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Art Spiegelman auf einem Archivbild von 2008.

© DAVIDS DAVIDS / DAVIDS/DARMER DAVIDS/DARMER

„Dieses Jahr soll den Comics gehören“: Art Spiegelman wird 75 und greift wieder zum Stift

Der Holocaust ist das Lebensthema von Art Spiegelman. Am Mittwoch wird der Comic-Autor 75. Gerade ist ein neues Buch mit seinen Zeichnungen auf Deutsch erschienen.

Von Thomas Spang

Wer Kritiker hat, muss sich um Aufmerksamkeit nicht sorgen. Die alte Medien-Weisheit erschloss Art Spiegelman Anfang 2022, Jahrzehnte nach seinem Welterfolg mit dem Comic „Maus“, eine ganz neue Leserschaft. Dazu verhalfen dem streitbaren Autoren rechte Kulturkämpfer im US-Bundesstaat Tennessee. Ein Schulausschuss im provinziellen McMinn County hatte Spiegelmans „Maus“ auf den Index gesetzt - wegen profaner Sprache und Nacktdarstellungen. Dies sei unzumutbar für Kinder, so die Begründung.

Die Zensoren erzeugten einen Bumerang-Effekt. Der Holocaust-Comic erklomm weltweit einmal mehr die Bestsellerlisten. „Maus“ zählte schon zuvor zu den Standardwerken der Holocaust-Aufarbeitung - wenn auch als Sonderling. Spiegelman erhielt 1992 für seine Arbeit den Pulitzer-Preis. Zum ersten Mal sprach die Jury damit einem Comic-Autor die renommierte Auszeichnung zu; ein Denkmal in der Geschichte der Graphic Novel, die „Maus“ zu einem Klassiker des Genres machte.

Eine Seite aus Art Spiegelmans „Maus“.
Eine Seite aus Art Spiegelmans „Maus“.

© Spiegelman/S. Fischer

„Maus“ ist ein Tabubruch. Zwischen 1980 und 1991 erschien der Comic als Serie und später als Buch in zwei Bänden. Die Geschichte erzählt von den Erfahrungen von Spiegelmans Vater Vladek, der als polnischer Jude den Holocaust überlebte. In langen Gesprächen hatte er ihn seine Geschichte erzählen lassen und dabei in den 70er-Jahren aufgezeichnet - anfangs, ohne dass der Vater es wusste.

Juden als Mäuse, Deutsche als Katzen

Spiegelmans Umgang mit dem Thema hatte so niemand vorher gewagt. Er wählte Tiere in seinen Comics, um die verschiedenen Gruppen darzustellen. Juden kamen als Mäuse daher, Deutsche als jagende Katzen. Er wählte die Fabel als Stilmittel und sah sich bei seinen Kritikern dem Vorwurf des „Otherings“ ausgesetzt, wie er kürzlich der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) sagte. Der Begriff steht für die Distanzierung zu anderen Gruppen, um die eigene zu bestätigen. „Das macht es dann einfach, gegen einen ungeliebten Comic vorzugehen“, so der Comic-Autor kurz vor seinem 75. Geburtstag.

Art Spiegelman auf einem Archivfoto von 2012.
Art Spiegelman auf einem Archivfoto von 2012.

© AFP

Spiegelman, 1948 in Schweden geboren, wanderte als Kind zusammen mit seinen Eltern in die USA aus. Schon mit sieben Jahren begeisterte er sich für die Kult-Comics „Mad“, später entdeckte er die „Entertaining Comics“, die er nachzeichnete. In den 60er und 70er Jahren gehörte er zur aufstrebenden Untergrund-Comic-Szene New Yorks. Erotik-Zeitschriften druckten ihn, darunter „Cavalier“, „Gent“ und der „Playboy“. Später entwarf er mehrere populäre Titelbilder für den „New Yorker“.

„Maus“ avancierte zum Bestseller weltweit. Sein Markenzeichen: die Erkundung des komplexen Themas des Holocausts, die jüdische Identität und die Erfahrung der Einwanderung. Für Schlagzeilen sorgte er auch später. Nach dem Konflikt zwischen Schwarzen und orthodoxen Juden im Stadtteil Crown Heights in Brooklyn Anfang der 90er Jahre veröffentlichte der „New Yorker“ Spiegelmans Zeichnung eines orthodoxen chassidischen Mannes in inniger Kussumarmung mit einer schwarzen Frau; was selbst in liberalen Kreisen für Kopfschütteln sorgte.

Kontroverser Comic nach 9/11

Kaum zumutbar für das amerikanische Publikum schien der Versuch, seinen Comic „In the Shadow of No Towers“ in einer US-Zeitung zu publizieren. Darin sieht er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center eine größere Gefahr durch die USA als durch islamistische Terroristen. Die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ sprang ein und veröffentlichte die Reihe. Inzwischen liegt sie als Buch aber auch auf Englisch vor.

Auch über sein Hauptwerk „Maus“ wird nicht erst seit der Zensur von Tennessee gestritten. Einige Kritiker äußerten Bedenken, es sei die falsche Art, die Geschichte des Holocausts als Comic darzustellen. Andere werfen ihm vor, er verharmlose das Trauma der Juden-Vernichtung. Tatsächlich versuchte Spiegelman, über die Verfremdung die emotionale Last zu dämpfen, die mit der Darstellung des traumatisierenden Themas einhergeht.

In den vergangenen Jahren hat Spiegelman weniger zum Zeichenstift gegriffen, dafür häufiger die PC-Tastatur bedient. Ein Entwurf für eine Serie für Amazon wartet noch auf grünes Licht. Jetzt will er wieder zu seinem Kerngeschäft, dem Comic, zurückkehren, kündigte er an. Er habe, gibt er zu, „eine Scheißangst davor“, damit wieder anzufangen. „Aber dieses Jahr soll den Comics gehören.“

Eine Szene aus „Street Cop“, dem von Spiegelman illustrierten Krimi des Schriftstellers Robert Coover. 
Eine Szene aus „Street Cop“, dem von Spiegelman illustrierten Krimi des Schriftstellers Robert Coover. 

© Fischer

Ein erste Anzahlung hat er bereits 2021 geleistet: Spiegelman hat den dystopischen Science-Fiction-Krimi „Street Cop“ des US-Schriftsteller Robert Coover um einige Illustrationen und kurze Comic-Sequenzen bereichert. Stilistisch hat er sich dabei vor allem von historischen Zeitungscomics und anderen Klassikern der Kunstform inspirieren lassen und aktuelle Themen wie die Coronavirus-Pandemie eingearbeitet. Vor einigen Tagen ist der Band auf Deutsch bei Fischer veröffentlicht worden. (KNA, mit lvt)

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