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Unzertrennlich: Der auf ewig sechsjährige Calvin und sein Plüschtiger Hobbes, der im Strip zum Leben erwacht.

© Carlsen

Auf der Suche nach Calvin und Hobbes: „Ich wollte kein rücksichtsloser Schmutzfink sein“

Nevin Martell hat sich für das Buch „Auf der Suche nach Calvin und Hobbes“ auf die Spuren von Bill Watterson und einem der besten Comicstrips aller Zeiten begeben. Im Interview erzählt er, was ihn antrieb - und wieso er sein Idol nie persönlich traf.

Bill Watterson wollte immer wie Charles M. Schulz werden. Letztlich genügten Watterson zehn Jahre und 3160 schwarzweiße Tagesstrips und farbige Sonntagsseiten, um mit dem geistigen Vater der Peanuts gleichzuziehen und als einer der größten Cartoonisten aller Zeiten in die Comic-Geschichte einzugehen.

Nach zehn Jahren und sogar der einen oder anderen schöpferischen Pause hatte Watterson dann jedoch alles gesagt und verabschiedete sich mit einem farbigen Strip am 31. Dezember 1995 von der Zeitungscomic-Bühne. Er entließ Calvin und Hobbes mit einer letzten Schlittenfahrt, auf dass die beiden fortan alleine die magische Welt erkunden würden, die sich ihnen zum Entdecken und Erobern darbot – Watterson dagegen zog sich noch weiter aus der Öffentlichkeit zurück als ohnehin schon.

Kurz nachdem in den USA die wunderbare dreibändige Gesamtausgabe, die in diesem Jahr nun auch auf Deutsch erscheinen wird, sowie das mit Wattersons Kommentaren versehene „Zehn Jahre Jubel-Buch“ von Calvin und Hobbes erschienen waren, machte sich der Journalist und Langzeit-Fan Nevin Martell auf die Suche nach der Geschichte hinter der Geschichte, wohl wissend, dass der Strip stets in einer Art freiwilliger Isolation von Ruhm und Rummel entstanden war und Watterson nicht leichter aufzutreiben wäre als früher.

Nun erscheint nach einiger Verzögerung sein im Original bereits 2009 publiziertes Buch „Auf der Suche nach Calvin und Hobbes“ endlich auch auf Deutsch (Carlsen, 304 Seiten, 24,90 Euro). Darin rekonstruiert Martell nicht nur die Genesis eines genialen Comic-Strips – er verknüpft sie auch mit dem Porträt eines ungewöhnlichen Comic-Genies.

Dafür war einiges an Aufwand nötig, ja wurde die Recherche zu einer langwierigen Plüschtiger-Jagd mit Hindernissen. Immerhin hatte Watterson seit Ende der 80er kein Interview mehr gegeben und lebte extrem abgeschottet. Martell gelang es letztlich auch nicht, Watterson hervorzulocken und für sein Projekt oder auch nur ein Gespräch zu gewinnen. Allerdings sprach er mit Weggefährten, alten Freunden und zahlreichen Kollegen. So berichtet Martell über seine persönliche Beziehung zum Strip und über seine Bemühungen, ohne Bill Watterson über Bill Watterson zu schreiben. Das wirkt hier und da zwar ein bisschen egozentrisch, erinnert andererseits aber fast an Gay Talese, der einmal ein legendäres Frank Sinatra-Portrait schrieb, ohne auch nur ein einziges Mal direkt mit dem Star in Kontakt zu kommen („Frank Sinatra ist erkältet“).

Darüber hinaus schreibt Martell mit mehr Einsicht als jemals zuvor sowohl über Wattersons Werdegang, als auch über seinen legendären Strip – über die Anfänge, die Höhepunkte, die Streitigkeiten und Pausen, das Ende und natürlich darüber, wieso der konsequente Watterson Rampenlicht und eine Kommerzialisierung seiner Figuren stets abgelehnt hat und einst sogar Einladungen von George Lucas, Steven Spielberg und Jim Henson ausschlug - wie er nie seinen Weg verließ, derweil er sein charismatisches Duo in den der Macht der Fantasie verschriebenen Strips zu immer neuen Höhen führte. Christian Endres sprach mit Martell über sein Buch

Investigativ: Nevin Martell.

© Danny Fowler/Promo

Nevin, Du hast den Comic-Strip Calvin und Hobbes 1987 mit Erreichen seiner Hochphase entdeckt. Was hat dir damals auf Anhieb gefallen?

