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Ein Wispern von 1920. Caroline Peters fühlt sich mit früheren Buhlschaften verbunden.

© Raffaela Pröll

Caroline Peters bei den Salzburger Festspielen: „Ich trage das Staffelholz weiter“

Hundert Jahre „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen, mit Caroline Peters als Buhlschaft. Ein Gespräch über Frauenrollen, Corona-Utopien und Surfen auf der Atmosphäre.

Caroline Peters, Jahrgang 1971, gehört zu den profiliertesten deutschen Schauspielerinnen. Mehrfach war sie Theaterschauspielerin des Jahres. Sie hat an allen wichtigen deutschsprachigen Bühnen gespielt und ist seit 2004 Ensemblemitglied im Wiener Burgtheater. Als Fernsehkomödiantin wurde sie mit der Serie Mord mit Aussicht populär. Im Kino war sie 2018 zuletzt in den Komödien Der Vorname und Womit haben wir das verdient? zu sehen. Vor drei Jahren zog Caroline Peters von Berlin nach Wien.

Vom 1. bis 26. August spielt sie in der Jubiläumsaufführung von Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel Jedermann die Buhlschaft. Michael Sturminger inszeniert. Die Titelrolle spielt Tobias Moretti. Auch dabei: Edith Clever, Mavie Hörbiger, Gustav Peter Wöhler, Peter Lohmeyer und viele andere.

Das 1920 vom Berliner Theatermacher und Festivalgründer Max Reinhardt erstmals in Salzburg inszenierte Stück wird auf dem Salzburger Domplatz aufgeführt. Wegen der Hygieneauflagen sind diesmal nur 1180 Besucher erlaubt. 180 besitzen Schönwetterkarten. Wenn bei schlechtem Wetter im Großen Festspielhaus gespielt wird, bekommen sie ihr Geld zurück, da drinnen nur 1000 Plätze bewilligt sind.

Frau Peters, Glückwunsch zur Jahrhundert-Buhlschaft. Sind Sie stolz, den illustren Part zum runden Geburtstag des Salzburger „Jedermann“ zu spielen?
Ich finde das toll. Und im Corona-Jahr kriegt jetzt alles so einen anderen Dreh, weil es so aufregend ist, dass überhaupt etwas stattfindet. Ich habe selbst seit März nicht gespielt, da ist das auch für mich persönlich besonders aufgeladen.

Ist es ein Naturgesetz, als Burg-Schauspielerin irgendwann Buhlschaft zu werden?
Gerechnet habe ich mit der Rolle nicht. Aber mich immer mit ihr beschäftigt. Es war ein lustiger Feriensport von mir, zu gucken, welches Kleid die Buhlschaft dieses Jahr trägt.

Wäre Festspielgründer Max Reinhardt doch bloß in Berlin geblieben mit dem „Jedermann“, dann könnten wir Sie jetzt hier als Buhlschaft sehen.
Das ist doch verrückt, oder? Aber die Uraufführung in Berlin 1907 war ein Flop. Und die Berliner Version im Dom existiert ja auch nicht mehr. Reinhardt war in Berlin sonst sagenhaft erfolgreich als Theatermacher. Mich fasziniert an dem Stück die eigentümliche Verbindung von Berlin und Salzburg. Reinhardt ist von Berlin nach Salzburg gegangen, hat die Festspiele ins Leben gerufen, ist dann wieder zurück nach Berlin und erneut nach Salzburg gezogen.

Und die ganzen Künstler, die hinter ihm hergezogen sind, Emil Jannings, Carl Zuckmayr und wer nicht alles. Dass der „Jedermann“ aber eigentlich in Berlin uraufgeführt worden ist, darin liegt ein Geheimnis, das ich gerne ergründen würde.

Die Buhlschaft gehört zum Kanon bekloppter klassischer Frauenrollen, wie Gretchen und Ophelia. Warum ist sie in Ihrer Zunft trotzdem begehrt?
Das sehe ich ganz anders. Gretchen und Ophelia sind Mädchenrollen. Die Buhlschaft ist eine richtige Frauenrolle. Sie steht nicht für Familie, sondern sie buhlt um den reichen Jedermann, will Geld von ihm haben, einen Lustgarten geschenkt bekommen und Party feiern. Sie ist die klassische Salonlöwin mit freizügigem Leben, wie eine Madame Pompadour am französischen Hof. Das ist deutlich interessanter und entspricht meinem Alter viel mehr.

