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Einer für alle, alle für einen? Das ICOM-Wappen, gezeichnet von Ingo Stein.

© Illustration: ICOM

Update

Mehr Geld und neue Jury für ICOM-Preis: Neustart für umstrittene Comic-Auszeichnung

Vor zwei Jahren eskalierte der Streit um den ICOM-Preis zur Förderung von Independent-Comics. Nun gibt es einen Neuanfang – der provoziert erneut Kritik.

Zwei Jahre nach der Eskalation des Streits um den Independent-Comic-Preis des Interessenverbands Comic (ICOM) kündigen mehrere bekannte Akteur*innen der Comicszene einen Neustart an.

Nachdem sich der ICOM-Preis seit Mitte der 90er Jahre als Auszeichnung für Independent-Comics etabliert hatte, war im Sommer 2018 eine Auseinandersetzung um die überwiegend männliche Besetzung der Jury eskaliert. Angestoßen hatte die Debatte die ehemalige ICOM-Jurorin und Comic-Aktivistin Eve Jay.

Der Konflikt, Sexismus-Vorwürfe gegen die Initiatoren des Preises vom Interessenverband Comic sowie die Reaktion des Vorsitzenden Burkhard Ihme unter anderem im von ihm herausgegebenen „COMIC!-Jahrbuch“ führten damals zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Szene, die über Social-Media-Kanäle und besagtes Jahrbuch teilweise öffentlich ausgetragen wurden.

In der Folge schlossen sich mehrere Akteur*innen der unabhängigen deutschen Comicszene zu einer „Comic- und Manga-Interessengemeinschaft“ zusammen, die im Frühjahr 2019 erstmals den neuen GINCO Award präsentierte. Der betont inklusive Preis wurde kürzlich für dieses Jahr erneut ausgeschrieben.

Zudem wurde auch der ICOM-Preis nach dem Konflikt vor zwei Jahren vom Interessenverband Comic weiter vergeben, hier finden sich die Preisträger*innen des Jahrgangs 2019.

Der Comic-Salon steigt als Sponsor ein

Nun gibt es auch innerhalb des Interessenverbandes Comic, der 1981 als Interessenvertretung von Zeichnern und Autoren gegründet wurde, eine grundlegende Neuausrichtung des ICOM-Preises.

Initiator ist Martin Jurgeit, der seit vielen Jahren in unterschiedlichen Funktionen in der Comicszene aktiv ist. So war er Herausgeber des Fachmagazins „Comixene“ und der Zeitschrift „Comix“ und arbeitete als Ausstellungskurator.

In jüngster Zeit ist Jurgeit, der auch als Autor für die Tagesspiegel-Comicseiten schreibt, als Herausgeber des Comic-Newsletters „die neunte“, als Autor für das Fachmagazin „Buchreport“ und als Koordinator der vierteljährlich erscheinenden Comic-Bestenliste von 30 deutschsprachigen Journalist*innen in Erscheinung getreten.

Gemeinsam mit einigen Mitstreiter*innen innerhalb des Interessenverbandes Comic hat Jurgeit jetzt den ICOM-Preis neu ausgerichtet. Dafür wurde der Internationale Comic-Salon Erlangen als Partner gewonnen.

Das Festival, das alle zwei Jahre von der Stadt Erlangen veranstaltet wird, war 1984 vom Interessenverband Comic initiiert und bis 1990 auch mitveranstaltet worden.

In diesem Jahr wurde der Comic-Salon (an dem der Autor dieses Artikels als Kurator beteiligt gewesen wäre) allerdings wegen der Corona-Pandemie abgesagt – was dazu führte, dass das Organisationsteam im Erlangener Kulturamt zahlreiche Comic-Zeichner*innen auf andere Weise förderte. So wurden in den vergangenen Monaten mehr als 60 Auftragsarbeiten zum Thema „Zeich(n)en aus dem Homeoffice“ vergeben, die nach und nach auf der Website des Comic-Salons veröffentlicht wurden.

Und auch beim neu ausgerichteten ICOM-Preis bringt sich der Comic-Salon vor dem Hintergrund der aktuell schwierigen Zeiten für die Comicszene finanziell stärker ein.

