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Miss Novak (Mia Wasikowska) wirbt unter ihren Schülerinnen und Schülern für ihrer Diät-Lehren.

© Neue Visionen Filmverleih

„Club Zero“ im Kino: Hungerstreik der letzten Generation

Essensverzicht für eine bessere Welt. Jessica Hausners „Club Zero“ handelt von einer Diät-Sekte an einer teuren englischen Privatschule. Ist das Sozialsatire oder ein Horrorfilm?

Von Andreas Busche

Der Elternrat hat beschlossen, dass die Kinder mehr auf ihre Ernährung achten sollen. Als wäre der Druck im privat finanzierten britischen Bildungssystem nicht schon groß genug. Hat nicht gerade erst Emerald Fennell ihre eigenen Oxford-Erfahrungen in der bösen Gesellschaftssatire „Saltburn“ verarbeitet? Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner hat „Club Zero“ tatsächlich an der altehrwürdigen Eliteuniversität gedreht, allerdings auf dem Gelände des in den 1960er Jahren erbauten Wolfson College.

Es ist ein heller, lichtdurchlässiger Ort, der in seiner Skandi-Modernität so aufgeräumt daherkommt wie die Bilder von Martin Gschlacht. Die geometrische Architektur nimmt dem Ort die Bürde der Geschichte: eintausend Jahre klassenbewusster Meritokratie.

Achtsamkeit zwischen Mandarin- und Ballettunterricht

Zwischen den Gebäuden gleitet Miss Novak (Mia Wasikowska) wie auf Schienen. Auch die Welt um sie herum bewegt sich in Zeitlupe, was einen schönen Insta-Effekt ergibt, der stilistisch perfekt zum Retro-Chic der neuen Lehrerin passt. Miss Novak kommt mit Vorschusslorbeeren an die teure Privatschule, ihre gefeierten Lehrmethoden sind eine willkommene Abwechslung im dichten Bildungsangebot an die zukunftsgeplagten Kinder aus reichem Hause: ein bisschen Achtsamkeit zwischen Mandarin- und Ballettunterricht.

Dass ihr Ernährungskurs zudem Extrapunkte für soziales Engagement verspricht – damit die Chancen aufs nächste Stipendium steigen –, ist nur ein netter Nebeneffekt.

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Elsa, Fred, Ragna, Ben und Helen nehmen aus sehr unterschiedlichen Gründen an Miss Novaks Klasse teil – und alle haben vor allem mit der Entfremdung von der Generation der Eltern zu tun. Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Stressreduktion, Fitness, bewusste Ernährung: Es ist eine Buzzword-Parade, die die wohlstandverwahrlosten Trustfund-Kids ein bisschen mitleiderregend aussehen lässt.

Verweigerung als Protest gegen die kapitalistische Ideologie des Wachstums. Weniger ist mehr. Es geht in „Club Zero“ aber nur auf den ersten Blick um das richtige Leben im falschen, denn die Lehren der Pädagogin, die einen eigenen Fastentee vermarktet, laufen auf eine provokante Pointe hinaus.

Die „pflanzenbasierte Monodiät“ fungiert lediglich als harmloser Einstieg in die Welt der achtsamen Ernährung, die zunächst noch an einer Tafel Schokolade geübt wird. Denn das Ziel des Kurses ist der komplette Essensverzicht, zur Erlangung eines höheren Bewusstseins.

Club der Essgestörten (von links): Fred (Luke Barker), Ragna (Florence Baker), Helen (Gwen Currant), Elsa (Ksenia Devriendt) und Ben (Samuel D. Anderson). 
Club der Essgestörten (von links): Fred (Luke Barker), Ragna (Florence Baker), Helen (Gwen Currant), Elsa (Ksenia Devriendt) und Ben (Samuel D. Anderson). 

© Neue Visionen Filmverleih

Die Eltern müssen bei den Wochenendbesuchen ihrer Kinder die Folgen dieser sektiererischen Pädagogik aushalten: passiv-aggressives Schweigen am Tisch, gelangweiltes Herumgestochere im Essen, Kotzen im Badezimmer. Die Erziehungsberechtigten beginnen zu ahnen, dass es vielleicht doch keine gute Idee war, ihre Kinder in die Obhut der neuen Lehrerin zu geben. Allerdings sind sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die Kids können einem leidtun.

Ungesunde Körperbilder auch ohne Social Media

Trotzdem beginnt man sich irgendwann zu fragen, worauf Hausner mit ihrer Parabel eigentlich hinauswill. Um die guten Gründe für eine „achtsame Ernährung“ geht es bald schon nicht mehr. Aber auch die sozialen Medien – immer noch die Hauptursache für ungesunde Körperbilder und gestörtes Essverhalten – spielen in „Club Zero“ keine Rolle. Der Film scheint in einer eigenen Realität zu existieren.

Die Einstellungen sind statisch und steril, obwohl warme Farbtöne überwiegen. Die Kamera versucht die Inszenierung gar nicht erst zu kaschieren, das theaterhafte Ambiente wird durch den tonlosen Sprachduktus noch unterstrichen. In der Schulmensa werden die Portionen immer kleiner, ihren Außenseiterstatus in der sozialen Hackordnung tragen Elsa, Fred, Ragna, Ben und Helen nun stolz wie eine Auszeichnung. Ben (Samuel D. Anderson), dessen alleinerziehende Mutter das Schulgeld kaum aufbringen kann, ist innerhalb der Gruppe nochmals ökonomisch marginalisiert.  

Auch die Motive der Lehrerin bleiben, im Gegensatz zu denen der Jugendlichen, unklar. Den genderfluiden Fred (Luke Barker) nimmt Miss Novak unter ihre Fittiche, sie lädt ihn in die Oper ein. Die Grenzen von Pädagogik und Fürsorge verschwimmen langsam, die Lehrerin wird zur Mentorin: Die Jugendlichen verfallen der „Zero Tolerance“-Ideologie der selbst erklärten Ernährungsexpertin. Doch Mia Wasikowskas stoische Mimik verrät nie, ob „Club Zero“ eine Sozialsatire oder doch ein moderner Horrorfilm sein möchte.

Die Triggerwarnung, die „Club Zero“ vorangestellt ist, hat Hausners Film zwar nicht nötig; auf den Schockeffekt von eingefallenen Teenagerkörpern und hervorstehenden Hüftknochen verzichtet die Regisseurin. Dafür fokussiert „Club Zero“ viel zu sehr auf das soziale Gefüge des höheren Bildungsbürgertums.

Der Horror sind die hilflosen Eltern, eingekapselt in ihren rundum verglasten Luxushäusern, gegen deren Lebenswelten die Kinder keinen anderen Ausweg als den totalen Verzicht sehen. Diese Interieurs passen zu Hausners Inszenierung eines Versuchsaufbaus mit einem sorgfältig abgestimmten Farbkonzept. Dass Elsa, Fred, Ragna, Ben und Helen gute Gründe für ihr diffuses Unbehagen haben könnten, entgeht jedoch der ambivalenten Moral von „Club Zero“.

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