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Moderner Klassiker: Seite aus „Bilder bluten nicht“.

© Schreiber & Leser

Mord und Totschlag: Im Angesicht des Verbrechens

Comic-Krimis erweitern die Möglichkeiten des traditionsreichen Genres - und verschaffen auch kleinen Verlagen neue Aufmerksamkeit.

Im Fernsehen und in der Literatur haben Kriminalgeschichten Konjunktur. Zur Beliebtheit trägt sicherlich bei, dass das Genre neben der Unterhaltung heutzutage auch dazu fungiert, moralische Fragen zu diskutieren. Wie lassen sich Gut und Böse noch trennen und was sind die wahren Mechanismen von gesellschaftlicher Macht? Der Film noir, die schwarze Serie Hollywoods, hat diese Entwicklung schon vorweggenommen: Die Helden waren gebrochene Zyniker, die zum Spielball ihrer eigenen Ermittlungen wurden und denen weniger an der Aufklärung lag, als irgendwie heil aus der ganzen Geschichte herauszukommen. Inhaltlich waren die expressionistischen Schwarzweiß-Filme nicht nur prägend für kommende Kino- und Krimigenerationen, sondern auch für die Bildkultur.

Dieses Erbe hat bis heute Bestand, nun etabliert sich Neo-Noir, die Weiterführung des Genres, auch im europäischen Comic. Etwa in Form der Graphic Novel, der anspruchsvollen Comic-Erzählung. Es wurde aber auch langsam Zeit. Nach all den autobiografischen Nabelschauen, den Coming-of-Age-Dramen und den schwermütigen Krankheitsverläufen sollte auch  endlich auf dem Graphic-Novel-Sektor so etwas wie eine Implementierung von Genre-Stoffen stattfinden. Um sich zu etablieren, muss schließlich die ganze erzählerische Vielfalt gegeben sein - das gilt auch für Graphic Novels. Schließlich hat dieses Etikett im Buchhandel eine Aufmerksamkeit bekommen, um die der Comic lange zu kämpfen hatte.  

Ein Bestseller dank Fred Vargas

Bitte nicht falsch verstehen, das Genre gehört natürlich zum Comic, seitdem sich die Sprechblase in das Bild geschmuggelt hat. Aber die Form der Graphic Novel schien sich geradezu von Lebensgeschichten zu nähren. Vielleicht wird sich das nun ändern, denn ähnlich wie sich der Kriminalroman innerhalb der Belletristik zu einem der populärsten und vor allem verkaufsträchtigsten Genres entwickelt hat, soll es nun auch beim Comic funktionieren. So setzen Buchverlage auf Literaturadaptionen berühmter Autoren etwa Agatha Christie („Tod auf dem Nil“, 48 Seiten, 16,95 Euro, erscheint in Kürze bei Knesebeck) oder Fred Vargas („Das Zeichen des Widders“, Aufbau, 222 Seiten, 14,95 Euro, sowie demnächst „Die Tote im Pelzmantel“).

Schmutziges Geheimnis: Eine Seite aus dem Südstaatendrama „Die Straße nach Selma“.
Schmutziges Geheimnis: Eine Seite aus dem Südstaatendrama „Die Straße nach Selma“.

© Schreiber & Leser

Die Zusammenarbeit „Das Zeichen des Widders“ von Vargas mit dem Zeichner Baudoin dürfte gar mit 35.000 verkauften Exemplaren zu den bestverkauften deutschsprachigen Graphic Novels gehören - was selbstverständlich mehr dem Ruf der französischen „Königin des Kriminalromans“ zu verdanken ist als der Tatsache, dass es sich um einen Comicroman handelt. 

Krimiadaptionen bekannter Schriftsteller durch Comic-Zeichner sind auch Teil des ambitionierten Labels s&l noir, das im handlichen Graphic Novel-Format erscheint. Dort werden Comicversionen der Romane von Dennis Lehane oder Léo Malet veröffentlicht. Es ist vor allem die Nähe zu den Romanvorlagen, die die Titel für den Buchhandel interessant machen, gibt auch der Verlag Schreiber & Leser unumwunden zu. Diese „Namen müssen dem Handel nicht mehr erklärt werden“, daraus resultieren dann recht gute Vorbestellungen, sagt Philipp Schreiber, der quasi in der zweiten Generation gemeinsam mit seiner Mutter und Gründerin Rossi Schreiber den Verlag führt. Dennoch lebt der Kleinverlag Schreiber & Leser, der in diesem Jahr sein 30jähriges Jubiläum feiert, weit unter dem öffentlichen Radar. Obwohl man im Programm Größen wie Moebius, Schuiten oder Jiro Taniguchi verlegt und eine gefühlte Ewigkeit mit dem Slogan „Feine Comics für Erwachsene“ wirbt. Mit dem Imprint s&l noir könnte nun eine größere Aufmerksamkeit erreicht werden. 

