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Zitatenspiel: Eine Seite aus der Neuauflage.

© Nona Arte

Helden-Comic: Postmoderner Übermensch

Comic-Star Alan Moore hat bisher drei Mal als Autor an „Superman“ gearbeitet. Was er noch gern mit dem Superhelden angestellt hätte, kann man jetzt in einer neuen deutschen Ausgabe des satirischen Meta-Comics „Supreme“ nachlesen.

Von den drei Superman-Geschichten, die Alan Moore zwischen 1985 und 1986 für DC verfasste, bevor er sich mit dem Verlag überwarf, sind „For The Man Who Has Everything“ und „Whatever Happened To The Man Of Tomorrow“ sicherlich die bekanntesten. Beide Erzählungen stellen einen Abgesang auf das Superman-Universum des Comic-Autors und -Herausgebers Mort Weisingers während des Silver Age dar und werden  häufig als Beispiel angeführt, wenn wahlweise auf a) Moores Brillianz oder b) die beste Superman-Geschichte aller Zeiten oder c) beides hingewiesen werden soll.

Die dritte Geschichte trägt den Titel „The Jungle Line“. Sie beinhaltet nicht nur ein Superman-Crossover mit Swamp Thing, sondern auch eine Zusammenarbeit mit Zeichner Rick Veitch. Das ist deshalb erwähnenswert, weil Veitch zu einem der zukünftigen Hauptkollaborateure Moores bei dessen Silver-Age-Hommagen wie „1963“ oder eben dem jetzt neu auf Deutsch im Verlag Nona Arte veröffentlichten „Supreme“ wurde, die ab 1993 beziehungsweise 1996 für den Verlag Image entstanden.

Tumbe Gigantomanie, dünne Inhalte

Image war eine Verlagsgründung, bei der sich 1992 einige mehr oder weniger talentierte Künstler zusammenfanden, um – entnervt von den Geschäftspraktiken der beiden Branchenriesen DC und Marvel - das Copyright an von ihnen erfundenen Figuren zu behalten. Dass Image es im Falle geistiger Eigentumsrechte selbst nicht so genau nahm und massenhaft Plagiate produzierte, änderte nichts an der rasch wachsenden Popularität des Verlages. Auch war der vorwiegend etablierte Haus-Zeichenstil von tumber Gigantomanie geprägt und wirkte extrem überdimensioniert. Egal ob es sich nun um Frauenbrüste, Männermuskeln oder Waffen handelte - alles verhielt sich proportional umgekehrt zu den dünnen Inhalten. Dies stand den stetig weiter ansteigenden Umsätzen allerdings nicht im Weg, ganz im Gegenteil. Jedoch führte die irgendwann selbst den dümmsten Fanboy ermüdende Abwesenheit von Geschichten bei dem von vielen Zeichnern und wenigen Autoren gegründeten Unternehmen zu einem Umdenken. Fortan engagierte der Verlag Gastautoren. Neben Neil Gaiman, Dave Sim und Frank Miller wurde 1993 auch Alan Moore für Todd McFarlanes „Spawn“ angeheuert. 

Koalition der Willigen: Eine von Rick Veitch gezeichnete Supreme-Seite.
Koalition der Willigen: Eine von Rick Veitch gezeichnete Supreme-Seite.

© Promo

Diese Engagements hatten zur Folge, dass Moore nach seinem „Spawn“-Gastspiel nicht nur drei Spin-Offs der McFarlane-Reihe und Jim Lees „WildC.A.T.S“ schrieb, sondern auch eine eigene Serie für den Verlag verfasste: „1963“, ein gelungener Pastiche der 1960er Marvel-Comics, welcher allerdings mit parodistischen Seitenhieben auf Stan Lees operettenhafte Selbstinszenierung als Genius Loci des „Hauses der Ideen“ nicht sparte. Mit liebevoller Hingabe an diese Ära ließ man auf billigem Papier drucken und inszenierte Fakes von redaktionellen Seiten, Leserbriefen sowie Anzeigen. Das ganze gipfelte in Interviews der beteiligten Künstler in den Rollen, die sie in diesem Comic-Universum einnahmen – nachzulesen unter www.comicon.com.