Die Buhlschaft ist eine Allegorie der Verführerin. Wie interpretieren Sie sie: als sexy Vamp, saftiges Weib oder lacklederne Domina?
Mich auf ein Stereotyp festzulegen, fällt mir generell schwer. Ich fülle die Figur lieber mit meiner Persönlichkeit und meinen Gedanken. Sie hängt sich an den Mann, weil er ihr Spaß und materiellen Gewinn verspricht. Das hat Hugo von Hofmannsthal gut geschrieben, dass sie absolut nicht am Heiraten interessiert ist.

Die klassischen Mädchenfiguren wollen sich durch die Ehe Zugang zur Gesellschaft verschaffen. Jedermann wird durch seine Mutter darauf aufmerksam gemacht, dass es Zeit ist, zu heiraten und ein anständiges Leben zu führen. Das will die Buhle null, die ist ein „Material Girl“. Ein Frauentyp der Fünfziger und Sechziger wie in „Blondinen bevorzugt“ oder „Wie heiratet man einen Millionär“, der sich ohne andere Karrieremöglichkeiten ein gutes Leben sichern will.

Ich erinnere mich an die Stückl-Inszenierung mit Ihren Kollegen Nicholas Ofczarek und Birgit Minichmayr. Allerdings nur an Ofczareks Kraftkerl-Attitüde. Bei Minichmayr will mir nur das rote Seidenkleid einfallen: Wie lange soll das am Theater eigentlich noch so laufen?
Klar, es gibt zu wenig Stücke mit Frauen in der Titelrolle. Besonders im klassischen Repertoire. Da können wir nur als Medea, Lady Macbeth, Klytämnestra, Penthesilia, Maria Stuart und Mutter Courage groß punkten. Aber das ist nicht das einzige, was Frauen am Theater spielen können. Im „Jedermann“ gibt es ja auch die Frauenrollen „Mutter“, „Glaube“ und „Werke“. Das Stück ist insgesamt gleichberechtigt, weil nur Jedermann eine richtige Rolle ist. Alles andere sind Auftritte.

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Das ist nicht diskriminierend, sondern einfach ein Stück über den reichen Mann, der fällt. Jetzt könnte man natürlich auch eins über die fallende reiche Frau schreiben. Dass Frauen am Theater nur durch schöne Kleider auffallen, dagegen verwahre ich mich. Allerdings ist es problematisch, dass der Kanon im Theater sich nach wie vor nicht weiterbildet. Dass nicht dauernd neue Stücke hinzukommen, die wie bei Pollesch und Jelinek Frauen ins Zentrum stellen.

Müssen Sie die 30 Sätze groß proben oder spielen Sie das bisschen Buhlschaft so weg?
Ich hab’s durchgezählt, es sind 55 Zeilen. Die kann ich nicht einfach wegspielen, weil ich ja in die bestehende Inszenierung von Michael Sturminger reinspringe. Mit der muss ich mich vertraut machen.

Das Theater und die Festspiele sind gebeutelt durch Corona. Mit dem „Jedermann“ sind Sie da fein raus. Sie spielen auf dem Domplatz: Unter welchen Bedingungen?
Wir werden jeden zweiten Tag getestet. Das Publikum hält einen Meter Abstand zueinander. Die Bestimmungen in Österreich setzen auf künstlerische Eigenverantwortung. Wir dürfen uns im Arbeitsprozess auch unter einem Meter Abstand nähern. Wir proben ja auch draußen. Das macht einen großen Unterschied.

Tobias Moretti und Caroline Peters in Salzburg.
Tobias Moretti und Caroline Peters in Salzburg.

© SF/Anne Zeuner

Vor der Dom-Kulisse zu spielen ist herausfordernd. Da wirken menschliche Umtriebe gleich viel unbedeutender: Haben Sie Manschetten davor?
Ich freue mich darauf. Ich habe als Schauspielerin einmal in einer Opernproduktion mitgemacht und festgestellt: Es ist entlastend, wenn das Drumherum schon so pompös ist. Da ist ganz viel von der Beeindruckung, die ich sonst beim Theaterspielen herstellen muss, schon da. Architektur, Sonnenuntergang, Windhauch, Musik. Auf so einer starken Atmosphäre kann ich hoffentlich surfen.

