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© Illustration: Gibbons/Panini

Politsatire: Freiheit oder Tod

20 Jahre nach ihrem Debüt erscheint Frank Millers und Dave Gibbons' großartige Politsatire um die schwarze Heldin Martha Washington komplett auf Deutsch – höchste Zeit für eine Neuentdeckung.

Das kommt einem bekannt vor: Ein schwarzer Hoffnungsträger aus einem Chicagoer Armenviertel; Auslandseinsätze der US-Armee, die außer Kontrolle geraten und ein politisch und sozial tief gespaltenes Land international noch weiter isolieren; ein nach Versöhnung strebender neuer US-Präsident, der sich von der aggressiven Politik seines selbstherrlichen Vorgängers distanziert und gleich zu Beginn seiner Amtszeit den Friedensnobelpreis bekommt – viele Elemente in diesem Buch wirken aus heutiger Sicht so aktuell, als handele es sich um einen Kommentar zur US-Politik der vergangenen Jahre.

Dabei ist die vierbändige Miniserie „Give me Liberty“ um die schwarze Comic-Heldin Martha Washington, die jetzt bei Panini als erster Band der auf drei Bücher angelegten Gesamtausgabe der Reihe neu auf Deutsch erschienen ist, 20 Jahre alt.

Das insgesamt rund 600-seitige Epos, das Autor Frank Miller („Dark Knight“) und Zeichner Dave Gibbons („Watchmen“) 1990 begannen und vor drei Jahren mit einem späten, letzten Band abschlossen, ist nicht nur eine bemerkenswert scharfsinnige und aus heutiger Sicht streckenweise prophetisch wirkende Politsatire, sondern auch ein packendes Science-Fiction-Drama. Es lebt von dem trotz vieler effektreicher Actionszenen bemerkenswert einfühlsamen Porträt der Hauptfigur, einer vom Streben nach Freiheit und Gerechtigkeit beseelten und zugleich mit menschlichen Schwächen gesegneten Heldin, der man als Leser gerne durch jede noch so wahnwitzige Wendung der Geschichte folgt. „Du warst immer der Traum eines jeden Schriftstellers“, schreibt Frank Miller im Vorwort der Neuausgabe an seine Titelheldin gerichtet: „Eine Figur, die sich von selbst schreibt“.

Zwischen Freiheitsstatue und Sklavenhalterin

Trotz vieler überzeichneter Details ist die Lebensgeschichte der jungen Martha, die in einer zum Gefängnis mutierten Sozialsiedlung in Chicago aufwächst, gegen alle Widerstände zur Modellsoldatin und schließlich dank einer telepathisch begabten Mitstreiterin zur Weltenretterin aufsteigt, in sich überraschend plausibel und nachvollziehbar erzählt. Miller hat eine starke und doch verletzliche Heldin voller Widersprüche geschaffen, deren Abenteuer Gibbons in einem meisterhaft realistischen Stil umsetzt.

Dabei bedient sich die Erzählung reichlich plakativ bei Geschichte und Symbolik der USA. So nimmt auf dem Buchcover die für Gerechtigkeit und Selbstverwirklichung kämpfende Hauptfigur die Pose der Freiheitsstatue ein, ihre Geschichte wird eingeleitet mit dem historischen Zitat „Gebt mir die Freiheit oder gebt mir den Tod“ von Patrick Henry, des Kämpfers für die amerikanische Unabhängigkeit – und der Name der Hauptfigur gleicht dem der ersten First Lady der USA. Die war nicht nur die Ehefrau George Washingtons, des in den USA als „Vater der Nation“ verehrten Vorkämpfers für die republikanische Demokratie, sondern – was in diesem Kontext besonders paradox anmutet – zusammen mit ihrem Mann auch Herrin über Dutzende von Sklaven, die ihrer Familie dienten.

Schwule Nazi-Terroristen, wildgewordene Fast-Food-Konzerne

Gemeinsam schaffen Miller und Gibbons mit diesem an politischer und historischer Bedeutung aufgeladenen Epos eine bemerkenswerte Gratwanderung. Zahlreiche grotesk überzogene Elemente entführen den Leser in eine aufregende Fantasiewelt:

Ein größenwahnsinniger Gesundheitsminister arbeitet mit dem Ziel der Weltherrschaft an einer Armee mutierter Maschinenmenschen, ein Trupp schwuler Neonazi-Terroristen will die USA aus dem All mit Laserkanonen ausradieren, Fast-Food-Konzerne fackeln den Regenwald ab, um Land für ihre Rinderherden zu bekommen und attackieren die US-Armee mit Kampfmaschinen, die wie gigantische Hamburger-Werbefiguren aussehen – und ein eigentlich einem Anschlag zum Opfer gefallener US-Präsident feiert sein Comeback, indem sein Gehirn in einer Roboterhülle weiterlebt.

Zugleich bleiben die Bilder und die geschilderten Ereignisse in Marthas dramatischem Leben gerade realistisch genug, um nicht vollends in eine durchgeknallte Farce abzugleiten. Mag die Welt um sie herum noch so apokalyptisch und wahnwitzig sein, die Hauptfigur behält einen klaren Kopf. Durch sie entfaltet die Geschichte eine unwiderstehliche Sogwirkung – höchste Zeit, dieses auf Deutsch nie zuvor komplett veröffentlichte Meisterwerk (wieder) zu entdecken.

Frank Miller/Dave Gibbons: Das Leben und Wirken der Martha Washington, Band 1: Ein amerikanischer Traum, 212 Seite, 19,95 Euro, Panini. Leseprobe unter diesem Link.

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