Mit Alan Moore ging es von vorne los

Die bereits erwähnte sehr großzügig ausgelegte „künstlerische Freiheit“ der Image-Kreativen kulminierte 1992 in der Rob-Liefeld-Schöpfung „Supreme“. Angelegt als ein gewalttätiger und egomanischer Superman-Abklatsch, findet sich der comic-historische Tiefpunkt dieser Figur in der „Bloodstrike“-Ausgabe Nr. 5 aus dem Jahr 1993: Bei seinem Gastauftritt vernichtete ein wildgewordener Supreme die gesamten Bloodstrike-Teammitglieder in einer bis dato im amerikanischen Superhelden-Comic selten zu sehenden Qualität der Gewaltdarstellung: Über mehrere Seiten hinweg wurden brutale Sadismen wie ausgestochene Augen und herausgerissene Gedärme detailliert dargestellt.

Mit „Supreme“-Ausgabe Nr. 41 übernahm ab 1996 Alan Moore die Regie über das bis dahin psychopathische Superman-Derivat und fing von vorn an. Unter Verwendung eines nicht unüblichen erzählerischen Kniffs ließ er die Figur seine Erinnerung einbüßen und verschob Teile des bestehenden Supreme-Universums in das so benannte Supremat. Dieses fungierte außerdem als eine Art Zwischendimension für ausgemusterte Ideen vergangener Epochen einer in diesem Fall fiktiven (oder besser gesagt: von „Superman“ übernommenen) Publikationshistorie der Figur. So baute Moore gleichzeitig ein Ideen-Reservoir für zukünftige Erzählungen zum beliebigen Einsatz auf, was dann in den folgenden Ausgaben auch ausgiebig von ihm genutzt wurde.  

Eine postmoderne Metaerzählung

Erzählerisch bewegte er sich stets auf verschiedenen Ebenen, die zusammengefasst betrachtet eine postmoderne Metaerzählung ergaben. Supremes Alter Ego, Ethan Crane, ist der Zeichner der Dazzle-Comics-Serie Omniman. Diesen Ausgangspunkt nutzte Moore, um Aussagen über die ökonomische und konzeptionelle Funktionsweise des Mediums zu treffen. Hier ist ein Beispiel aus dem zweiten Band der „Story Of The Year“ für die ironisierte und referentielle Herangehensweise: „Bei Kirbys Zigarre! Dazzle Comics wird angegriffen von einem riesigen, generischen Superschurken, der Omniman für echt hält! Woher kommen diese Typen?“ Nicht untypisch für Moore, dessen Werk generell viele Querverweise und Reminiszenzen enthält: Die Protagonisten in „Watchmen“ basierten auf den Comic-Helden des Charlton-Verlages, „The League Of Extraordinary Gentlemen“ setzte sich aus Figuren der phantastischen Literatur zusammen und „Lost Girls“ rekrutierte sein Personal in bekannten Kinderbüchern.    

Auf der nächsten Seite lesen Sie, was Alan Moores Erzählung mit Krazy Kat und Donald Duck verbindet.

Doppelschlag: Die Cover der beiden jetzt bei Nona Arte veröffentlichten Bände.
Doppelschlag: Die Cover der beiden jetzt bei Nona Arte veröffentlichten Bände.

© Nona Arte

Super, Mann: Die historischen Vorbilder der Figur sind offensichtlich.
Super, Mann: Die historischen Vorbilder der Figur sind offensichtlich.