Pariser Szenen, düstere Traumbilder

Die Reihe hat sich auf realistische Krimis spezialisiert und lehnt sich nicht nur namentlich an den Roman noir und den Film noir an. Eine Mischung aus französischen und amerikanischen Elementen steht auch in dieser Graphic-Novel-Reihe im Vordergrund. Dort werden Literaturadaptionen neben Autorencomics gestellt, mal erscheinen die handlichen schwarzen Bände im Hardcover, dann wieder mit Klappenbroschur, mal sind sie im Originalformat, mal vom Albenformat verkleinert - man merkt der Reihe an, dass sie sich selbst noch finden muss. Ein einheitliches Erscheinungsbild wäre nicht nur aus Perspektive des Lesers zu wünschen gewesen. Die Themen allerdings sind vielfältig: Rassenproblematik, Korruption und ihre moralischen Implikationen oder ein Vater-Sohn-Konflikt im Kleinkriminellenmilieu. Natürlich spielt in nahezu jeder Erzählung ein schmutziges Geheimnis eine Rolle, welches am Ende keines mehr ist.  

Bestseller: „Das Zeichen des Widders“.
Bestseller: „Das Zeichen des Widders“.

© Aufbau

Am bekanntesten dürften sicherlich die Nestor-Burma-Adaptionen sein. Léo Malets mürrischer Ermittler Burma hat durch Jacques Tardis Comicromane ein einprägsames Konterfei erhalten, welches in den neueren Übertragungen wie „Bilder bluten nicht“ (80 Seiten, 18,80 Euro) nun zeichnerisch von Moynot übernommen wurde. Das wirkt anfangs etwas ungewohnt, ist aber wie ein geschickter Kunstgriff, und der Reiz der Paris-Krimis bleibt erhalten. Eine Adaption von Dennis Lehanes „Shutter Island“ (128 Seiten, 17,80 Euro) hingegen entstand schon vor dem Film von Martin Scorsese und zeigt eine andere Herangehensweise an den Stoff, denn die sepiafarbenen Aquarelle von De Metter erzeugen eine düstere, unwirkliche Szenerie. Überhaupt liegt der Reiz der Reihe in der vielseitigen Umsetzung.

Kraftvolle Zeichnungen, glaubhafte Charaktere

Zwar kann kein Band eine neue, radikale Ästhetik aufweisen, wie sie etwa Frank Miller für „Sin City“ entwickelte, aber die ruhigen, großflächigen Bilder von Loustal („Coronado“, 96 Seiten, 16,80 Euro), die akribischen Paris-Ansichten von Moynot, der klare realistische Strich von Berthet („Die Straße nach Selma“, 80 Seiten, 18,80 Euro) - sie alle zeugen von den Möglichkeiten, im Comic atmosphärische Thriller zu gestalten. Die Reihe versteht sich als Edition für anspruchsvolle Graphic Crime Novels aus Frankreich und mit der Auswahl der in Frankreich erscheinenden Bände sollte die Qualität der Reihe aber mühelos gehalten werden. 

Ein Band aber, der die Reihe veredelt hätte, wäre „Elende Helden“ (Edition 52, 96 Seiten, 18 Euro) gewesen, eine Adaption eines Romans von Pierre Pelot durch den Franzosen Baru. Doch dieser wurde bei der Edition 52 veröffentlicht, die sich bei diesem Einzelband auch aus dem Fundus der französischen Reihe Rivages/Casterman/noir bedient hat, aus der auch einige Titel von s&l noir stammen. Dieser Band von Pelot und Baru vereint alles, was gute Comicadaptionen haben müssen: kraftvolle Zeichnungen, glaubhafte Charaktere, das richtige Maß von Auslassung und Erklärung, und wie es der Titel verspricht: Elende Helden. Beginnend als Sozialstudie in der französischen Provinz entwickelt sich ein überraschend kompromissloses Drama mit einem explosiven Ende. So können moderne Geschichten in der Tradition des Roman noir aussehen. Erschienen ist der Band bereits 2009, die Genreunterwanderung der Graphic Novel hat also längst begonnen. Das sollte nicht nur Connaisseure der gehobenen Kriminalliteratur freuen.  

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