Ich habe mich sofort mit Calvin identifiziert, denn wir hatten viel gemeinsam. Als Junge war ich ebenfalls ein Kind mit einer regen Vorstellungskraft und wenig Freunden. Wir hatten keinen Fernseher und keinen Computer im Haus, also war ich es gewohnt, selbst für meinen Spaß zu sorgen und mich in den alternativen Universen von Science-Fiction-Romanen und Comic-Heften zu verlieren. Ich sah Calvin auf vielerlei Art als mein Comic-Gegenstück. Ich habe es geliebt, auf große Abenteuerfahrt zu gehen und ausgetüftelte Lausbubenstreiche zu spielen. Ich verstand seinen Standpunkt sehr gut. Kann ich immer noch. Ich hoffe, dass in mir immer ein Teil von Calvin existieren wird, weil es dabei hilft, das Leben interessant zu halten.

Wie hast du dich gefühlt, als du den Brief gelesen hast, in dem Bill Watterson seine Leser darüber informierte, dass Ende 1995 Schluss sein würde?

Wie viele andere Leser, war ich unvorstellbar traurig, den Strip auslaufen zu sehen. Calvin und Hobbes zu lesen war eines meiner liebsten täglichen Rituale. Lange Zeit habe ich jeden Strip morgens ausgeschnitten und in ein Heft geklebt. Die Strips waren nicht nur lustig - obwohl sie mich oft laut loslachen ließen. Sie haben mich auch zum Nachdenken gebracht. Watterson nahm sich die Zeit, seine Ideen darzustellen und Situationen zu schaffen, die dich einen Moment inne halten ließen. Das musste man nicht, wenn man Garfield oder The Family Circus las, denn das sind eindimensionale Schöpfungen. Calvin und Hobbes haben eine echte intellektuelle Tiefe, die auf den Comicseiten einer Zeitung sehr selten ist. Ich habe die gedankliche Verpflichtung sofort vermisst, auch wenn ich es inzwischen genieße, mit Pearls Before Swine und Cul de Sac den Tag zu beginnen.

Jetzt auch auf Deutsch: Das Cover von Martells Buch.

© Carlsen

Liest du Calvin und Hobbes wie viele andere noch heute in ewiger Rotation?

Nicht jeden Tag, aber ich liebe es, die Bücher aus dem Regal zu ziehen und wieder in ihnen abzutauchen. Es erstaunt mich, dass ich fortwährend immer größere Tiefe in Wattersons Arbeit finde, wann immer ich den Strip lese. Egal ob ich in den Zeichnungen etwas Neues zum Wertschätzen sehe oder eine Offenbarung habe, die von seiner Schreibe inspiriert wird - es gibt immer etwas Neues für mich.

Wann hattest du zum ersten Mal die Idee, ein Buch über Watterson und den Strip zu schreiben?

Bücher sind witzige Biester. Eines Tages saß ich einfach nur da und wunderte mich, was mit den Helden meiner Kindheit passiert ist. Nach einer kurzen Recherche realisierte ist, dass Watterson ein echtes Rätsel, eine Anomalie war. Das allein genügte, damit ich mehr herausfinden wollte, doch es gab nicht wirklich viele Informationen da draußen. Also stellte ich ein Buch-Angebot zusammen, in der Hoffnung, dass jemand anbeißen würde bei der Vorstellung, dass ich dieses Rätsel enthüllte. Glücklicherweise schnappte sich der erste Verleger, dem ich das Angebot unterbreitete - Continuum - das Ganze, und bald war ich auf dem Weg dahin, an meinem Einmal-im-Leben-Traumprojekt zu arbeiten.

Hattest du nie das Gefühl, „dem Meister zuwider“ zu handeln?

Glaub mir, das hat mir viele Sorgen bereitet. Ich hatte sogar ein paar Albträume, von denen ich einen im Buch beschrieben habe. Ich wollte Wattersons Geschichte möglichst vollständig und gründlich erzählen, aber ich wollte kein rücksichtsloser Schmutzfink sein. Ich wollte nicht wie ein Sensationsreporter einfach so vor seiner Haustür auftauchen und ein Interview verlangen oder etwas in der Art. Ich achtete sehr darauf, dass jeder Versuch ihn, seine Familie, seine Kollegen und seine Freunde zu erreichen professionell und niemals bedrängend wirkten. Ich habe zu viel Respekt für den Mann, um ihm auf eine Art nachzustellen, die sichergestellt hätte, dass unsere Interaktion negativ gewesen wäre. Ich habe sehr herzliche Rückmeldungen von seiner Familie und seinen Kollegen bekommen, seit das Buch erschienen ist, und so bin ich glücklich mit dem, was ich vollbracht habe und wie es zu Stande gekommen ist.

