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Kampf um Klarheit. Zwei Seiten aus dem Buch.

© Illustration: Papadatos/Atrium

Philosophie im Comic: Das Drama mit der Logik

Die Graphic Novel „Logicomix“ ist einer der erfolgreichsten Comics der vergangenen Jahre. Jetzt zeigt eine Ausstellung in Berlin Originale aus dem Buch.

Ein paar Griechen machen sich auf, eine Geschichte über Logik in Form eines Comicromans zu erzählen – ein gewagtes Unterfangen. Dass die Autoren ausgerechnet einen Briten zum Protagonisten erkoren haben, anstatt unter den zahlreichen ehrwürdigen Denkern vor der eigenen Tür zu suchen, ist die zweite ihrer erstaunlichen Entscheidungen. Noch erstaunlicher: Beide gehen auf.

Denn es handelt sich, das stellen die Autoren in ihrem vergangenes Jahr erschienenen Buch eingangs klar, nicht um ein verkapptes Lehrbuch oder eine Einführung in hochspezielle mathematische Materie. „Logicomix“, das jetzt in Berlin mit einer Ausstellung im griechischen Kulturzentrum gewürdigt wird, ist eine veritable Erzählung, die sich um das dreht, was Mathematik in letzter Konsequenz bedeutet: die Suche nach der reinen und absoluten Wahrheit. Darunter machen sie es nicht – weder die Autoren, noch die Mathematiker und Philosophen, die das Personal der Geschichte stellen.

Grabenkämpfe, Wahnsinn, Verzweiflung

Die ganz großen Fragen also, und die Leidenschaft, mit der diese verfolgt werden. Das macht den Wurf von Doxiadis, Papadimitriou, Papadatos und Di Donna nicht zu einem Actioncomic, reichlich Dramatik ist dennoch vorhanden, durch die ideologischen Grabenkämpfe, die Ansätze (und ernsteren Fälle) von Wahnsinn, die Zweifel und Verzweiflung der Figuren. Die Hauptfigur, der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell, erweist sich als ausgesprochen gute Wahl.

Nicht nur trifft es sich, dass Russell die Wiederbelebung der Logik als wissenschaftliche Disziplin ab Ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich mit vorangetrieben hat und die anderen auftretenden Forscher – darunter Kurt Gödel, Gottlob Frege oder Ludwig Wittgenstein – beeinflusst oder von ihnen gelernt hat. Von den Autoren in erster Linie bevorzugt, weil er „kein Meganerd“ war, trägt Russell mit den zahlreichen Facetten seiner Persönlichkeit die Geschichte mühelos: als Womanizer mit schwierigen Ehen, als Pazifist oder als engagierter Erneuerer.

Schwierige Suche nach dem richtigen Weg - in der Philosophie wie im Comic

Als Freigeist und Vordenker verkörpert Russell auch über die Mathematik hinaus die Vielschichtigkeit des Buches selbst. Seine Suche und sein Scheitern, seine Getriebenheit, seine Zweifel und die immer wieder neuen Anläufe vermitteln einen starken Eindruck seines Daseins als Grundlagenforscher.

Die Autoren arbeiten in beeindruckender Virtuosität: Sie haben ein komplexes Gefüge aus ineinander verwobenen Handlungssträngen geschaffen, mit Witz gezeichnet und fein komponiert. Die Rahmenhandlung, in der der vormalige Pazifist Russell die Frage nach dem Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg erörtert, Russells eigene mathematisch-philosophische Suche, die Geschichte der Herstellung des Comics selbst, und der gelegentlich aufscheinende Subplot der Orestie von Aischylos: Alle Erzählungen sind miteinander verknüpft, und alle behandeln die Hauptmotive der Suche nach dem richtigen Weg, Absolutheitsansprüchen und deren Verwerfung.

Zu Recht ein internationaler Bestseller

Analog ist die zentrale Aussage über die epische Suche nach Wahrheit: Letztlich ist sie so existenziell wie endlos – denn angesichts des Lebens kann auch das plausibelste Modell zum Einsturz kommen. Damit ist das Buch auch, ganz im Sinne Russells, eine Absage an religiöse Absolutheit und eine Aufforderung, mit vollem Einsatz der Vernunft weiterzusuchen, so gut es eben geht. Es ist daher konsequent, dass die Autoren ihre Verneinung ewiggültiger Gewissheit in Comicform dennoch auf ein solide recherchiertes Fundament gestellt haben. Abweichungen von historischen Fakten werden kenntlich gemacht, ein Glossar und Literaturangaben geben weiterführende Hinweise.

Und so ist „Logicomix“ ein vielschichtiges, unterhaltsames, mutiges und thematisch relevantes Werk, das mühelos die Schönheit der Mathematik, Ideologiekritik, eine Ideengeschichte des frühen 20. Jahrhunderts sowie eine Ursprungslegende des Computers unter einen Hut bekommt. Und das zu Recht die vorderen Plätze internationaler Bestsellerlisten erobert hat.

Apostolos Doxiadis / Christos H. Papadimitriou (Autoren), Alecos Papadatos (Zeichnungen), Annie di Donna (Farben), Dimitris Karatzaferis und Thodoris Praskevas (Tusche) und Anna Bardy (Lettering): Logicomix - eine epische Suche nach Wahrheit, 352 Seiten, 24,90 Euro, Atrium, mehr hier.

Die Ausstellung mit Originalzeichnungen aus dem Buch wird bis zum 14. Oktober montags bis freitags von 10 bis 16 Uhr in der Griechischen Kulturstiftung in Berlin gezeigt, Wittenbergplatz 3A, mehr unter www.griechische-kultur.de.

Was einen griechischen Schriftsteller antreibt, fünf Jahre lang an einem mathematisch-philosophischen Comic zu arbeiten? Das erzählt „Logicomix“-Autor Apostolos Doxiadis im Tagesspiegel-Interview unter diesem Link.

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