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Kunst der Rede: Die Hauptfigur in „Quai d’Orsay“ ist Dominique de Villepin nachempfunden.

© Reprodukt

Politik im Comic: Im Herzen der Macht

Intrigen, Machtmanöver, hohe Diplomatie: Der Polit-Comic „Quai d’Orsay“ ist ein Bestseller in Frankreich. Jetzt ist die Graphic Novel auf Deutsch erschienen.

Die guten Entwicklungen des deutschsprachigen Comics in den letzten Jahren in allen Ehren – diese zwei Bände, die jetzt bei Reprodukt auf Deutsch zusammen in einer Hardcover-Ausgabe veröffentlicht wurden, machen deutlich, welch großen Vorsprung die französische Comic-Kultur immer noch hat, und vor allem, welch ungleich höheren kulturellen Stellenwert Comics in Frankreich haben. Würde ein Insider des deutschen Außenministeriums, der aus dem Nähkästchen plaudern wollte, das Medium Comic wählen? Vermutlich nicht. Genau dazu entschied sich aber der unter dem Pseudonym „Abel Lanzac“ schreibende ehemalige Mitarbeiter des französischen Außenministeriums (nach seiner Adresse meist Quai d’Orsay genannt), der dort eine historisch äußerst bedeutsame Periode miterlebte, nämlich die Zeit vor der amerikanischen Entscheidung, den Irak anzugreifen.

Lanzac fand für dieses Projekt in Christophe Blain („Isaak der Pirat“, „Gus“) einen kongenialen Partner. Blains Stil ist zwar nicht auf den ersten Blick meisterlich, aber er findet stets geeignete Mittel, um die Charaktere prägnant (und komisch) darzustellen, insbesondere die leicht größenwahnsinnige Dynamik des intellektuellen und energischen Ministers. Auch bild- und seitenkompositorisch gibt es zwar keine Avantgarde zu sehen, aber genug gelungene Varianz, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu binden.

Zwischen „West Wing“ und „House of Cards“

Der Protagonist (der nicht Lanzacs Alter Ego ist, denn alle Figuren sind laut seiner Aussage Kompositionen aus verschiedenen Vorbildern) wird vom Minister persönlich eingestellt und zwar nicht einfach als Redenschreiber, sondern für „Sprache“. Allein die Wortwahl des Ministers verrät an dieser Stelle viel über dessen Charakter, Weltsicht und Anspruch. Hinter Alexandre Taillard de Vorms ist unschwer der flamboyante Dominique de Villepin zu erkennen, von 2002 bis 2004 Außenminister Frankreichs und als solcher maßgeblich daran beteiligt, dass Frankreich sich vehement, wenn auch erfolglos, gegen die neokonservative Doktrin des Präemptiv-Krieges stemmte, die US-Präsident George W. Bush mit seinem Angriff des Irak 2003 ausprobierte.

Alte Bekannte: Auch Joschka Fischer hat in dem prämierten Werk einen Auftritt.
Alte Bekannte: Auch Joschka Fischer hat in dem prämierten Werk einen Auftritt.

© Reprodukt

Von einigen Kritikern wurde Lanzac distanzlose Heldenverehrung vorgeworfen, von „Le Monde“ hieß es umgekehrt, dass er sich über die bombastische Großspurigkeit des Ministers lustig gemacht hätte. Beides ist unzutreffend, die Bände zeigen respektvoll und kenntnisreich, dabei amüsant und verspielt die verrückte Arbeitswelt eines Ministeriums – im Interview vergleicht Lanzac sie mit dem Leben auf einem Schiff. Es gibt fein gesponnene Intrigen, brachiale Machtmanöver, aber auch ernsthafte Arbeit an den Reden des Ministers, Kernstück seiner Diplomatie.

Man denke sich eine Mischung der fabelhaften TV-Serien „West Wing“ (USA) und „House of Cards“ (GB), allerdings inhaltlich weniger komplex und voraussetzungsvoll als Erstere und formal weniger, nun ja, britisch als Letztere.  Denkt man an die arg formelhafte Manga-Serie „Eagle“ über den US-Wahlkampf, die japanische politisch-kulturelle Regeln an die amerikanische Realität anlegte, wird klar, dass man wohl einen Insider braucht, um glaubwürdig über den politischen Prozess eines Landes schreiben zu können.

Die Poesie der politischen Rede

Das gelingt diesem Schlüsselcomic hervorragend und so kann er bei aller Kritikwürdigkeit der französischen Außenpolitik auch zeigen, welches Glück wir Kontinentaleuropäer gelegentlich mit „unseren“ Konservativen haben. Vergleicht man zum Beispiel das Schmierentheater bei den Republikanischen Vorwahlen in den USA mit dem vielleicht prinzipienorientierten, jedenfalls aber kenntnisreichen Bemühen de Villepins, so verzeiht man ihm seine Selbstverliebtheit und großen Gesten gerne.

Schlüsselcomic: Das Cover der deutschen Ausgabe.
Schlüsselcomic: Das Cover der deutschen Ausgabe.

© Reprodukt

Übrigens  sind Lanzac und Blain nicht die einzigen, welche die Poesie in de Villepins Reden gesehen haben. Hier findet sich seine musikalisch unterlegte Rede im UN-Sicherheitsrat. De Villepin kehrt übrigens nach diversen Posten und juristischen Ärgernissen (Clearstream-Affäre) wieder in die Politik zurück. Am 11. Dezember 2011 kündigte er an, seinen Intimfeind Sarkozy in der Präsidentschaftswahl 2012 herauszufordern.

Auch Lanzac und Blain genießen nicht einfach nur den wohlverdienten Verkaufserfolg dieses Comic-Ereignisses, nein, dem Comic folgen demnächst ein Gesellschaftsspiel, ein Song und ein Film, den Bertrand Tavernier auf der Basis eines Drehbuchs der beiden verwirklichen will.

Christophe Blain/Abel Lanzac: Quai d'Orsay – Hinter den Kulissen der Macht. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock, Handlettering von Olav Korth. Reprodukt, 200 Seiten, 36 Euro.

Unser Autor Dr. Thomas Greven ist Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik, Berlin, und Privatdozent am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin. Mehr Texte von ihm zu politischen und sozialen Themen im Comic finden sich unter diesem Link. 

(Der Artikel wurde zum ersten mal im Februar auf den Tagesspiegel-Comicseiten veröffentlicht und angesichts der deutschen Ausgabe des Buches leicht aktualisiert)

Thomas Greven

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