Finale: Der letzte Strip vom 31. Dezember 1995.

© Promo

Letztlich war das Ganze dennoch investigativer Journalismus in Reinform. Kannst du grob sagen, wie viel Stunden Recherche im Buch stecken, wie viele Reisen und Gespräche?

Ich habe mehr als ein Jahr am Buch geschrieben. Dafür führte ich 125 Interviews, bin in Wattersons Heimatstadt gereist und habe mir das Museum angesehen, das seiner Arbeit gewidmet ist, und habe zahllose Nächte und Wochenenden investiert, um die Deadline zu schaffen. Es war zweifellos das größte Projekt meiner Karriere, doch es war das alles auch absolut wert.

Du hast ein Buch über Bill Watterson geschrieben - ganz ohne Bill Watterson. Auch der große Gay Talese hat einmal ein legendäres Sinatra-Potrait verfasst, ohne auch nur einmal mit dem Entertainer in Kontakt zu kommen ...

Es ist eine Ehre, im selben Atemzug mit Gay Talese genannt zu werden! Aber ich arbeite noch daran, seine literarische Qualität zu erlangen. Dennoch, ich weiß den Vergleich zu schätzen, und es war ja auch eine ziemlich ähnliche Situation, da ich ein Buch über einen Mann schreiben musste, der nichts sagen würde und es wohl vorgezogen hätte, wenn das Buch überhaupt nicht geschrieben worden wäre. Das machte es auf gewisse Weise noch schwieriger, das Buch zu schreiben, aber es befreite mich auch dahin gehend, vom Storytelling her etwas experimenteller an die Sache heranzugehen. Hätte Watterson kooperiert, wäre „Auf der Suche nach Calvin und Hobbes“ wahrscheinliche eine geradlinige Biografie geworden. Wattersons Abwesenheit half dabei, das Buch in eine sehr persönliche Reise zu verwandeln, die auf der journalistischen Investigation aufbaute.

Du hattest zwar keinen Kontakt mit Watterson, dafür aber mit Harvey Pekar, Jim Davis, Jeff Smith und anderen. Was für Erfahrungen und Erlebnisse hast du noch aus der Arbeit am Buch mitgenommen?

Einer der großen Bestandteile war mein Trip nach Ohio. Ich habe Wattersons Heimatstadt Chagrin Falls einen Besuch abgestattet, wo ich seiner frühesten Arbeiten als Künstler ausgegraben habe und mich mit einigen seiner ältesten Freunde traf. Dann besuchte ich das Museum, in dem fast jedes Original von Calvin und Hobbes beheimatet ist. In der Lage zu sein, Wattersons Arbeit in meinen Händen zu halten und aus der Nähe zu sehen, hat mich auf ein ganz neues Level des Verstehens gebracht.

Freunde fürs Leben: Cavin und Hobbes in Aktion.

© Carlsen

Was denkst du - erfährt man letztlich womöglich sogar mehr über einen Menschen, wenn man andere über ihn befragt?

Wenn deine Zielperson nicht da ist, um für sich selbst zu sprechen, musst du dich auf die Einsichten der anderen und die Rückschlüsse verlassen, die sich dir aus ihnen präsentieren. In gewisser Hinsicht bekommst du von diesem kollektiven Eindruck ein ehrlicheres Bild der Person. In Wattersons Fall ist das besonders interessant, da berühmte Menschen oft beschuldigt werden, eine künstliche öffentliche Persönlichkeit und eine ‚reale’ Persönlichkeit zu haben. Allerdings schuf Watterson nie eine Persönlichkeit für die Öffentlichkeit, obwohl es ohne Frage einen Mythos gibt, der um ihn gewachsen ist. Was ich also von anderen Menschen über ihn erfuhr waren zweifellos ihre Gedanken über den ‚realen’ Bill Watterson. Das half mir sehr dabei, „Auf der Suche nach Calvin und Hobbes“ zu einem wahreren und realistischeren Buch zu machen.

