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Fantasy-Hommage und Parodie: Eine Seite aus dem dritten Band der Reihe.

© Reprodukt

Lewis Trondheims „Ralph Azham“: Der Antiheld mit Entenantlitz

Mit „Ralph Azham“ erweist Lewis Trondheim dem Fantasy-Genre die Ehre - und parodiert es zugleich genüsslich. Jetzt ist der vierte Band erschienen.

Wer anders als Lewis Trondheim käme darauf, den Protagonisten einer Heroic-Fantasy-Serie auf den Vornamen Ralph zu taufen? Der Mitbegründer des Verlages L'Association und Star der französischen Comic-Szene zeigt seit mehr als zwanzig Jahren, dass er alle Register beherrscht: Er hat im Rahmen der OuBaPo (Ouvroir de bande dessinée potentielle) Avantgarde-Comics verfasst, autobiografisch gearbeitet, Blogs mit Alltagsanekdoten, und Comics für Kinder geschrieben. Die Serien „Donjon“ (in Zusammenarbeit mit Joann Sfar) und „Die erstaunlichen Abenteuer von Herrn Hase“ haben auch in Deutschland Kultstatus erreicht. Trondheims Erfolgsrezept: Genrekonventionen von Western, Krimis oder auch Piratengeschichten dienen als Inspirationsquellen für skurrile Geschichten im Funny-Animal-Stil.

So liest sich auch „Ralph Azham“ zugleich als Fantasy-Hommage und Parodie. Eine klassische Queste, inklusive der Suche nach heiligen Artefakten, führt die nicht ganz so klassischen Protagonisten durch verwunschene Landschaften und in urige Tavernen.

Sein Weg ist gepflastert mit Leichen und Pointen

Antiheld der im Mittelalter angesiedelten Saga ist besagter Ralph, eine blauschnabelige und -haarige anthropomorphe Ente. Der Jugendliche, der dem Leser im vor gut zwei Jahren auf Deutsch veröffentlichten ersten Band präsentiert wird, ist der Paria seines Heimatdorfes, der nicht selten vom „Rat der Weisen“ in den Schweinestall verbannt wird. Bei allem Mitleid fällt die Identifikation mit dem Protagonisten doch schwer: Sein Teenager-Humor ist latent nervig; er schwankt wegen seiner Sündenbockposition zwischen Selbstherrlichkeit und Selbstmitleid. Pastellfarbene Rückblicke zeigen dem Leser indes, dass Ralphs Zukunftsaussichten einst tatsächlich rosig waren. In seiner Kindheit feierte man ihn als Hoffnungsträger: Er sollte der Auserwählte sein, der die Schreckensherrschaft des Bösewichts „Vom Syrus“ beenden würde.

Ein Zufall erlaubt dem gescheiterten Wunderkind schließlich der Enge des Dorflebens und der Beschränktheit seiner Bewohner zu entfliehen und sich im zweiten Band doch noch auf den Weg zum Orakel im Sehnsuchtsort Astolia zu machen. In der Sammelstelle für potentielle Auserwählte treffen sich aufgeregt plappernde Kinder, die gemeinsam über ein großes Repertoire von klassisch-sinnvollen und Trondheim-typisch absurden Gaben verfügen: Einige sind in Besitz eines extrem geschärften Sehsinns, andere beherrschen jedes Instrument, wieder andere haben nachwachsende Zähne. Die gelöste Jugendherbergsatmosphäre wird grafisch ansprechend vermittelt, nicht zuletzt dank der generell stimmigen Aquarell-Kolorierung von Brigitte Findakly.

Gescheitertes Wunderkind: Eine Seite aus dem aktuellen vierten Band.
Gescheitertes Wunderkind: Eine Seite aus dem aktuellen vierten Band.

© Reprodukt

Das Idyll währt jedoch nicht lange: Neue Bösewichte sorgen für Verzögerungen bei der Realisierung der Ursprungsmission. Lesererwartungen werden ad absurdum geführt und Handlungsstränge multipliziert. Unerwartete familiäre Verwicklungen, die Bekanntschaft mit dem Zauberer Yassou  und seiner „nicht-biologischen Mutter“ und vor allem eine neu entdeckte Gabe sorgen dafür, dass Ralphs Weg zwar mit Leichen gepflastert wird, die Story aber gegen Ende des zweiten Bandes deutlich an Fahrt aufnimmt.

Niedliche Tiere, provokante Inhalte

Die Treue des geduldigen Lesers wird mit den beiden Folgebänden belohnt, die im vergangenen Jahr sowie Anfang 2014 erschienen sind. Trondheim, der Meister des Absurden, ist in Höchstform und erfreut sich und die Leser mit skurrilen Einsprengseln: Zum Beispiel eine für den Plot komplett irrelevante Szene, in der Ralph eine magische Mixtur zu sich nimmt, um die Welt durch die Augen eines Vogels erblicken zu können (eine Art psychedelischer Trip, genannt „Ornithopikos-Flug“).

Nicht immer bleibt die Persiflage so harmlos-verspielt. In ihrer stärksten Form wird sie zu bitterböser Satire. Auswüchse von (Aber-)Glauben  und  Autoritätshörigkeit werden im vierten Band genüsslich karikiert: Eine seherische Hündin, die zu Unrecht von ihrer eigenen Kirchengemeinde angeklagt worden ist, frönt angekettet vor der Kathedrale der Selbstkasteiung und weigert sich von Ralph gerettet zu werden, obwohl potenzielle Vergewaltiger Schlange stehen. Die Kombination aus niedlichen Tieren und provokanten Inhalt erwies sich schon zu Zeiten der Underground Comix als überaus erfolgreich.

Wird fortgesetzt: Die Cover der Bände 4 und 1.
Wird fortgesetzt: Die Cover der Bände 4 und 1.

© Reprodukt

Wer Fantasy mag, ist hier richtig. Wer schwarzen Humor und absurde Dialoge mag, auch. Und wer Trondheim mag, sowieso. Wer sich nicht sicher ist, sollte Probe lesen. Wie sagt der Zauberer Yassou doch so schön im letzten Band: „Ein vergrabener Stein bleibt dumm“.

Lewis Trondheim: Ralph Azham, Reprodukt, 4 Bd.: Belügt man jene, die man liebt? (2011), Und am Anfang wartet der Tod (2012), Schwarz sind die Sterne (2013), Ein vergrabener Stein bleibt dumm (2014). Leseproben hier: www.reprodukt.de

Marie Schröer

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