© Nona Arte

Der Name von Ethan Cranes Love Interest, Diana Dane, ist denn auch folgerichtig nicht nur phonetisch eine Hommage an die alliterationsreiche Benennung vieler Superman-Figuren. Dass Dane Krazy-Kat-Ohrringe trägt, steht für comicgeschichtliches Bewusstsein und verweist auf die großen Liebes-Dreiecke des Mediums. Gleichzeitig dienen derartige Spannungsfelder als äußerst effektiver Story-Motor. George Herriman deklinierte dies an Hand von Krazy, Ignatz und Offissa Pupp in „Krazy Kat“ durch, die Walt-Disney-Company nutzt es bis heute in Entenhausen für Daisy, Donald und Gustav, und Lana Lang aus „Smallville“ schaute nach zahllosen Rivalitäten gegenüber Lois Lane schließlich in die Röhre.

Den historischen Werdegang des Mediums stets im Auge, graste Moore in Rückblenden so ziemlich alles ab, was auf die Entwicklung des amerikanischen Superhelden-Genres Einfluss ausübte: Unter anderem das Prä- und Post-Comic-Code-Zeitalter, die British Invasion und den Flirt zwischen High und Low Art. Zusätzlich tauchten hypertrophe Haustiere und andere Versatzstücke des Silver Age auf, die 1985 von DC mit der Maxi-Serie „Crisis On Infinite Earths“ zum Wohle einer neuen, verschlankten Kontinuität innerhalb ihres Superheldenuniversums eigentlich begraben wurden. Das alles setzte überwiegend Rick Veitch stilistisch der jeweiligen Epoche entsprechend, und mit angemessenem Zeitkolorit versehen, in Szene. Die in der Gegenwart spielenden Passagen hingegen führte in den ersten Ausgaben meist Joe Bennet im damaligen Image-Stil mit muskelstrotzenden Protagonisten aus. Mit dem Wechsel zu Chris Sprouse und Al Gordon in den später folgenden Ausgaben verbesserte sich die grafische Qualität derartiger Abschnitte erheblich. Deren erstes Mitwirken, welches im zweiten Band der deutschen Ausgabe zu finden ist, trägt im Original den schönen Titel „A Love Supreme“ – dieser Verweis auf John Coltranes bekannte Jazz-Aufnahme geht im Deutschen leider verloren.

Vom Superman-Klon zum Superman-Clown

Nach den ersten sechs Heften unter Moore entwickelte die clevere kulturgeschichtliche Spielerei, die 1997 mit einem Eisner Award ausgezeichnet wurde, allerdings redundante Tendenzen. Und was bei einem Sympathieträger mit einer über die Jahre gewachsenen Substanz und Geschichte wie Superman vielleicht noch erfrischend gewirkt hätte, funktionierte bei dem „Newcomer“ Supreme auf längerer Strecke nicht. Die fortwährende satirische Hochdosierung ließ mangels Mythos und daraus resultierender fehlender Leserbindung den Superman-Klon zusehends zum Superman-Clown degenerieren.

Abgesang auf Superman: Eine Seite aus "For The Man Who Has Everything", gezeichnet von Dave Gibbons.
Abgesang auf Superman: Eine Seite aus "For The Man Who Has Everything", gezeichnet von Dave Gibbons.

© Promo

Auch die Intention Moores, mit „1963“ und „Supreme“ den Superhelden etwas von ihrer verlorenen Unschuld wiederzugeben, zu deren Verlust er ja mit seinen „Watchmen“ 1986 nicht unerheblich beigetragen hatte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn dass diese Titel ausgerechnet bei einem Unternehmen wie Image verlegt wurden (oder wie „Supreme“ zumindest dort begannen), das in den 1990ern extrem gewalttätigen Superhelden erst zur Marktfähigkeit verhalf und sich dann ein Feigenblättchen durch das Anwerben renommierter Autoren zulegte, zeigt eine gewisse Inkonsequenz Moores. Aber irgendwie musste auch er sich finanzieren, um seine ambitionierteren und weniger kommerziellen Arbeiten zu realisieren. Vielleicht versuchte Moore unter Berücksichtigung der Tatsache, dass den Image-Figuren die Tiefgründigkeit abging, welche „Watchmen“ auszeichnete, eine Art intellektuelle Hilfestellung zu leisten. Ärger hatte er trotzdem mit dem Abschluss beider Serien – die geplanten Finale, die sich sowohl für „1963“ als auch für „Supreme“ beide schon in (Vor-)Produktion befanden, sollten nicht mehr erscheinen. Seine retrograden Phantasien verwirklichte Moore erst 1999 in wesentlich stimmigerer Eleganz - wie bereits zuvor in „1963“ - mit der Serie „Tom Strong“. Den ehemaligen „Supreme“-Zeichnern Chris Sprouse und Al Gordon gelang hier ein perfektionistischer Look, dessen klare Linienführung deutliche Anleihen beim Werk Russ Mannings machte. Mannings Arbeiten prägten populäre Comicserien wie „Tarzan“ oder „Magnus, Robot Fighter“ in den 1960er Jahren und repräsentieren für Moore vermutlich eine psychopathenfreie und somit unschuldigere Heldenära. 

