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Christian Borchert und die DDR-Familie: Vor und nach dem Fall

Der Berliner Fotograf dokumentierte mit zehn Jahren Abstand Familien in der DDR. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind nun in der Galerie Loock zu sehen.

Eine große Retrospektive von Christian Borchert findet zurzeit in Sachsen statt: Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Berliner Fotografen sind noch bis in den März im Dresdner Kupferstich-Kabinett, im Albertinum und an vielen kleineren Ausstellungsorten zu sehen.

Christian Borchert, 1942 in Dresden geboren und im Jahr 2000 bei einem Badeunfall verunglückt, fotografierte in der DDR unter anderem Alltagssituationen, Künstler und Schriftstellerinnen, dann Mauer und Mauerfall sowie seine Geburtsstadt Dresden im postsozialistischen Wandel. Diesen breit aufgestellten Rückblick nimmt in Berlin die Galerie Loock zum Anlass, an Borcherts bekannteste Serie zu erinnern: seine Familienporträts.

Die klassische Familie in der DDR

Rund 130 Groß- und Kleinfamilien zwischen Sachsen und Ostsee hielt Borchert Anfang der achtziger Jahre fest, im Auftrag für ein Buch, das, 1985 im linientreuen Dietz Verlag erschienen, Familie ganz konservativ – als Konstellation von Mutter, Vater, Kindern – verhandelte. Borchert ließ die Abgebildeten in ihrem Zuhause frei die Posen wählen, nahm jedoch stets dasselbe Objektiv, wählte ähnliches sommerliches Tageslicht und einen frontalen Blick.

Dieser strenge Rahmen macht die Milieugrenzen in der vermeintlich klassenlosen Gesellschaft der DDR besonders deutlich: hier der Komponist und die Ärztin mit Baby selbstbewusst am Flügel, eher schüchtern die Fleischerfamilie in ihrer schlichten Küche, mit geraden Rücken Pfarrer, Biologin und Kinder vor dem Bücherregal.

Aus dieser Serie sind 25 Beispiele bei Loock zu sehen, als Fries paarweise mit den Aufnahmen gehängt, die Borchert zehn Jahre später, nach dem Ende der DDR, in den Familien machte. Dieses Mal arbeitete er im Winter. So wirft nun Kunstlicht starke Schatten und lässt manche Szenen geradezu gespenstisch verhuscht aussehen: Der Pfarrer wirkt in sich zusammengesunken, das ärmliche Wohnzimmer der nun arbeitslosen Fleischer gibt kein Bildzentrum her.

Diskrepanz vor und nach 1989

Nur das Paar in Frankfurt (Oder) präsentiert sich und die Kinder stolz lächelnd und bildfüllend. Über die Gründe für die formale Diskrepanz zwischen den Bildern vor und nach 1989 lässt sich bisher nur spekulieren. Musste Borchert nach dem Mauerfall schneller arbeiten, weil er für den zweiten Teil keinen Auftrag hatte? Verbildlichte er die Atmosphäre in den Familien oder spiegeln die Familien seine eigene Stimmung? Notizen von Borchert dazu, heißt es, sind nicht bekannt.

Beide Reihen bei Loock bestehen aus posthumen Handabzügen von Originalnegativen, im Auftrag der Galerie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Fotothek entstanden, die einen Großteil von Borcherts Nachlass betreut. Sie sind als Set mit 50 Abzügen in einer Box erhältlich (9000 Euro). Als Einzelstücke zeigt Galerist Friedrich Loock acht Künstlerabzüge aus den achtziger Jahren (2500–3500 Euro), die von Borchert als stillem Beobachter zeugen.

Zwei Aufnahmen schließlich wurden zu Fototapeten vergrößert. Die eine zeigt eine junge Frau auf einem Felsen im Elbsandsteingebirge. Die Hände in den Taschen ihrer kniekurzen Hosen, die blondierten Haare punkig hochgegelt, schaut sie skeptisch zu Tal. Ein Modefoto von 1981, eine Auftragsarbeit, so frisch und stark, dass deutlich wird: Wenn er gewollt hätte, Christian Borchert hätte auch die Plakatgröße beherrscht.
[Galerie Loock, Potsdamer Str. 63; bis 15. Februar, Mi–Fr 14–18 Uhr, Sa 12–18 Uhr]

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