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Vollfett: Eine typische Bretécher-Szene aus dem besprochenen Sammelband.

© Claire Bretécher, Dargaud (Mediatoon) / Carlsen Verlag 2022

Comic-Klassiker „Die Frustrierten“: Der Kampf geht weiter

Claire Bretéchers feministische Comics aus den 70ern sind Kult. Ihr Blick auf Lust und Frust im bürgerlich-linken Alltag wirkt noch heute überraschend aktuell.

Langeweile, Gespräche über Zellulitis und stets Wein und Zigaretten zur Hand – mit ihrer Comicserie „Die Frustrierten“ über neurotische Singles, phlegmatische Ehemänner und entnervte Ehefrauen aus der französischen Bildungselite profilierte sich Claire Bretécher (1940–2020) in den frühen 70er Jahren als erste feministische Comicautorin.

Dichtung und Wahrheit: Ein weiterer Strip von Claire Bretécher.

© Claire Bretécher, Dargaud (Mediatoon) / Carlsen Verlag 2022

Jetzt hat der Carlsen-Verlag in seiner Reihe „Comic-Bibliothek der Klassiker“ die komplette Serie in einem großen Sammelband neu veröffentlicht (aus dem Französischen von Rita Lutrand und Wolfgang Mönninghoff, 312 S., 35 €). In dem hochwertig gestalteten, großen Hardcoverbuch finden sich auf gut 300 Seiten alle Comics, die von 1973 bis 1981 jeweils einseitig in der französischen Wochenzeitschrift „Le Nouvel Observateur“ erschienen.

Zu den Themen, die Bretécher aufgriff, gehören etwa die verfehlte Arbeitsteilung von Ehepartnern im Haushalt, oder die Unzufriedenheit von Frauen, die üblicherweise zugunsten der Care-Arbeit auf ihre Karriere verzichten.

Ein echter Genuss ist Bretéchers konsequente Darstellung ihrer weiblichen Protagonisten als müde Wesen mit tiefen Augenringen, hängenden Schultern und Mundwinkeln und nur hin gekritzelten, kleinen Brüsten, statt sie mit den ewig gleichen Schönheitsattributen wie langen Beinen, schmaler Taille, großen Augen, Mündern und Brüsten auszustatten: Projektionsfiguren, die begehrt, besessen und beschützt werden dürfen, nicht aber als gleichwertige Partnerinnen anerkannt werden müssen. Bei Bretécher wirken Männer und Frauen gleichermaßen schlaff und ungesund.

Für Bretécher, die 1963 als Comiczeichnerin zu arbeiten begann – erst mit René Goscinny, dem Vater der „Asterix“-Comics, dann für das Comic-Magazin „Tintin“ – waren „Die Frustrierten“ der Durchbruch als international anerkannte Künstlerin. Beim „Observateur“, so heißt es im Nachwort des Bandes, habe man ihr Zeit gegeben, ihre Stimme zu entwickeln.

Eine Schlüsselfigur bei der Etablierung der Erwachsenencomics

Sie selbst sagte später über ihre Serie: „Die damalige Rechte war sehr kohärent, sie lebte, wie sie dachte, da war kein Bruch. Die Linke dagegen lebte auf die eine Art und dachte auf die andere. Das sorgte für einen komischen Effekt, und den habe ich genutzt.“ Bretécher war nicht nur als Künstlerin anerkannt, sondern bald auch in den Medien beliebt und wurde eine Schlüsselfigur bei der Etablierung der Erwachsenencomics.

Ein weiteres Bild aus dem Sammelband.

© Claire Bretécher, Dargaud (Mediatoon) / Carlsen Verlag 2022

Aber ist der feministische Inhalt der Comics 50 Jahre nach Erscheinen überhaupt noch relevant? Ist der ironische Blick auf die damals bürgerlich Linken in Frankreich noch nachvollziehbar? Ganz klar: Ja.

Bretéchers scharfe Beobachtungen in ihren pointierten Zeichnungen sind ebenso erfrischend wie alarmierend zeitgemäß. Sieht man einmal davon ab, dass es glücklicherweise nicht mehr üblich ist, Prügelstrafen zur Kindererziehung einzusetzen, nehmen „Die Frustrierten“ bis auf wenige Ausnahmen das links- orientierte Bildungsbürgertum mit seinen Alterungs- und Erziehungsproblemen und dem Faible für Bio-Produkte auch heute noch treffend auf die Schippe.

Die minimalistischen Zeichnungen mit den knollennasigen Protagonist:innen sind nach wie vor urkomisch, die Dialoge, die Situationskomik und zum größten Teil die Themen haben die Aktualität nicht verloren.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Carlsen

Das ist bemerkenswert, zeigt aber auch, wie wenig sich bezüglich der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern getan hat. Noch immer ist die unbezahlte Care-Arbeit der Mütter Gegenstand gesellschaftlicher Debatten. Besonders sichtbar wurde das mit Beginn der Corona-Lockdowns, während der viele Familien in überkommen geglaubte Strukturen verfielen und ein Großteil der Mütter zusätzlich zum Job den größten Teil der bei geschlossenen Schulen und Kitas massiv anfallenden Care-Arbeit übernahm.

[Weitere Tagesspiegel-Artikel zu Comics und Feminismus hier: Die vielen Gesichter des Feminismus, Grundkurs in Feminismus, Ausbruch aus der Schönheitsfalle.]

Studien zeigen außerdem: Noch immer sind Frauen in den Führungsetagen unterrepräsentiert. Nur langsam steigen die Zahlen, trotz staatlicher Vorgaben arbeiteten im Jahr 2021 etwa 29 Prozent Frauen in leitenden Positionen. Sehr langsam steigt etwa auch der Anteil der Väter in Elternzeit, der 2019 bei 1,6 Prozent lag.

Wenn also etwas an den „Frustrierten“ das Zeug zum Frustrieren hat, ist es der Umstand, dass die strukturelle Auseinandersetzung mit feministischen Themen und Forderungen weiterhin höchst relevant ist, aber politisch zu wenig abgebildet wird.

Was die Protagonist:innen in den Comics besonders auszeichnet, ist ihr Bedürfnis zu reden. Tief in die Sofakissen gefläzt, am Strand liegend oder am Telefon, Whiskey oder Wein trinkend und stets rauchend, prangern sie gesellschaftliche und private Missstände an, meckern, beschweren sich, sind wütend, verzweifelt oder genervt – aber wirklich ändern tun sie nichts. Dafür geht es „Den Frustrierten“ wohl doch zu gut.

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