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Reflektion über das Gehen. Bruce Naumans Video „Contrapposto Studies, I through VII“ in Venedig.

© Sabine Glaubitz, dpa, VG Bildkunst Bonn 2021

Bruce Nauman wird 80: Er schärft den Blick für die Zwänge des Lebens

Angst, Beklemmung, Ausweglosigkeit – darum geht es in seinen Werken. Dem Performance- und Videokünstler Bruce Nauman zum 80. Geburtstag.

In Venedig schauten in diesem Sommer viele auf Bruce Naumans „Contrapposto“. Der Körperhaltung mit schräg gestellter Hüfte, die seit der Antike die Bildhauerei prägt. In einer Videoarbeit von 1968 filmte sich Nauman, wie er versucht, im Kontrapost zu laufen. Mit hinter den Armen verschränkten Händen sah er dabei aus wie ein affektierter, ein bisschen aus dem Tritt geratener Hahn.

50 Jahre später hat er diesen skurrilen Gang noch einmal gemacht und das hochauflösende Videomaterial zu einer monumentalen, vielteiligen Installation verarbeitet. Sie ist bis Anfang Januar Teil der großen Ausstellung „Contrapposto Studies“ in der Punta della Dogana. Eigentlich gilt Bruce Nauman als Künstler, der sich nie wiederholt, der bei seinen Körperstudien, Erfahrungsarchitekturen, Neons und Soundarbeiten immer wieder neu ansetzt. Beim Kontrapost hat er eine Ausnahme gemacht.

Der 1941 in Indiana Geborene, vielfache Documenta-Teilnehmer lebt seit Jahrzehnten weitab vom Kunstbetrieb in New Mexico, er äußert sich selten öffentlich. Vermutlich wird er auch zu seinem 80. Geburtstag, den er an diesem Montag feiert, nichts sagen. Etliche Dokumentarfilme über ihn mussten ohne seinen Kommentar auskommen.

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Nauman studierte zunächst Mathematik, schloss 1964 sein Kunststudium ab, wollte wie seine Konzeptkunst-Zeitgenossen Joseph Kosuth und Richard Serra eine neue Art von Kunst erschaffen. Nauman ist durch und durch Minimalist. Eigentlich braucht er auch keine öffentlichen Auftritte. Präsent ist er in seiner Kunst sowieso. Seine hohe Gestalt, mit Jeans und weißem T-Shirt bekleidet, ist oft Bestandteil seiner Filme.

Die Masse Mensch stößt sich am Leben

Mehrere Bildschirme, von oben gefilmt, auf den Kopf gestellt, so verfremdet er seine Körperexperimente im Atelier. Nauman drückt sich den Finger ins Auge, zerrt an seinem Mund, schaukelt sein Skrotum. In „Bouncing the Corner, No. 1“ lässt er seinen Körper immer wieder in eine Zimmerecke fallen und filmt sich dabei von oben. In Zeitlupentempo abgespielt wirkt das roh und gewaltvoll.

Die Masse Mensch stößt sich am Leben. In Gruppenausstellungen ist die Arbeit, die einem am längsten im Gedächtnis bleibt, oft eine von Bruce Nauman. Installationen wie „Tierpyramide“ oder „Karussell“, in denen er mit Tierkörperabgüssen arbeitet, bleiben in ihrer kühlen Härte lange in Erinnerung.

Bruce Nauman 2006 in Düsseldorf.
Bruce Nauman 2006 in Düsseldorf.

© Horst Ossinger/dpa/picture-alliance

Gefühle wie Angst, Beklemmung, Frust, Verwirrung und Ausweglosigkeit sind Gegenstand seiner Arbeit. Es sei ihm am liebsten, wenn seine Kunst die Menschen kalt erwische, wie „ein Schlag ins Genick“, hat Naumann in einem seiner raren Interviews gesagt. Der Künstler schickt den Betrachter in klaustrophobische Korridore, stählerne Labyrinthe, psychotische Zimmer, in denen die eigenen Schritte widerhallen und die Gestalt des Zuschauers oder der Zuschauerin, heimlich gefilmt, auf Videoscreens auftaucht.

Zeit mit sich selbst verbringen

In Naumans Arbeiten darf man im wahrsten Sinne des Wortes Zeit mit sich selbst verbringen. Sehr oft ist das unangenehm. Ein Beispiel für diese Art der Kunst steht in Berlin ziemlich versteckt hinter dem Museum Hamburger Bahnhof, „Double Cage Piece“ besteht aus zwei ineinander verschachtelten Drahtkäfigen.

Berlin war einige Jahre besonders gesegnet mit Nauman-Arbeiten, an die 100 Werke sind Teil der Friedrich Christian Flick Collection, derjenigen Sammlung, die jetzt den Hamburger Bahnhof verlässt. Die erste große Nauman-Ausstellung „Dream Passage“ fand 2010 im Hamburger Bahnhof statt, aus diesem Anlass adaptierte der Künstler seine bedrückende Korridorarbeit „Room with My Soul Left Out, Room That Does Not Care“ für den hinteren Teil der Rieckhallen.

Friedrich Christian Flick schenkte die Installation, bestehend aus vier schwarzen, kreuzförmig angeordneten Gängen, die nur ganz schwach mit einem orangefarbenen Licht ausgeleuchtet sind, dem Hamburger Bahnhof. Und dort kann sie nun auch bleiben. Die Halle ist ja soeben knapp dem Abriss entgangen. Zum Glück.

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