Der Preis soll primär Selbstveröffentlichungen prämieren

Am Donnerstagabend kündigte Martin Jurgeit den Neustart in einer Pressemitteilung an. Künftig soll der ICOM-Preis, den zwischendurch auch mal so etablierte Autor*innen wie Ulli Lust bekamen, wieder stärker Selbstveröffentlichungen ansprechen. Die sollen nicht wie bisher auf Kosten der Einreichenden erfolgen, sondern die Veröffentlichungen werden von der ICOM-Jury angekauft. Dafür stellt der Comic-Salon eine unbegrenzte Summe zur Verfügung.

„Gerade Selbstveröffentlichende und Kleinverlage sind dieses Jahr besonders stark von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen, da wohl bis weit in den Herbst hinein kein Festival stattfinden kann, auf dem sie sich vor Ort mit ihren Werken einem breiten Publikum präsentieren können“, heißt es dazu in der Presseerklärung. Deshalb würden die Rahmenbedingungen für die diesjährige Vergabe des ICOM-Independent-Comic-Preises angepasst.

Weniger Siegertitel, mehr Geld

Die neue ICOM-Jury besteht neben Martin Jurgeit aus dem Manga-Zeichner David Füleki („78 Tage auf der Straße des Hasses“, „Demon Mind Game“), der Comic-Redakteurin und einstigen „Fumetto“-Festivalleiterin Sabine Witkowski (Carlsen-Verlag) und der Journalistin Sabine Scholz, die neben dem Fachmagazin „Animania“ auch für den Tagesspiegel schreibt.

Die Jury, so wird das neue Prozedere vorgestellt, erstellt aus den Einreichungen und weiteren an sie herangetragenen Vorschlägen eine Nominierungsliste von zehn Titeln. Diese sollen dann bereits öffentlichkeitswirksam präsentiert werden.

So ist geplant, die nominierten Titel im Rahmen eines geplanten digitalen Auftritts des Internationalen Comic-Salons Erlangen mit Video-Clips vorzustellen, Medienpartner dafür ist die Website Comic.de, die vom Splitter-Verlag betrieben wird. „Comic.de wird die Clips auch auf seinem Portal sowie diversen von ihm bespielten Social-Media-Kanälen publizieren und so für eine deutlich größere Sichtbarkeit von Independent-Comics sorgen“, heißt es in der Ankündigung von Donnerstagabend.

Die Preiskategorien wurde im Gegenzug deutlich reduziert. Bisher gab es sieben Kategorien, künftig sollen es nur noch drei sein: „Bester Independent-Comic (Selbstveröffentlichung)“ und „Bester Independent-Comic (Verlagsveröffentlichung)“. Außerdem wird ein „Sonderpreis für eine besondere Leistung oder Publikation“ verliehen. Dafür gibt es für jeden Siegertitel mehr Geld, nämlich 1000 Euro. Bisher lag das Preisgeld in allen sieben Kategorien bei 2500 Euro. Es kommt aus der ICOM-Vereinskasse. Einsendeschluss ist der 30. Juni 2020. Weitere Informationen gibt es auf der ICOM-Website.

„Eine Wagenladung TRASH“

In der Comicszene dürfte die Neuausrichtung des ICOM-Preises rege diskutiert werden. Erste kritische Reaktionen gab es bereits am Donnerstagabend: Comic-Autor Haiko Hörnig („A House Divided“) schrieb auf Twitter: „Da es keine nennenswerte Stellungnahme bzw. Distanzierung zum Vorsitzenden gab, werde ich auch dieses Jahr nicht beim ICOM einreichen. Das muss natürlich jede*r mit dem eigenen Gewissen ausmachen.“

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Die Autorin und Zeichnerin Sarah Burrini („Das Leben ist kein Ponyhof“) schrieb ebenfalls auf Twitter: „Und immer, wenn ich denke, ich könnte von einem bestimmten Teil der Comicszene nicht noch enttäuschter sein, kommt einfach noch eine Wagenladung TRASH nach.“ Konkret kritisiert sie vor allem, „dass der ICOM-Preis trotz des frauenfeindlichen Verhaltens und ohne dass es jemals eine Entschuldigung dafür gab, jetzt vom Comic-Salon gefördert wird und dergleichen mehr ...“

Comic-Zeichner Ralf Singh („Narcopolis Continuum“) schrieb: „Ich finde es ja super, dass jetzt zwei Frauen in der ICOM Jury sind. Ist ein starker move. Die Diversity-Debatte dort sollte damit aber noch nicht vom Tisch sein. Ist leider rein weiß besetzt dort, echt Schade. Und eine Entschuldigung ist dort immer noch fällig.“

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