischem Ausdruck und an Erzählformen ungemein, was ich sehr begrüße. Ein Nachteil ist aus meiner Sicht, dass Produktionen im Eigenverlag eher von den klassischen Vertriebswegen abgeschnitten sind und aufgrund von Limitation in der Finanzierung eher in Kleinstauflagen erscheinen. Außerdem schätze ich persönlich den Service von Verlagen, ordentliche Lektoratsarbeit zu leisten und dem neu erschienenen Comic größere Präsentationsmöglichkeiten bereitzustellen.

Auch die professionelle Pressearbeit scheint mir ein Vorteile der Veröffentlichung über einen Verlag zu sein. Ganz persönlich beobachte ich sehr interessiert das Werk von Tim Gaedke (www.doppeltim.de) und Maximilian Hillerzeder (www.blog.hillerkiller.com), welche aus meiner Sicht sehr wunderbar inspirierende und grafisch außerordentlich ansprechende Comics machen. Solche Geschichten würde ich auch gern erzählen können ;) . Nicht umsonst hat Tim z.B. zum Comic Salon Erlangen in diesem Jahr den ICOM-Preis für den besten Kurzcomic erhalten. Auf die Entwicklung einiger neuer Kleinstverlage, wie z.B. dem JaJa-Verlag und Rotopolpress, sollte man ebenfalls ein Auge haben, da hier viele interessante Entwicklungen zu beobachten sind. Abschließend möchte ich noch sagen: Es ist schön und spannend, dass sich der Comic immer wieder neu erfindet.

Ulf Salzmans Blog www.flausen.net findet sich hier. Und sein neues Buch „Pillen, Ruß & Ratten“ gibt es hier.

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