Seltene Einblicke in Moores Arbeitsweise

Ein weiteres Manko der jetzt veröffentlichten deutschen „Supreme“-Ausgabe im Verlag Nona Arte ist die verminderte Qualität der Reproduktion. Immerhin wird diese ehrlicherweise per Anmerkung unter dem Impressum eingestanden. Da die Originaldruckvorlagen nicht zur Verfügung standen, übernahm man die eingescannte Version der amerikanischen Gesamtedition von Checker Book Publishing aus dem Jahre 2002. Eine weitere Checker-Ausgabe („The Return“) steht noch aus, in der dann die letzten von Alan Moore verfassten Supreme-Nummern enthalten sein sollten.

Interessanterweise erschien bereits im Jahr 2000 eine deutsche Supreme-Ausgabe beim Panini-Imprint Generation Comics, die einen wesentlich besseren Druck aufwies. Leider wurde die jetzt erstmals komplett auf Deutsch vorliegende Storyline „The Story Of The Year“ bei Panini damals nicht vollendet, mit Heftnummer 3 wurde die Reihe eingestellt. Es existierten allerdings noch eingeschweißte Komplettausgaben der Serie, die zusätzlich „Alan Moores Handbuch des Awesome-Universums“ enthielten. Hier erlaubte der britische Autor einige Einblicke in seine damalige Arbeitsweise. Als weiteren Mehrwert versammelte das Handbuch Supreme-Studien von Alex Ross, von dem auch die Cover der beiden nun vorliegenden Ausgaben stammen.

Die damalige deutsche Fassung des langjährigen Übersetzers der Panini-„X-Men“-Hefte, Jürgen Petz (unter anfänglicher Mitwirkung von Miriam Heine), wurde für die Neuausgabe bei Nona Arte durch eine von Marc-Oliver Frisch erstellte neue Version ersetzt. Frischs Variante ist akribischer ausgeführt und insgesamt näher am Original. Aber ob Supreme nun eine „eherne“  (Petz & Heine) oder eine „illustre“ (Frisch) Ikone darstellt – für die Bezeichnung „ivory icon“, wie diese im Originaltext der ersten Moore-Ausgabe lautet, ist sicherlich beides eine gelungene Interpretation. 

Wer also das anfängliche Amüsement ohne die langfristig innerhalb des Gesamtopus  auftretenden Verschleißerscheinungen auf Deutsch genießen will, ist mit dem antiquarischen Erwerb der Panini-Ausgaben, die insgesamt die ersten sechs US-Nummern Alan Moores beinhalten, recht gut beraten. Diejenigen, die seine Arbeit komplett auf Deutsch ihr Eigen nennen möchten, greifen besser zur Nona-Arte-Version und hoffen auf eine dortige Ausgabe der noch ausstehenden Hefte – mit werkgerechter Übersetzung, aber schwächerer Reproduktion. 

Alan Moore (Autor) und Joe Bennet, Rick Veitch u.a. (Zeichner): Supreme, zwei Bände à 152 bzw. 168 Seiten, je 19,50 Euro, Nona Arte. Hier geht es zur Website des Verlages.

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