Comic-Historiker beschäftigen sich meistens mit dem Silver oder dem Golden Age. Bill Watterson und sein Duo sind ein recht junges Thema. Zeigt das die wahre Signifikanz und Brillanz des Strips, der nach zehn Jahren schon als Klassiker galt?

Calvin und Hobbes ist definitiv ein Klassiker. Es gibt nur wenige moderne Strips, die mit seinem Einfluss auf die Erweiterung des Comic-Mediums konkurrieren können, wenngleich ich glaube, dass The Far Side und Doonesbury ihren Teil beigetragen haben. Calvin und Hobbes gedeihten in einer Ära, in der die meisten Figuren Filme, Merchandise und Themenparks brauchten, um Aufmerksamkeit zu erregen. Doch sie brauchten das alles nicht, da ihre Leser alles, was sie brauchen, vom Strip selbst bekommen haben. Du musst nicht mit der Raumfahrer-Spiff-Achterbahn fahren, um zu verstehen, was Calvin erlebt. Watterson hilft seinen Lesern dabei, direkt in ihre Imagination zu treten. Das ist sein größter Triumph.

Ein Jahr nachdem dein Buch im Original erschien, hat Watterson einem Journalisten nach all der Zeit dann doch ein Interview gegeben.

Ich dachte mir: Dieser Glückspilz! Aber ich war nicht wütend. Es war nur ein E-Mail-Interview mit fünf Fragen für die Zeitung in Wattersons Heimatstadt. Hut ab für den Reporter, der das Ding eingelocht hat.

Hat sich deine Beziehung zum Strip durch das Schreiben des Buches verändert?

Es gibt immer noch einen Teil von mir, der den Strip mit kindlichem Staunen liest, während ein anderer Teil permanent nach neuen Hinweisen über den Mann dahinter Ausschau hält. Völlig unabhängig davon, wie ich den Strip nun betrachte, er sorgt noch immer dafür, dass ich mich mit meinem besten Freund in meine Zeitmaschine setze und mit Dinosauriern abhänge.

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Selbstporträt: So hat Bill Watterson sich 1986 mit seinen berühmten Figuren festgehalten.

© Zeichnung: Watterson

Ist es in deinen Augen nun Fluch oder Segen, dass wir ohne Calvin-und-Hobbes-Merchandise leben müssen? Oder war die Ablehnung eines Franchise die einzige Möglichkeit, damit der Strip sich seine Reinheit und Einmaligkeit bewahren konnte?

Ich finde es gut, dass es nicht viel offizielles Merchandise gibt, denn ich glaube, dass es das Vermächtnis des Strips verwässern würde. Davon abgesehen finde ich es toll, wenn Fans ihre eigenen Hobbes-Puppen schneidern, ihre eigenen abnormalen Schneemänner bauen und Raumfahrer-Spiff-Outfits herstellen, da das alles ihnen erlaubt, den Strip anzuzapfen und ihre eigene Kreativität zu zeigen. Calvin und Hobbes handelte immer davon, die eigene Vorstellungskraft zu feiern, weshalb diese persönlichen Projekte Wattersons Vision respektvoll Tribut zollen.

Patton Oswalt sagte in einem Gespräch zu dir, dass er Bill Watterson, wenn er die Chance hätte, nicht mit spezifischen Fragen zu diesem oder jenem Strip löchern, sondern ihm einfach nur danken würde. Ist dieses Buch am Ende deine Art, Bill Watterson zu danken?

Mein Buch ist zum Teil Biografie, zum Teil Detektiv-Geschichte und zum Teil Liebesbrief. Ich wollte die Geschichte von Bill Watterson und seiner Arbeit erzählen, doch ich wollte ihm ebenfalls Tribut zollen. Ich hoffe, dass „Auf der Suche nach Calvin und Hobbes“ auf würdevolle Art und Weise all die Liebe, all den Respekt und all die Bewunderung für Calvin und Hobbes und ihren Schöpfern einfängt, die in mir existiert.

Eine gekürzte Version des Interviews erschien bereits in Ausgabe 1/2012 des Fachmagazins ALFONZ - DER COMICREPORTER. Die Calvin-and-Hobbes-Srips auf Englisch gibt es hier zu lesen. Und der Blog unseres Autors Christian Endres findet sich hier: www.christianendres.de.

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