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Unheimlich vertraut: Eine Seite aus dem Buch.

© Illustration: Shrigley

Comic-Kunst: Himmel, Sonne, Bekloppte

Erfrischend direkt und verstörend komisch: Der Schotte David Shrigley regt seine Zuschauer zum Nachdenken an. Jetzt ist mit „Äh ... Was machst du da eigentlich?“ ein Sammelband seiner Zeichnungen erschienen.

„Äh ... was zeichnest du da eigentlich?“, könnte man David Shrigley auch fragen, denn seine Zeichnungen sehen weder wie Kunst noch wie Comics aus. Auf jeweils einer Seite versammelt er seine ungelenkt geformten Figuren, die sich gegenseitig in naiv aggressiver Manier verhöhnen, die scheinbar sinnlose Gespräche führen oder Dinge tun, die keinem Ziel folgen. Unter dieser krude gezeichneten Welt, die wie ein hauchdünner Schutzumschlag wirkt, erwartet man Shrigleys versteckte Poetik. Aus einem skeptischen „Äh“ wird schnell ein interessiertes „Was machst du da eigentlich“.

Hat man die erste Hürde genommen und Shrigleys Zeichnungen seine Aufmerksamkeit gewidmet, hofft man natürlich schnell, auf eine Form der Erkenntnis zu stoßen, eine Welt hinter den bösen Worten und Irrwitzen zu entdecken. Doch ebenso wie bei den Exponaten moderner Kunst, die neben Shrigleys Zeichnungen im MoMA oder der Tate-Gallery hängen, drängt sich diese Erkenntnis nicht sofort auf. Dabei sind die Bilder doch so direkt: „Himmel, Sonne, Bekloppte, Einfahrt, Gras, Mauern, Tor“. Alles ist genau da, wo es hingehört, und dennoch versucht man als Betrachter zu abstrahieren: „Will Shrigley mir damit etwa sagen, dass ich der Bekloppte bin?“ 

Wer ist hier bekloppt?

© Illustration: Shrigley

Da die Oberfläche so simpel aussieht, müsste es doch möglich sein, diese infantile Schutzschicht zu durchdringen, um des Pudels Kern zu erfassen. Doch es will sich keine Welt hinter der grotesken Fassade finden lassen. Immer tiefer blättert man sich in Shrigleys Welt hinein. Vielleicht ist es eben diese Oberfläche, die man durchdringen möchte, auf die Shrigley wirklich verweisen möchte.

Alles andere als weltfremd

Obwohl Figuren wie das Waldvolk darauf hinweisen, dass sie keine Menschen sind, fallen einem beim Blättern immer mehr Bilder auf, die unheimlich vertraut wirken. Zwar etwas realitätsverzerrt, doch dafür umso bitterböser, wird die vermeintliche Oberfläche zu einem Spiegel unserer eigenen Grausamkeiten. Mit all der political incorrectness, die in uns schlummert, würden wir unseren Nachbarn am liebsten Shrigleys Brief schicken und ihnen sagen, was wir wirklich von ihnen halten. Wahrscheinlich sind wir wirklich die „Bekloppten“ und glauben nur, dass „bekloppt“ für etwas anderes steht als bekloppt. Was es nicht tut.

Um zu erkennen, dass diese Zeichnungen nicht nur hingeschmierte Kritzeleien sind, dient die deutsche Fassung des Eichborn-Verlags als schönes Beispiel. Zwei Drittel der englischen Texte wurden von Shrigley mitübersetzt und von ihm komplett neu gelettert. Nur die Lautmalereien und die englischen Wortspiele wurden beibehalten, um ihre Poetik und ihr Timing nicht zu zerstören. So viel Mühe für eine Übersetzung zeigt, dass Shrigley nicht einfach nur den bloßen Text wiedergeben möchte, sondern sich darum kümmert, dass die Botschaft – welche auch immer das sein mag – eben in der Form beibehalten wird, die der Künstler gewählt hat.

Ein weiteres Pläsir des Schotten sind seine ähnlich kruden Videos. War im Kunstmuseum Luzern vor zwei Jahren noch ein Finger zu sehen, der drei Minuten lang einen Lichtschalter malträtierte, so protestiert Shrigley in seinem neuen Video – zu sehen unter diesem Link – gegen die Kürzung des Britischen Kulturetats. Unsere Welt braucht Shrigleys skurrile Bilder, die uns einen Moment innehalten lassen, in dem wir uns am Kopf kratzen können. Noch bevor wir dann weitergehen, huscht ein Lächeln über unsere Lippen, mit der Gewissheit, etwas verstanden zu haben. 

Erkenntnis und Irrwitz: Das Cover des Sammelbandes.

© Eichborn

David Shrigley: Äh... was machst Du da eigentlich? The Essential David Shirgley, Eichborn, 352 Seiten, 24,95 Euro, mehr unter diesem Link.

Zur Website des Künstlers geht es hier: www.davidshrigley.com. Ein Interview mit Shirgley findet sich unter diesem Link.

Die Homepage unseres Autors Daniel Wüllner findet sich hier, zu seinem Blog geht es hier. 

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