zum Hauptinhalt
Groß Friedrichsburg im heutigen Ghana, hier auf einer Zeichnung von 1688, war der Hauptort der Kolonialbestrebungen.

© akg-images

Brandenburgs Kolonialgeschichte: Auch der Große Kurfürst war ein Sklavenhändler

Von 1683 bis 1717 beteiligte sich die Brandenburgisch-Afrikanische Kompanie am Geschäft mit Menschen. Das Unternehmen nahm ein unrühmliches Ende.

Von Andreas Austilat

Lauter war das neue Jahr an diesem Ort noch nie gefeiert worden. Mit 18 Kanonenschüssen, mit Pauken und Trompeten. Dazu wurde eine Flagge aufgezogen, der rote Adler auf weißem Grund, so geschehen am 1. Januar 1683 an einem Strand im heutigen Ghana.

Damals trug der Küstenstreifen in europäischen Kreisen den verlockenden Namen Goldküste. Der Ort, an dem der erst 27-jährige Otto von der Groeben sein Tamtam veranstaltete, er sollte nach seinem Willen fortan Groß Friedrichsburg heißen.

Die Zeremonie, die vor allem dazu gedacht war, die ansässige Bevölkerung zu beeindrucken, denn der Küstenstreifen war keineswegs menschenleer – sie signalisierte zugleich Bedeutendes: Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, auch bekannt als der Große Kurfürst, beanspruchte als erster deutscher Landesherr afrikanisches Territorium.

Otto von der Groeben brachte der Schritt immerhin so viel Ruhm ein, dass sein Name noch 300 Jahre später Stoff für Diskussionen bot. Als es nämlich 2010 um die Umbenennung des Groebenufers in Kreuzberg ging.

Zwar gab es Einwände, die Straße hieße gar nicht nach jenem Otto, sondern nach einem Groeben namens Karl, aber das war angesichts der prokolonialen Stimmung während der Namensgebung 1891 eher unwahrscheinlich und verhinderte nicht, dass sie heute May-Ayim-Ufer heißt, nach einer antirassistischen Aktivistin.

Der Streit um die Mohrenstraße

Ein symbolträchtiger Schritt, denn von der Groeben leitete mit seiner Seefahrt ein koloniales Abenteuer ein, das die bis dato eher bodenständige Mark Brandenburg in eines der schmutzigsten Geschäfte überhaupt verwickelte: den transatlantischen Sklavenhandel. Und auch wenn es lange so schien, als ob nach Jahrhunderten Gras über die Sache wachsen würde, die Diskussionen, das scheint sicher, werden anhalten, solange es eine Mohrenstraße gibt.

[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Gestritten freilich wird auch darüber, warum die Mohrenstraße überhaupt Mohrenstraße heißt. Und ihre Verteidiger zitieren gern Linguisten, die erklären können, dass der Name Historie ist und niemanden herabwürdigt.

Doch das alles ändert nichts daran, dass die Straße ihren Namen nachweislich seit 1707 trägt. Und damit fällt ihre Benennung zumindest in die Jahre jenes kolonialen Abenteuers, das einen genaueren Blick verdient.

Ausgerechnet Brandenburg. Der Landstrich war nicht besonders gesund aus dem Dreißigjährigen Krieg herausgekommen, verfügte über keinerlei maritime Tradition. Sein ambitionierter Kurfürst regierte im internationalen Vergleich ein eher ärmliches Territorium, das überdies auch noch weitläufig verteilt in diverse Einzelteile zerfiel.

Aber das machte den nach damaligen Maßstäben gut gebildeten Kurfürsten empfänglich für Ideen, die seinerzeit für modern erachtet wurden und Geld einbringen konnten.

Die größten Gewinne ließen sich zu dieser Zeit im Überseehandel erzielen und es brauchte nur eines Einflüsterers, der dafür zu werben verstand. Friedrich Wilhelm fand ihn in Gestalt des holländischen Reeders Benjamin Raule, dessen zehn Schiffe zum Rückgrat der noch zu gründenden brandenburgischen Flotte wurden.

Engagement hatte seinen Preis

Zu Friedrich Wilhelms Leidwesen waren die besten Hotspots schon besetzt, die Konkurrenz in Gestalt von Spaniern, Briten, Franzosen und Niederländern übermächtig. Nach Schätzungen gab es in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts rund 25 000 seetüchtige Schiffe in Europa. 14 000 fuhren unter niederländischer Flagge, zwei Dutzend führten das Wappen von Brandenburg am Mast.

