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Die Kolonisatoren. Leutnant MacLennan (Mark Stanley) und der Söldner Bill (Benjamín Westfall) werden vom Hirten Segundo (Camilo Arancibia) geführt.

© Quijote Films

„Colonos“ im Kino: Bestien im Morgennebel 

Felipe Gálvez’ eindrucksvoller Debütfilm „Colonos” erzählt im Gewand des Westerns von der gewaltvollen Kolonialisierung Chiles Anfang des 20. Jahrhunderts.

Aus dem Morgennebel tauchen drei Gestalten auf. Sie rücken immer näher an eine Indio-Siedlung heran, die Kamera filmt sie frontal in einer unbewegten Einstellung. Dann eröffnen sie das Feuer. Männer, Frauen, Kinder – alle sterben. Sie leisten keine Gegenwehr. 

Dieses Massaker ist die zentrale Szene in der chilenisch-argentinischen Co-Produktion „Colonos”, die den drei Angreifern im Jahr 1901 durch ein beinah menschenleeres Feuerland an der Südspitze Chiles folgt. Der schottische Offizier MacLennan (Mark Stanley), der texanische Söldner Bill (Benjamín Westfall) und der halb-indigene Hilfsarbeiter Segundo (Camilo Arancibia) sollen eine Passage zum Atlantik finden, über die ein Großgrundbesitzer (Alfredo Castro) seine Schafe zum Atlantik treiben lassen will.  

Der warnt sie noch vor den „Bestien”, denen sie auf ihrem Weg begegnen würden. Er meint die Indios. Doch wer hier die eigentlichen Bestien sind, daran lässt Regisseur Felipe Gálvez keinen Zweifel. Er nutzt das Genre des Western, um ein überaus aktuelles Thema zu verhandeln: die Kolonialisierung von Chile. Ein grausames Kapitel in der damals noch jungen Geschichte der Nation. 

Der Wind pfeift über die Hügel des Landes an der Westküste des Kontinents. Weite, anmutige Kargheit – alles, wie es sein soll in einem Western. Doch nach Schwelgen ist Gálvez nicht zumute. Er entzieht den Bildern die Farbintensität und hegt sie von Beginn an ein. Links und rechts am Rand: schwarze Balken statt Breitwand-Pracht. 

Der Realität enthoben

Nicht nur das kompakte Format erinnert an frühe Vertreter des Genres. Auch die Ökonomie der Einstellungen scheint einer Zeit entsprungen, in denen Filme noch ausschließlich für die Kinoleinwand gedreht wurden. Großaufnahmen von Mensch und Tier setzt Gálvez sparsam, aber umso effektiver ein. 

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In seinem Debüt findet der 41-jährige Regisseur eine souveräne, sehr eigene Bildsprache. Gálvez lädt sie mit sichtbarem Kunstwillen auf, ohne dass dieser zum Selbstzweck verkommen würde. Gleichzeitig wählt er ein bedächtiges Tempo und setzt sonderbare Pausen in den Dialogen. Das Geschehen scheint dadurch ein paar Zentimeter über dem Boden der Realität zu schweben.  

Abstieg in die Hölle

Dennoch verliert das Gezeigte nie an Durchschlagskraft. Der Film ist hart – so hart, wie ein Film über das Thema sein muss. Auch für die drei Reisenden wird die Tour zu einem Abstieg in die Hölle. Gefahr droht ihnen jedoch ausschließlich durch andere Kolonisatoren. Spanier, Briten, Amerikaner, die ihre eigenen Interessen in der chilenischen Prärie verfolgen. Gálvez vermittelt ein Gefühl für den Irrsinn der historischen Ereignisse und damit auch für das Ausmaß der Verbrechen an der indigenen Bevölkerung. 

Faszinierend ist dabei besonders die Figur des Segundo. Der Hirte spricht nur wenige, wohl überlegte Sätze. Er kann gut mit dem Gewehr umgehen, weswegen er von Leutnant MacLennan als Begleiter auserkoren wird. Seine Mitreisenden begegnen ihm mit unverhohlenem Rassismus.

Man blickt mit seinen Augen auf das menschenverachtende Geschehen und erwartet geradezu, dass er irgendwann die Waffe gegen seine Partner erhebt. Es gehört zu den Stärken des Films, dass Gálvez und Drehbuchautorin Antonia Girardi eine ganze Palette von Schattierungen zwischen Schuld und Unschuld auffächern. 

Eine geradlinige Western-Erzählung reicht ihnen nicht aus. Im letzten Kapitel des Films verschieben sie den Blickwinkel: Ein Abgesandter der nationalistischen chilenischen Regierung (Marcelo Alonso) taucht beim Großgrundbesitzer auf und stellt ihn zur Rede. Muss er sich nun für die Grausamkeiten verantworten, die seine Arbeiter in seinem Auftrag begangen haben? Doch schnell wird klar, dass der Staatsbedienstete eine eigene Agenda der Ausbeutung verfolgt. Für die braucht er nicht mal ein Gewehr. Eine Kamera ist ihm mehr als genug.

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