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Ingeborg Bachmann im Jahr 1965.

© imago/Michel Neumeister / Werner Neumeister

Briefe von Ingeborg Bachmann: „Im Einklang stehn mit jedem Ort“

Der Band „Über Grenzen sprechend“ versammelt Ingeborg Bachmanns Korrespondenz mit ihren Dichterkolleginnen Marie Luise Kaschnitz, Hilde Domin und Nelly Sachs.

Von Tobias Schwartz

Im Vergleich zum Briefwechsel mit Max Frisch fällt Ingeborg Bachmanns Korrespondenz mit anderen Kolleginnen und Freunden deutlich schmaler aus. Auf annähernd 600 Seiten erstreckt sich der in weiten Teilen private bis intime und trotz einiger brisanter Inhalte recht ermüdend zu lesende schriftliche Austausch mit dem Schweizer Romancier, mit dem die 1926 in Klagenfurt geborene Lyrikerin und Schriftstellerin über einige Jahre eine offene Beziehung führte.

Bescheidene 200 Seiten umfasst dagegen Bachmanns Briefwechsel mit dem Dichterkollegen Hans Magnus Enzensberger, knappe 150 Seiten der mit Paul Celan, mit dem die Dichterin der „Gestundeten Zeit“ immerhin ebenfalls eine Liebesbeziehung verband, und auch der mit den Freunden Ilse Aichinger und Günter Eich nimmt nicht mehr Raum ein.

Ein jetzt im Rahmen der Salzburger Bachmann-Werkausgabe erschienener Band mit dem klingenden Titel „Über Grenzen sprechend“ versammelt jetzt die Korrespondenz Bachmanns mit drei der berühmtesten deutschsprachigen Dichterinnen der Nachkriegszeit. Die erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Briefe von und an Marie Luise Kaschnitz, Hilde Domin und Nelly Sachs haben insgesamt einen Umfang von nicht einmal 100 Seiten, Nachwort, Stellenkommentar etc. nicht mitgerechnet.

Brühwürfel einer zweiten Moderne

Nun ist es glücklicherweise nicht (oder nicht immer) die Quantität, die den Ausschlag gibt, wenn es um Bedeutung geht, sondern der Inhalt – in Briefen geht es weniger um die Form. Tatsächlich sind diese kleinen Briefwechsel nicht weniger als Brühwürfel einer zweiten Moderne und einer Mentalitätsgeschichte der Nachkriegszeit.

Der Titel des Bandes basiert auf Bachmanns Gedicht „Von einem Land, einem Fluß und den Seen“ aus der Sammlung „Die Anrufung des großen Bären“: „Wir aber wollen über Grenzen sprechen,/ und gehen auch Grenzen noch durch jedes Wort:/ wir werden sie vor Heimweh überschreiten/ und dann im Einklang stehn mit jedem Ort“, heißt es da. Über räumliche und sprachliche Grenzen hinweg kommunizierten auch die Dichterinnen.

Nelly Sachs etwa, die ihr schwedisches Exil nicht mehr verlassen wollte, lernt die Lyrik der Österreicherin zuerst in schwedischer Übersetzung kennen und übersetzt ihre Verse zurück ins Deutsche, bevor sie mit ihr Kontakt aufnimmt (die Adresse bekommt sie von Paul Celan). Die 1891 in Berlin-Schöneberg geborene Literaturnobelpreisträgerin, die vom Alter her ihre Mutter hätte sein können, nennt sie in ihren Briefen „eine Schwester“ und schickt und widmet ihr Gedichte.

Hilde Domin, wie Nelly Sachs jüdischer Abstammung, floh vor den Nazis über Italien und England in die Dominikanische Republik – daher der Künstlername, geboren wurde sie als Hildegard Löwenstein –, kehrte erst 1954 nach Deutschland zurück und pendelte zwischen Spanien und der BRD hin und her.

Sie war an einer Übersetzung von Bachmanns Gedichten ins Spanische beteiligt, ihre Beziehung aber wurde nie richtig eng. Mit der weit vertrauteren Freundin Marie Luise Kaschnitz wiederum teilte Bachmann ihre Italien-Leidenschaft und die Wahlheimat Rom, wo beide über Jahre hinweg einen persönlichen Umgang pflegten.

Gedichte nach Auschwitz?

Sie alle einte eine distanzierte und kritische Haltung gegenüber Deutschland – und im Falle Bachmanns natürlich auch gegenüber Österreich. Sie alle kannten Adornos Diktum (aus dem Aufsatz „Kulturkritik und Gesellschaft“), nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch.

Celans „Die Todesfuge“

Darüber, wie es der Philosoph der Frankfurter Schule meinte – ernst? eine Provokation? –, wurde viel gestritten. Darin, dass der Tod „ein Meister aus Deutschland“ ist, waren sich die Dichterinnen einig und auch darin, dass sich die Nachkriegs- und Post-Auschwitz-Dichtung zu Adornos Verdikt zumindest zu verhalten habe, wie es Enzensberger, ein scharfer Kritiker, forderte, und „der Wiederholung des Unheils“ (Adorno) entgegenzuarbeiten sei.

Wie Paul Celan mit seiner „Todesfuge“ traten auch Bachmann, Sachs, Kaschnitz und Domin mit Zeilen wie „Nacht und Tod bauen ihr Land/ einwärts und auswärts/ nicht für die Sonne/ Stern ist ein versiegeltes Abendwort/ durchrissen/ von der unmenschlichen Auffahrt der Liebe“ (Sachs am 27. Dezember 1961 an Bachmann) gewissermaßen den Gegenbeweis an und widerlegten Adorno. Man könnte aber auch sagen, sie bestätigten ihn gleichzeitig, zumindest wenn man unter „barbarisch“ die Einbeziehung und Reflexion des Barbarischen versteht.

Ihre Lyrik fußt auf den ideellen und materiellen Trümmern, die der zweite Weltkrieg hinterließ – und erweist sich heute wieder als geradezu erschütternd aktuell. Ihre Korrespondenz bietet nicht nur Einblicke in eine genuine und überindividuelle „Nachkriegspoetik“, sondern auch in ihre Leben und Lebensbedingungen, die Stoffe für ganze Romane bieten.

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