zum Hauptinhalt
Der Schriftsteller Christian Kracht

© picture alliance / dpa

Christian Kracht in Berlin: Mit der Aura eines Popstars

Mindestens eine Weltpremiere: Die "Eurotrash"-Lesung von Christian Kracht im Kammermusiksaal der Philharmonie in Berlin.

Von Christian Kracht weiß man, dass er medienscheu ist und nach den Veröffentlichungen seiner Bücher eher ungern auf Lesetour geht. So verhielt sich das natürlich auch, nachdem Ende Februar mitten im Lockdown sein Roman „Eurotrash“ veröffentlicht worden war - da erübrigten sich Lesungen ohnehin aus den bekannten Gründen.

Deshalb kam es am Donnerstagabend im Kammermusiksaal der Philharmonie tatsächlich zur allerersten „Eurotrash“-Lesung von Kracht. Diese superlativierte Ulrich Schreiber, der Leiter des Internationalen Literaturfestivals Berlin, dann gleich als „Weltpremiere“ – so als schauten New York, London, Santiago de Chile oder Johannesburg jetzt neidischst nach Berlin, weil Kracht der Hauptstadt und natürlich Schreibers Literaturfestival den Vorzug gegeben hatte.

Die Frage vorher war, ob Kracht sich moderieren lassen und Fragen zu seinem Buch beantworten würde, vielleicht von seinem Lektor Helge Malchow, der ihm schon einmal in Leipzig bei der „Imperium“–Premiere zur Seite gestanden hatte.

Kracht las fast ein Drittel seines Romans

Doch schon beim Blick auf die noch leere Bühne wurde offensichtlich, dass das nicht der Fall sein würde: ein Tisch mit Mikro, ein paar kleine Wasserflaschen drauf, dahinter ein einziger Stuhl für den Schriftsteller.

Also kam Christian Kracht auf die Bühne, in einem beigen Trenchcoat, und das bestimmt drei-, vierhundertköpfige Publikum klatschte. Er setzte sich, behielt den Trenchcoat an und begann zu lesen, ohne erklärende Vorrede, und zwar mit der Passage, in welcher der Roman-Christian und seine Mutter mit einer Seilbahn in die Berge fahren, um dort nach Edelweißfeldern Ausschau zu halten.

Von Kracht weiß man ebenfalls, dass er ein ruhiger, fast zu leiser, eher nicht so lebendiger, hin und wieder raunender Vorleser ist. Doch konnte man ihn gut verstehen, zumal „Eurotrash“ sich mit seinen vielen Dialogen zwischen Mutter und Sohn gut zum Vorlesen eignet, von Kracht größtenteils durchaus mit Empathie und Rollenwechseln intoniert.

Hand aufs Herz

Er las dann und las und las, tatsächlich fast anderthalb Stunden, das letzte Drittel seines Romans bis zum Ende, als die Mutter nach der kleinen Schweiz-Tour mit ihrem Sohn wieder in ihrer Klinik abgesetzt wird.

Kracht wirkte professionell bei dieser Lesung, gestikulierte dabei gar ein wenig, legte manchmal eine Hand auf sein Herz, einmal auch, als es um die Seele ging, die bei beiden Romanfiguren ein einziges Nichts ist.

Auch das Öffnen der Wasserflaschen und das Einschenken erledigte er fast nebenbei, ohne den Vortrag zu unterbrechen. Was noch? Nichts. Volle Konzentration auf ein Buch, das mitunter wirklich spaßig ist mit seinen Literaturwitzchen ("Solche Sachen solltest du mal schreiben, wie Marcel Beyer", sagt die Mutter), "Faserland"-Verweisen und der szenischen Komik.

Als Kracht fertig war, gab es lange Ovationen, er verbeugte sich nach allen Seiten, weg war er wieder. Cooler Auftritt, kann man nicht anders sagen. Pop. Kommen, spielen, verschwinden. Und die Aura bewahrt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false