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Aus dem Fluss gefischt: Eine Seite aus dem besprochenen Buch.

© Egmont (c) Mark Siegel/First Second Books

Graphic Novel „Sailor Twain“: Die Lorelei vom Hudson River

Der amerikanische Autor und Zeichner Mark Siegel macht den Fluss im Osten der USA zum Mittelpunkt eines vielschichtigen Comic-Märchens über Verlangen, Liebe und Obsession.

Die Graphic Novel „Sailor Twain oder Die Meerjungfrau im Hudson“ ist nicht nur eines der ersten Werke, das unter dem neuem Graphic-Novel-Label erscheint, mit dem Egmont Ehapa auf den Comic-Roman-Zug aufspringen möchte. Obendrein ist es die erste Comic-Veröffentlichung von Mark Siegel als Autor und Zeichner. Zuvor hat der 1967 geborene Amerikaner einige Comics anderer Autoren und Bilderbücher illustriert. Und er hat sich mittlerweile auch einen Namen als Programmleiter des beachtenswerten US-Verlagsimprints First Second gemacht hat, wo er unter anderem Werke von Paul Pope, Matt Kindt, Steven T Seagle und anderen betreut.

Ursprünglich erschien Siegels jetzt auf Deutsch veröffentlichte historische Panel-Geschichte über Männer, Frauen und eine Meerjungfrau von 2010 bis 2012 als englischsprachiger Webcomic unter sailortwain.com, wo es noch diverse Extras zum Comic-Roman zu entdecken gibt.

Aus dem Netz in den Druck

Die Übertragung aus dem Netz auf die gedruckten Seiten eines schön aufgemachten Bandes hat weder der Geschichte, noch dem Artwork geschadet. Siegels ausdrucksstarken Kohle- und Bleistiftzeichnungen mögen zunächst etwas gewöhnungsbedürftig sein, doch stehen sie dem früh einsetzenden Sog der Geschichte nie im Weg. Die wortlosen Aufnahmen des Flusses und des Schiffes vermitteln viel zusätzliche Atmosphäre. Die Leuchtkraft von Tablet oder Monitor, die manchen Webcomics zum Vorteil gereicht, hat Siegels Artwork nie benötigt.

Und die Story über einen Dampfschiff-Kapitän, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Hudson River genauso in den Bann einer Meerjungfrau gerät wie der französische Schiffseigentümer und sein Bruder, überzeugt ebenfalls noch immer – dass „Sailor Twain“ einmal serialisiert veröffentlicht wurde, merkt man bei der Lektüre an einem Stück nicht mehr.

Von Hans Christian Andersen bis zur Loreley

Siegel inszeniert ein zwischen klassischen Mustern und Archetypen der amerikanischen Literatur und des internationalen Märchens verankertes Stück über Verlangen und Liebe. Dabei ist es unerheblich, ob man beim Thema Meerjungfrauen nun zunächst an Hans Christian Andersens Märchen von 1837 denkt oder auf Anhieb weiß, dass die ersten Geschichten über Meermenschen und Sirenen wohl bereits um 1000 v. Chr. im Mesopotamien aufkamen und natürlich auch in den Geschichten aus 1001 Nacht zu finden sind. Schön, dass Siegel diversen antiken Vorbildern und Quellen folgt und seine hübsche Meerjungfrau mit dem Lockruf der Sirene ausstattet – und im Verlauf seiner Geschichte auch vor der Düsternis und Grausamkeit vieler Märchen und Sagen keine Angst hat. Genauso hübsch verquickt ist der Schiffsname Lorelei: Schließlich wird der Hudson aufgrund seiner reizvollen Uferlandschaft ab und an als der Rhein Amerikas bezeichnet. Es sind diese Details und noch viel mehr Referenzen und Anspielungen, die Kapitäns Twains ganz persönlicher emotionaler Irrfahrt auf dem Hudson eine zusätzliche Ebene geben.

Im Internet gestartet: Das Cover der deutschen Buchausgabe.

© Egmont

Geheimnisvoll und romantisch, erotisch und surreal, intensiv und spannend: Mark Siegels Comic-Märchen über den Lockruf der Meerjungfrau und alle Arten von Obsessionen ist mindestens so fesselnd wie vielschichtig – und schippert Seite für Seite mit großer erzählerischer Eleganz durch ein Meer menschlicher Begierden.

Mark Siegel: Sailor Twain oder Die Meerjungfrau im Hudson, Egmont Graphic Novel, 400 Seiten, 24,99 Euro

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