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Mit dem Tod per Du: Eine Szene aus „Karmen“.

© Cross Cult

Fantasy-Thriller-Comic „Karmen“: Morbides Mallorca

Der spanische Zeichner Guillem March erzählt im Comic „Karmen“ eine übernatürliche Geschichte, in der die Ferieninsel als traumhafte Kulisse fungiert.

Eigentlich ist es schon zu spät: Die mallorquinische Studentin Catalina hat sich soeben die Pulsadern aufgeschnitten. Während ihre sterbliche Hülle in der Badewanne ihrer WG verblutet, betritt eine grazile Frau im schwarzen Skelett-Trikot das Badezimmer.

Die munter redselige „Karmen“ lässt Catalinas sterbliche Hülle in der Wanne zurück und führt deren splitternackten Geist durch Palma de Mallorca, unbeachtet von den Passanten, die die beiden nicht sehen können. Dabei fliegen oder schweben sie zusammen durch die Straßen, denn die üblichen physikalischen Gesetze gelten für sie nicht mehr. Ist Karmen ein höheres Wesen, gar ein Schutzengel?

Der 1979 in Palma de Mallorca geborene Zeichner Guillem March hat fünf Jahre an seiner aufwendig gezeichneten Graphic Novel „Karmen“ (aus dem Spanischen von Joaquim Balada Hartmann, Cross Cult, 176 S., 35 €) gearbeitet, die kürzlich bei Cross Cult auf Deutsch erschienen ist. Zuvor hat der Autodidakt zahlreiche spanische Comic-Wettbewerbe gewonnen.

2000 begann er, für den spanischen Verlag Eros Comix zu zeichnen. Seit 2008 hat er sein vielfältiges Talent, das sehr variabel unterschiedliche Stile und Genres adaptieren kann, auch auf dem US-Markt beweisen können. So hat er für DC eine Reihe um Catwoman gezeichnet, neben weiteren prominenten Superheldenserien wie Batman, Joker, Justice League, Harley Quinn oder „Gotham City Sirens“.

Auffällig ist seine Begabung, Frauen auf anatomisch perfekte Weise zu zeichnen, was er in erotischen Artbooks wie „Summer Muse“ und Comics wie „Monika“ (Deutsch 2015 bei Panini) unter Beweis stellte. Mit „Karmen“ legt er sein Meisterstück vor, das die ganze grafische Bandbreite seines naturalistischen Strichs zeigt und dabei originelle Fantasyelemente verwebt.

Eine enttäuschte Liebe, Zweifel, Unsicherheiten

Die Handlung kombiniert Elemente einer banalen Herzschmerzgeschichte mit einem raffiniert konstruierten Plot. Ist die hübsche, doch todunglückliche „Cata“ möglicherweise doch noch nicht „ganz“ tot und bekommt eine letzte Chance, um ihren selbstzerstörerischen Akt rückgängig zu machen?

Mallorquinischer Alltag: Eine weitere Seite aus dem besprochenen Band.

© Cross Cult

Die smarte neue Freundin namens Karmen spinnt sie in einen selbstreflexiven Dialog ein, der an eine Psychotherapiesitzung erinnert, und scheint einen Bewusstseinswandel in Catalina auszulösen.

Im Laufe der Geschichte wird deutlich, dass Catalinas Enttäuschung über ihre Sandkastenliebe Xisco ihre Verzweiflungstat ausgelöst hat. March gelingt es, eine ganz normale junge Frau mit inneren Zweifeln und Unsicherheiten lebendig zu machen.

Die fast durchgängig nackt gezeichnete Cata zeichnet er mit beeindruckender anatomischer Raffinesse in fein getuschten Bildern, ohne dabei in plumpen Voyeurismus zu fallen.

Geradezu schwindelerregende Perspektivwechsel bieten die Panels während der Flüge der von aller Schwerkraft befreiten Heldin durch die balearische Inselhauptstadt und verbinden sich kunstvoll zu immer neuen Seitenarrangements.

Das Titelbild von „Karmen“.

© Cross Cult

Nicht zuletzt ist „Karmen“ eine berührende, nicht immer klischeefreie Coming-of-Age-Story, die mit lebensnahen, witzigen Dialogen punkten kann. So hat die gerne aus dem Nähkästchen plaudernde Karmen eine Art futuristisches Smartphone dabei, in dem eine (himmlische?) Akte über Catalina angelegt ist. In der wird sie als „Soziopathin und Dramaqueen“ mit Hang zur Theatralik bezeichnet.

Mit pointiertem Humor nimmt March seiner morbiden Geschichte die Schwere und entführt die Betrachterinnen und Leser des Buches in ein traumhaft schön gezeichnetes, jedoch nicht idealisiertes Mallorca.

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