Sie sind vor drei Jahren von Berlin nach Wien gezogen. Wie vertraut sind Sie mit Salzburg?
Das finde ich exotisch. Ich war erst einmal im Salzkammergut und bin überhaupt keine Bergreisende. Im Gegensatz zu Leuten, die in der Lederhose aufwachsen. Als Schauspielerin war ich bisher nur dreimal bei den Festspielen, zuletzt mit Theresia Walsers „Die Empörten“.

Am besten Sie rechnen auch mit Schauern. Das Salzkammergut kann feucht sein.
Das ist ja das Spannende am Freiluftspiel, dass man es mit wirklichen Gegebenheiten zu tun bekommt. Die bleiben im Theater sonst außen vor, während man drinnen eine fiktionale Welt erschafft. Das hat der Zampano Reinhardt sich genauso ausgedacht, dass der „Jedermann“ auf die reale Welt treffen muss.

Sie glauben „ein Wispern von 1920 zu hören“, wenn Sie an den „Jedermann“ denken: Wie meinen Sie das?
Diese Rolle zu übernehmen, ist wie ein Staffelholz weiterzutragen. Dadurch bin ich mit der Schauspielerin verbunden, die vor mir die Buhlschaft gespielt hat und die wieder mit der davor. So begegne ich auch der Schauspielerin von 1920. Wie in dem Gedankenmodell, dass alle Menschen auf der Welt um neun Ecken herum miteinander verwandt sind. Das verankert mich so in meinem Beruf, dass das Theater immer schon da war.

Vor 2 000, 500 oder eben auch 100 Jahren. Wir haben im Burgtheater einen Kollegen, der ist 90 und hat 1948 dort angefangen. Der lernte damals einen Kollegen kennen, der über 90 war. Der wiederum hat als Anfänger mit einer alten Schauspielerin gespielt, die das Gretchen in der Uraufführung vom „Faust“ war. Dadurch, dass ich mit dem Kollegen in Berührung gekommen bin, bin ich also mit dem Ur-Gretchen in Verbindung. Wahnsinn.

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Und nun müssen Sie Ihrerseits die Tradition weitergeben und am Burgtheater spielen, bis Sie 90 sind.
Aber Gott sei Dank, ohne Gretchen zu spielen.

Inwiefern ist Hofmannsthals Mysterienspiel in Zeiten der Pandemie aktuell?
Vor dem ersten Salzburger „Jedermann“ 1920 lagen der Erste Weltkrieg, die Spanische Grippe, das Ende der Monarchien. Und da führen die ein Stück auf, das die Frage stellt: Reicht das nackte ökonomische Überleben? Hast du nicht etwas vergessen, Jedermann? Musst du dich nicht auch um deine Seele kümmern? Heute hieße das Stück besser „Jedermensch“. Jeder fragt sich ja: Ist es nur ein wirtschaftliches Desaster, wegen Corona alles runterzuschrauben, muss man wieder die Wirtschaft ankurbeln und konsumieren? Oder ist es notwendig, sich mit seinem Seelenleben zu beschäftigen, mit Dingen, die für Geld nicht zu kaufen sind?

Jedermann bekehrt sich zum Christentum. Welche Erkenntnisse haben Sie in der Coronazeit gewonnen?
Dass wir nachhaltiger leben müssen und den Planeten weniger ausbeuten. Die Stille auf den Straßen und am Himmel war fantastisch. Die Tiere in der Stadt haben gezeigt, wie schnell sich die Natur erholt, wenn wir ihr Pausen lassen. Die Idee des permanenten extremen Wachstums ist nicht gut. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg okay, aber jetzt muss sie durch neue Strategien ersetzt werden.

Wie sähe denn so eine neue Strategie aus?
Nicht eine Firma zu gründen, damit sie nach zehn Jahren fünfmal so groß ist und diverse andere geschluckt hat. Sondern eine, die nach zehn Jahren so klein ist wie vorher, aber feste Arbeitsplätze schafft. Das finde ich nicht utopischer, als sich dem christlichen Glauben zuzuwenden. Ein Wiener Taxifahrer sagte neulich zu mirt, Corona ist wie ein Code, den alle benutzen, um loszuwerden, was ihnen ein Dorn im Auge ist.

Als Schauspielerin hoffe ich, dass subventionierte Kunst kein Dorn im Auge der Gesellschaft, sondern notwendig ist. Wenn man nur rentable Aufführungen macht, kommen Musicals und Broadwaytheater heraus. Da ist Deutschland viel avancierter – weil es Subvenstionen gibt. Diese Kulturschätze kann man nur mit Staatsgeld erhalten.

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