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Bastien Vives auf einem Foto aus dem Jahr 2021.

© AFP / JOEL SAGET

Eklat um Zeichner Bastien Vivès in Angoulême : Comicfestival stoppt Ausstellung nach Vorwürfen

Europas größtes Comicfestival sagt Ausstellung von Szene-Star Bastien Vivès ab. Kritiker werfen ihm Verharmlosung von Pädophilie und Vergewaltigung vor.

Von Lara Keilbart

| Update:

Das wichtigste Comic Festival Europas findet jährlich in der französischen Stadt Angoulême statt. Dort sollte beim 50. Festival im Januar 2023 der Zeichner Bastien Vivès (38) mit einer sogenannten Carte-Blanche-Ausstellung gewürdigt werden. Also eine Ausstellung, die der Künstler völlig frei nach eigenem Gusto gestalten kann.

Eine Vielzahl an französischen Comickünstler*innen und Akteur*innen aus der Szene äußerten jedoch im Vorfeld harte Kritik an diesem Vorhaben, darunter Jul Maroh, Marie Bardiaux-Vaïente, Julie Delporte, Matthieu Bablet und Loïc Sécheresse.

Sicherheitsbedenken führten offenbar zum Umdenken

Die organisatorische Leitung des Festivals hielt zunächst an der Ausstellung fest, verkündete aber nun am Mittwoch, den Programmpunkt aus Sicherheitsbedenken abzusagen. In einer Pressemitteilung hieß es, es habe „physische Drohungen gegen Bastien Vivès“ gegeben, wegen derer man diese Entscheidung getroffen habe. Man wolle den Autor und die Festivalgäste schützen.

Hintergrund der Proteste sind Vorwürfe der Verharmlosung von Vergewaltigung, Inzest und Sex mit Minderjährigen und ein unkritischer, voyeuristischer und verharmlosender Umgang mit diesen Themen in den Comicgeschichten von Vivès.

In seinen auch auf Deutsch veröffentlichten Büchern „Polina“ und „Eine Schwester“ sind diese Themen teilweise noch recht vage dargestellt.

Vivès bislang nicht auf Deutsch veröffentlichter Comic „Petite Paul“ (Der kleine Paul) erzählt die Geschichte eines zehnjährigen Jungen, der einen übergroßen Penis besitzt und deswegen wiederholt Sex mit Erwachsenen hat. In „La Décharge mentale“ (Die geistige Entladung) zeigt Vivés explizit, wie ein erwachsener Mann mit drei jungen Kindern Sex hat.

Der Zeichner selbst fiel in den vergangenen Jahren zudem wiederholt wieder mit fragwürdigen und problematischen Aussagen und Kommentaren zum Thema auf.

Die französischen Kritiker*innen der geplanten Ausstellung hatten eine Online-Petition gestartet, die in kurzer Zeit rund 100.000 Unterschriften bekommen hat, um die Präsentation abzusagen. Es dürfe keine Unterstützung, keinen Raum für die Verharmlosung von derartigen Gewalttaten gegenüber Kindern und Frauen geben.

Bastien Vivès reagierte am Donnerstag mit einer Erklärung auf seinem Instagram-Kanal. „Ich verurteile Pädokriminalität sowie deren Verherrlichung und Verharmlosung“, schreibt er. „Ich verurteile die Kultur der Vergewaltigung und die Gewalt gegen Frauen.“ Er wolle seine „aufrichtige Solidarität mit den Opfern von Inzest und jeglichem anderen sexuellen Missbrauch zum Ausdruck bringen“. Seine Werke sollten „auf keinen Fall unter dem Prisma der Selbstgefälligkeit gegenüber diesen Verbrechen gelesen werden.“

Sein „pornografischen“ Bücher, so erklärt der Künstler weiter, seien „in einem humorvollen Burlesque-Genre angesiedelt“. Den dort benutzen „provokativen Ton habe ich manchmal auf ungeschickte Weise in meinen Interviews aufgegriffen.“ Falls seine Äußerungen Opfer von Sexualverbrechen und sexuellem Missbrauch verletzt haben sollten, wolle er sich „aufrichtig bei ihnen entschuldigen.“

Stellungnahmen von Lisa Frühbeis und Aisha Franz

Auch in der deutschen Comic-Szene wurde viel über den Vorfall diskutiert. Für die Zeichnerin Lisa Frühbeis („Busengewunder“), die lange auch für den Tagesspiegel gearbeitet hat, geht es bei dem Protest gegen die Ausstellung von Vivès nicht darum, deren Inhalte zu verbieten, sondern darum, dass ein Künstler, „der seine Werke inhaltlich so deutlich positioniert, eine Ausstellung in Angoulême bekommt“, wie sie auf Anfrage erklärt. Derartige öffentliche Präsentationen seien „ein Machtwerkzeug in Form von gesehen-werden und mehr Lizenzen und Bücher verkaufen, eine Bestätigung, dass es in den Werken weiter in seine gewählte Richtung gehen soll.“ Vivès habe die Freiheit zu veröffentlichen, seine Verlage hätten diese Freiheit. „Aber eine Festivaleitung kann sich sehr bewusst überlegen, wie groß die Bühne ist, die sie dem Ganzen gibt.“

Die in Berlin lebenden Zeichnerin Aisha Franz erklärt auf Anfrage: „Abgesehen davon, dass kinderpornographische Darstellungen und jene, die dies verharmlosen, überhaupt gar nicht gehen und von mir aus ruhig zensiert werden könnten, bleibt für mich vor allem die Frage zentral, was es über eine Szene aussagt, die auch über einen Bastien Vives hinaus problematische Inhalte unkritisch und als „Humor“ oder „Subversion“ getarnt, verbreitet und ins Rampenlicht stellt.“ Die Verteidigung der Ausstellung von Vivès lehne sich vor allem gegen die vermeintliche Zensur auf. „Aber klar ist doch: Es wird hier nicht zensiert, sondern laut deutlich gemacht, dass sich das, was heutzutage als provokativ und subversiv gilt, sich verdammt noch mal mit den Zeiten geändert hat.“ Eine Festivalleitung, die sich so schwer damit tue, das zu verstehen, „bräuchte sicherlich eine Grunderneuerung.“

Aisha Franz hat auch den offenen Brief gegen die geplante Ausstellung unterschrieben. Darin heißt es, die geplante Ehrung von Vivès beim Festival von Angoulême sei „symptomatisch im globalen Kontext, wo der Kampf gegen Sexismus und Gewalt in der Gesellschaft immer wieder das Problem hat, gehört und anerkannt zu werden.“ Daher fordern die Unterzeichnenden vom Festival, bei der zukünftigen Auswahl und Programmgestaltung die „Rechte von Minderheiten sowie ihre Repräsentation“ zu gewährleisten. „Es müssen konkrete Mittel bereitgestellt werden, sowohl in Bezug auf der künstlerischen Auswahl als auch der Prävention von sexistischer und sexueller Gewalt während der Organisation und der Dauer des Festivals“, heißt es darin weiter, um das Festival „endlich zu einem Ort zu machen, an dem es nicht möglich ist Gewalt und Diskriminierung zu tolerieren, und so die notwendigen systemische Veränderungen im gesamten Kulturbetrieb voranzutreiben.“

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