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Nach der Apokalypse: Eine Seite aus „Die Welt der Söhne“.

© Avant

„Die Welt der Söhne“ von Gipi: Am Ende der Zivilisation

Hass, Liebe und viele Fragen ohne Antwort: In Gipis postapokalyptischer Erzählung „Die Welt der Söhne“ geht es um den Kampf des Menschen mit sich selbst.

Wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, zeigt jedes Geschichtsbuch. Der Dreißigjährige Krieg, die Sklaverei, Hexenverfolgung: Es bedarf nur wenig, dass Menschen beginnen, andere Menschen wie Tiere zu behandeln – oder wie Dinge. Es scheint, als sei dies ebenso ein Teil der conditio humana wie die Nächstenliebe, und welche dieser beiden Seiten am Ende die Oberhand behält, ist immer wieder offen.

„Die Welt der Söhne“ des italienischen Comicautors Gipi erzählt von diesem Kampf des Menschen mit sich selbst: In einer postapokalyptischen Sumpflandschaft lebt ein Vater mit seinen zwei Söhnen. Sie jagen Hunde, tauschen, suchen nach Nahrung. Die Umwelt ist vergiftet, die Zivilisation zusammengebrochen, es gibt keine Geschichtsschreibung mehr. Die Söhne können weder lesen noch schreiben, ihr Vater hat es verboten.

„Man weint nicht – wenn man weint, nutzt ein anderer das aus“

Er erinnert sich noch, wie es vor „dem Ende“ war, schreibt regelmäßig in sein Notizheft, schottet seine Kinder jedoch vor der Vergangenheit ab, möchte sie hart machen. „Man weint nicht – wenn man weint, nutzt ein anderer das aus“, lautet eine der vielen Regeln des Vaters.

Als er stirbt, begeben sich der selbstbewusste Lino und sein gutmütiger, dummer Bruder auf die Suche nach jemandem, der das Notizbuch entziffern kann. Doch in dem von schwüler, klebriger Luft und Mücken verseuchten Sumpf stoßen sie nur auf verbitterte Einzelgänger, brutale Sekten und groteske Farmer, die Schweine besser behandeln als Menschen.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Avant

Gipi schafft mit wenigen, hingeworfen wirkenden Strichen ein pessimistisches Szenario, das an Cormac McCarthys „The Road“ erinnert. Am berührendsten ist die Schilderung der von Hassliebe geprägten Beziehung zwischen Lino und seinem Vater, die nach dessen Tod durch das rätselhafte Heft verkörpert wird. Das steht auch für die Frage, wie man die Fehler der Vergangenheit überwinden kann?

Es gibt keine abschließenden Antworten auf diese und viele andere Fragen, die „Die Welt der Söhne“ aufwirft. Gipi erinnert daran, dass vermeintlich feste Grundsätze unserer Gesellschaft keinesfalls in Stein gemeißelt sind – und dass es nicht so einfach ist, Mensch zu sein, wie man oft denkt.

Gipi: Die Welt der Söhne, Avant, aus dem Italienischen von Myriam Alfano, Handlettering Olav Korth, 288 Seiten, 30 Euro

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