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Rückkehr der Farben. In ausgewählten Szenen weicht die Monochromie der Vielfalt - eine Seite aus dem besprochenen Band.

© Egmont

„Die Farbe der Luft“ von Enki Bilal: Ein Update für die Menschheit

Comic zur Lage des Planeten: Bilals düstere Blutsturz-Trilogie erhält mit „Die Farbe der Luft“ ein versöhnliches aber radikales Ende, durch das auch die Vorgänger-Bände an Qualität gewinnen. 

Enki Bilal („Die Geschäfte der Unsterblichen“, „Treibjagd“) ist wahrlich nicht als Schöpfer heiterer Bilder-Welten bekannt: Auf allen Figuren und Gegenständen, die der serbisch-stämmige Comic-Altmeister zeichnet bzw. malt, scheint eine schmutzige Zivilisations-Patina zu haften, die von Niedergang und Endzeit kündet. Die Blutsturz-Trilogie, die nun mit „Die Farbe der Luft“ abgeschlossen wurde, ist jedoch selbst für Bilals Verhältnisse äußerst düster geraten: Der Comic handelt von einer in grauer, sonnenloser Asche versunkenen Erde, die sich durch eine Klimakatastrophe (dem sogenannten „Blutsturz“) massiv verformt hat, was zum Zusammenbruch der menschlichen Gesellschaft geführt hat.

Genau wie die ersten beiden Bände „Animal’z“ (2010) und „Julia & Roem“ (2011), beginnt auch „Die Farbe der Luft“ damit, dass kleine Gruppen von Überlebenden ziellos durch das Ödland irren. Einige davon kennen wir bereits – Kim Owles und Francis Bacon, die sich auf ein schwebendes Appartement retten können, und Julia, Roem und Howard George Lawrence, die einem geheimnisvollen Wolkenpfeil folgen. Neu hinzu kommt eine Gruppe, die auf einem Müll-Zeppelin gefangen ist: Das mit Atommüll und –waffen beladene Luftschiff kann aufgrund der beschädigten Steuerung nicht mehr gelenkt werden und fliegt stur geradeaus, während seine hilflosen Insassen nur darüber spekulieren können, wohin ihr Gefährt wohl treiben wird - was für ein Sinnbild für den Zustand der Erde!

Man isst wieder Menschenfleisch

Der Weg aller Protagonisten führt zu einem gewaltigen Vulkan, der die letzte Phase des Blutsturzes einläutet – das Ende ist versöhnlich, aber radikal. Es wird deutlich, dass die Klimakatastrophe eine Abwehrreaktion der Erde gegen die Menschheit darstellt, die kurz vor einem Atomkrieg stand – der Planet zieht die Reißleine für ein dringend benötigtes „Update“. Der Mensch wird zum Statist in einer Welt, die seiner überdrüssig geworden ist.

Solche Sinnbilder menschlicher Hybris finden sich zuhauf in den drei Comics: In „Animal’z“ gerät die kleine Gruppe um Kim Owles auf ihrer Wanderschaft auf eine Eisscholle, die stetig kleiner wird, während sie von einigen Eisbären beobachtet werden, die auf festem Land stehen.

Niedergang und Endzeit. Eine Seite aus dem besprochenen Band.

© Egmont

„Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch. Ein Seil über einem Abgrund“, zitiert im selben Band ein namenloser Einzelgänger Nietzsche. „Ich glaube, sie sind in den Abgrund gefallen“, fügt er gegenüber der Frau an, die er gerade gerettet hat. Tatsächlich ist die ganze Menschheit in diesen Abgrund gefallen und nimmt nun in einer Mischung aus Dekadenz und Evolution immer mehr tierische Züge an – einige Personen verschmelzen mit Delphinen, andere essen Menschenfleisch.

Bilder von depressiver Opulenz

Immerhin – es ist keine ungebildete Endzeit: Bilals Charaktere sind fast ausnahmslos melancholische oder zynische Intellektuelle, die unter Zuhilfenahme etlicher Zitate von Dichtern und Denkern ihrem Elend eine gewisse Eleganz verleihen. Allerdings ist nie ganz klar, ob die Protagonisten diese Zitate wirklich kennen oder ob sie ihnen einfach so zufliegen, da der Blutsturz nicht nur die physikalische sondern auch die sprachliche und gedankliche Geographie durcheinander gewirbelt hat.

Optisch werden die Comics von indifferenten Grau-Tönen dominiert. Bilals konsequente Monochromie, die nur ab und zu von einigen Farbspritzern durchsetzt ist, wirkt auf den ersten Blick dröge, macht das Setting aber umso glaubwürdiger: Es ist eine kranke, sieche Welt ohne Pflanzen, in der die Natur nur noch aus grau-brauner Erd-Schlacke, schmutzigen Wolken und dunklen Meeren zu bestehen scheint. Anders als in seinen früheren Arbeiten, die ebenfalls düster (aber farbiger) waren, haben Bilals Bilder in der Blutsturz-Trilogie eine depressive Schwere und Opulenz erreicht, die einerseits abstößt, andererseits dem Thema absolut angemessen ist. Umso intensiver erlebt man als Leser am Ende des letzten Band die plötzliche Rückkehr der Farben.

Hintergründig und bitterböse

Es ist nicht nur dieser Kunstgriff, der „Die Farbe der Luft“ zum eindrucksvollsten Teil der Trilogie macht: Während „Animal’z“ an schwer unterscheidbaren Charakteren und einer relativ vagen Endzeitstory litt und „Julia & Roem“ zugunsten seiner Shakespeare-Adaption etwas auf der Stelle trat, macht der dritte Band die Sache nun konkret und führt alle Protagonisten zu einem denkwürdigen Abschluss zusammen. Durch diese Klammer erhalten die beiden Einzelbände, die für sich allein eher durchschnittlich wirken, einen deutlichen Qualitätsschub – das muss auch Bilal bewusst geworden sein, der „Animal’z“ ursprünglich als abgeschlossene Geschichte ohne Pläne für eine Fortsetzung veröffentlicht hatte.

Finale. Das Cover des besprochenen Bandes.

© Egmont

Mit der Blutsturz-Trilogie hat Bilal einen hintergründigen und bitterbösen Kommentar zur Lage der Welt abgegeben, ohne dabei in politische und ökologische Standpredigten zu verfallen – die starken Bilder, mit denen er die derangierte Menschheit schildert, reichen völlig aus. Man darf gespannt sein, welchen Themen sich Bilal als nächstes zuwendet. Eines ist klar: Düsterer kann es kaum werden.

Enki Bilal: „Die Farbe der Luft“, Ehapa Egmont, 104 Seiten, gebunden, 24,99 Euro

Weitere Artikel unseres Autors Erik Wenk finden Sie hier. Sein Weblog mit Essays und Comics findet sich hier: elfenbeinbungalow.de.

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