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Bob Dylan 2012 im Weißen Haus, wo er mit der US-Freiheitsmedaille geehrt wurde.

© dpa/picture-alliance/Jim Lo Scalzo

Bob Dylan live in Berlin: Chansonsänger, Crooner und Poet

Weiter, immer weiter geht es auf der "Never Ending Tour". Aber damit hat niemand gerechnet: Bob Dylan liefert in Berlin einen großartigen Auftritt.

Auch mit fast 78 Jahren macht er das, was er immer gemacht hat. Er überrascht. Der eher kleine Mann im weißen Jackett eröffnet kurz nach Acht in der nahezu ausverkauften Mercedes-Benz-Arena seinen Reigen mit „Things Have Changed“, einem mittlerweile programmatischen Song, für den er im Jahr 2000 einen Oscar bekam. Zwei Jahrzehnte und viele, oftmals irritierende Bob-Dylan-Erlebnisse später kann man nur sagen: fabelhaft!

Unglaublich, wie Dylan an sich arbeitet, wie er noch einmal neue Arrangements für die Klassiker findet, wie viel Kraft und Klarheit er in der Stimme hat, wie hoch er die Reimwörter zieht, als habe er einen dicken Fisch an der Angel, zum Beispiel bei „Like a Rolling Stone“. Da gibt es einen Cliffhanger vor dem Refrain, holt er noch Spannung aus einem Felsen, den die Zeiten doch längst ausgewaschen haben. Dylan spielt mit der Erosion, er hat seinen Zynismus abgelegt, jetzt ist die Atmosphäre durchsetzt von einem an Altersweisheit grenzenden Noir. Es hat sich was geändert.

Ein Chansonsänger, ein Crooner – und der rezitierende Poet. Am Ende wird er sich mit seinen Musikern verbeugen, sie spielen ewig schon zusammen auf der never ending tour, die Mühe, sie vorzustellen, macht er sich nicht. Auch kein Wort ans Publikum. Mit dieser Mischung aus kultivierter Schüchternheit und Arschigkeit hat Dylan viel Fans vor den Kopf gestoßen, als er die Stockholmer Literaturnobelpreistruppe brüskierte.

Erinnerungen an Bob Dylan und The Band in den Sechzigern

Die jüngsten Auftritte aber zeigen, dass in seinem Fall die Trennung von Musik und Poesie keinen Sinn ergibt, sie sind eins. So zärtlich-bitter hat man „Don’t Think Twice“ kaum je gehört. Er sitzt am Klavier und tastet sich durch dieses porös gewordene Liebeslied von seinem zweiten Album, „The Freewheelin’ Bob Dylan“, anno 1963. Die Szenerie des Abschieds von der Frau, der ein morgendliches Davonlaufen ist, steht einem frisch vor Augen. Und dann steht er auf, ist es ein genialer Moment, wenn er gleich darauf in den langsamen Trauermarsch von „Love Sick“ fällt, vom „Time Out of Mind“-Album (1997). Es ist die gleiche Straße, die der Mann nimmt, er ist nicht weit gekommen. Wohin sol ler sich auch wenden, wenn das Herz schwer ist. Der junge Kerl kann noch sagen, es sei „all right“, dass die Sache vorüber ist, aber so richtig glaubhaft klang die Versicherung noch nie, mehr nach Selbstbetrug. Das ältere Ego läuft im Kreis herum, einer Liebe überdrüssig, nach der er sich verzehrt.

Tony Garnier (Bass), George Recile (Schlagzeug), Charlie Sexton (Gitarre) und Donnie Herron (Violine, Banjo, Mandoline, Steel Guitar): Die vier Musiker umspielen ihn mit einer Souveränität und Einfühlung, wie man es sonst nur aus der klassischen Musik von einem Kunstlied-Interpreten und seinem Klavierbegleiter kennt. Hier haut Dylan selbst in die Tasten, manchmal zu heftig, sein Klavier ist ein Element der Unruhe im Ensemble.

Inzwischen verändert sich das Programm von Auftritt zu Auftritt nicht mehr, man könnte denken, so ein Dylan-Abend läuft knapp zwei Stunden auf Autopilot. Mit dieser traumwandlerischen Sicherheit erreichen die Fünf aber auch eine Stufe des Schwebens und zuweilen auch Taumelns, einen merkurischen Zustand, wie einst bei Bob Dylan und The Band in den Sechzigern.

Meisterwerke sind nie fertig

Damals rüstete er elektrisch auf, jetzt kann er reduzieren, herunterdimmen. „Soon After Midnight“ und „Scarlet Town“ , zwei neuere Nummern, atmen Country-Atmosphäre, versöhnlich-harmonisch. Früher hackte Dylan auf seinem Material herum, zerschlug sein Porzellan. Hier ergänzt, verknappt er behutsam, überdreht nicht mehr.

Und dann gibt es einen Song, der ein wenig in den Vordergrund gerückt wird, den man noch nicht so häufig im Konzert gehört hat. „When I paint My Masterpiece“ aus dem Jahr 1971 ist eine leicht ironische Verbeugung vor der Kultur des alten Europa in den „streets of Rome“, wo er „Botticellis niece“ auf sein Hotelzimmer einlädt – die Nichte des Renaissancemalers reimt sich so schön auf „masterpiece“. So singt einer, der auf die Achtzig zugeht und schon ein paar Meisterstücke geliefert hat. Er singt es mit Inbrunst und Freude und nimmt in manchen Songs ein paar Retuschen im Text vor, schenkt „Blowin’ in the Wind“ eine Fiedel. Meisterwerke sind nie fertig. Und weiter geht es: Prag, Paris, Wien, Pamplona, Porto, Helsinki, Oslo, Roskilde, London usw., 37 Auftritte in Europa bis Mitte Juli.

Die Frage, warum er sich das antut, ob er sich und der Welt noch etwas zu beweisen hat, bringt nichts. Ein Tintoretto hat auch gemalt, bis ihm der Pinsel aus der Hand fiel.

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