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Chesley „Sully“ Sullenberger (Tom Hanks)

© Courtesy of Warner Bros. Enterta

Clint Eastwoods "Sully" mit Tom Hanks: Der bessere Amerikaner

Nachspiel einer Notlandung: Clint Eastwood setzt in „Sully“ auf einen Helden der umsichtigen Art.

Für die Öffentlichkeit, also die Bürger und die Medien, war der Fall sofort klar: die Notwasserung des US-Airways-Flugs 1549 auf dem Hudson war ein Wunder, der verantwortliche Flugkapitän Chesley Sullenberger, genannt Sully, ein Held. „Es ist lange her, dass New York so gute Nachrichten hatte, vor allem welche mit einem Flugzeug“, heißt es einmal in Clint Eastwoods Film „Sully“, der die Ereignisse des 15. Januar 2009 nachzeichnet – nicht der erste eindeutige Bezug auf den 11. September 2001: Schon die Anfangsszene zeigt eine Passagiermaschine, die mit fallender Flughöhe zwischen den Wolkenkratzern Manhattans zu drehen versucht, bevor sie explodierend in ein Gebäude einschlägt. Sully (Tom Hanks) erwacht, es war bloß ein Albtraum, doch die irrealen Bilder sind nur zu vertraut.

Auch siebeneinhalb Jahre nach dem Anschlag auf die Twin Towers hat New York gute Nachrichten dringend nötig, und mehr noch: einen Helden. Das prädestiniert diesen Stoff für Eastwood, der sich über weite Strecken seiner Filmografie an Heldenmythen abarbeitete. In den besten Fällen bedeutete das, Helden als Mythen zu entlarven.

"Sully" erzählt von den Ermittlungen nach der Notlandung

Menschen brauchen Helden, in schweren Zeiten mehr denn je, weiß Eastwood, und sie nehmen erhebliche Mühen in Kauf, um welche zu erschaffen. So kommt in Eastwoods Meisterwerk „Erbarmungslos“ (1992) eine im Westerngenre sonst sträflich unterrepräsentierte Figur vor: ein Biograf, der im Gefolge eines Revolverhelden reist, um dessen Heldentaten aufzuzeichnen (und bei der ersten Gelegenheit zum nächsten Helden überzulaufen). Im Kriegsfilm „The Flags of Our Fathers“ von 2006 geht es erneut um heroische Symbolik – und den Kontrast zu den individuellen Schicksalen, die sich dahinter verbergen.

So sehr Eastwood auch bei „Sully“ thematisch in seinem Element ist, so untypisch für ihn ist die konkret erzählte Geschichte. Statt um die künstliche Konstruktion eines Helden geht es um einen Protagonisten, der sich zwar selbst nicht als Held versteht, seine außergewöhnliche Leistung aber couragiert gegen Anfechtungen verteidigt. Denn „Sully“ erzählt – aus gutem Grund – nicht die Story, die jeder kennt, sondern die spätere Untersuchung des Vorfalls durch die Behörde für Transportsicherheit: Hätte Sullenberger das Flugzeug nach dem doppelten Triebwerkausfall nicht auch auf einem der nahe gelegenen Flughäfen landen können? Hat er also das Flugzeug unnötigerweise in den Fluten versenkt und dabei 155 Menschen fahrlässig in Lebensgefahr gebracht?

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Große Teile des Films spielen an Verhandlungstischen in Besprechungszimmern. Dort werden die 208 Sekunden zwischen der Kollision mit einem Wildgansschwarm und dem kontrollierten Absturz auf dem Hudson zunächst diskutiert, dann von Computern durchgerechnet und schließlich an Simulatoren nachgestellt. Dass „Sully“ bei all der behördlichen Aufarbeitung packend bleibt, ist drei Faktoren zu verdanken. Das Drehbuch von Todd Komarnicki bricht Chronologie und Perspektiven auf und gewinnt dem Geschehen so immer wieder neue Seiten ab. Das Spiel von Tom Hanks, der für die Rolle des so bescheidenen wie kompetenten Flugkapitäns wie geschaffen scheint, ist exzellent. Hinzu kommt die souveräne Erzählkunst von Clint Eastwood, der als Regisseur seinem Helden an Seriosität und Professionalität kaum nachsteht.

Eastwood lobte Trump für seinen Mut, anzuecken

Weniger cool fallen mitunter Eastwoods Aussagen abseits seiner Filme aus. Im Sommer provozierte er viele Amerikaner mit einem Interview, in dem er die politische Korrektheit der heutigen „pussy generation“ anprangerte und Donald Trump für seinen Mut lobte, mit seiner Meinung anzuecken. Wenn sich von diesen Ansichten in „Sully“ etwas findet, dann weniger in der Figur des Helden – gegensätzlicher als Trump und Sullenberger können zwei ältere weiße Amerikaner kaum sein – als in dessen Antagonisten, den Bürokraten und Technokraten der Transportsicherheitsbehörde.

Diese Schreibtischtäter mit ihrer Faktenfixierung und wissenschaftlichen Methodik zum Gegenspieler eines mit Lebenserfahrung und Bauchgefühl argumentierenden Praktikers zu stilisieren, passt in eine Zeit, in der die Vokabel „Experte“ in gewissen Kreisen – und durchaus nicht nur in den USA – als Schimpfwort gilt. Erträglich wird dieses Ressentiment nur dadurch, dass die Alternative zu diesen Experten kein unberechenbarer, egozentrischer Populist ist, sondern der umsichtige und verantwortungsbewusste Captain Sully.

In 19 Berliner Kinos; OV im Alhambra, Karli, Colosseum, Cubix, Cinestar SonyCenter, Imax; OmU im Filmkunst 66

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