Trotzdem fanden die kurfürstlichen Schiffe mehr oder weniger heimlich einen Weg nach Afrika, und das überdies an eine Küste, die nicht eben arm an europäischen Handelsposten war. Dort sicherten sie sich einen etwa 30 Kilometer breiten Streifen und sicherten ihn mit drei befestigten Niederlassungen.

Das Engagement hatte seinen Preis. Jede Flinte, jeder Nagel, ja sogar jeder Ziegelstein musste von Europa herangeschifft werden. Trotzdem gelang der Ausbau von Groß Friedrichsburg zu einer ansehnlichen Festung, deren Mauern noch heute stehen – als Museum und Unterkunft für Backpacker.

Das Unternehmen war kostspielig. Jeder Taler, den es einbringt, kostet mich zwei, soll der Große Kurfürst geklagt haben. Die Konkurrenz drohte überdies permanent mit bewaffneten Übergriffen, vor allem die Niederländer empfanden die Feste als Stachel in ihrem Fleisch, was ihre Kaufleute nicht davon abhielt, sich in Brandenburgs Afrika-Kompanie finanziell zu engagieren und niederländische Seeleute auf brandenburgischen Schiffen anzuheuern.

Nur ein Geschäft versprach damals Margen, die das Engagement lohnen würde: Der Sklavenhandel garantierte drei- gar vierhundert Prozent Gewinn. Moralische Skrupel durfte man seinerzeit nicht erwarten, auch nicht vor einem Kurfürsten, der an anderer Stelle mit einem Toleranzedikt gegenüber verfolgten Protestanten auf sich aufmerksam machte.

Schon früh hatte sich der Kurfürst eine Ladung schwarzer Bediensteter erbeten, Mohren genannt, die zu Repräsentationszwecken damals bei Hofe sehr geschätzt wurden. Wahrscheinlich wurden sie sogar gut behandelt, so wie man ein exotisches Spielzeug behandeln würde.

Verhältnisse unter Deck schockierten selbst Zeitgenossen

Die Brandenburger blieben ein kleines Licht in diesem Geschäft. Von den etwa zwölf Millionen Afrikanern, die von Europäern über die Jahrhunderte nach Nord- und Südamerika verschleppt wurden, gingen rund 17 000 auf das Konto brandenburgischer Schiffe.

Andere Quellen sprechen von 30 000, die Diskrepanz mag sich dadurch erklären, dass bis zu 40 Prozent der menschlichen Ware nicht ans Ziel gelangten. Die Verhältnisse unter Deck schockierten selbst manchen Zeitgenossen.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Es stimmt, dass dieser Handel kaum möglich gewesen wäre ohne lokale Zuträger. Tatsächlich reichte die Macht der Europäer in den frühen Jahren nicht weiter als die Schussweite der Kanonen ihrer Küstenfestungen. Es waren regionale afrikanische Herrscher, die ihnen Sklaven im Austausch gegen billigen Ramsch überließen. Doch auch sie gehörten zu den Verlierern, wie der Historiker Ulrich van der Heyden schreibt, der die Geschichte von Groß Friedrichsburg gründlich erforscht und in einem Standardwerk beschrieben hat.

„Sie wurden reich“, schreibt er über lokale Herrscher, „doch sie wurden vollständig vom Sklavenhandel abhängig.“ Ihr Gewinn floss in die unproduktive Sicherung ihrer Herrschaft, das System aus Fehde und Gegenfehde, das die Anwesenheit der Europäer befördert, wenn nicht begründet hat, zersetzte die afrikanischen Gesellschaften, behinderte über Jahrhunderte ihre Weiterentwicklung.

Am Ende ging die Kompanie Bankrott

Den Brandenburgern brachte dieses schmutzige Geschäft auch kein Glück. Ihr heimischer Markt konnte die Güter, die sie im transatlantischen Handel im Austausch für Sklaven erwarben, weder aufnehmen noch verarbeiten, es fehlte an einer entwickelten Bürgergesellschaft, wie sie Großbritannien und die Niederlande längst hervorgebracht hatten.

Nach dem Tod des Großen Kurfürsten begann unter dessen Nachfolger, der als Friedrich I. Preußens erster König wurde, bereits der Niedergang der kolonialen Ambitionen. Friedrich verstrickte sich in europäische Kriege, für überseeische Abenteuer waren keine Kapazitäten frei.

Und so wartete die schrumpfende Besatzung von Groß Friedrichsburg nach 1701 jahrelang auf Nachschub und Ablösung. Man stelle sich vor, wie sie tagein, tagaus aufs Meer starrten, auf dem sich die sehnlich erwarteten Segel nicht zeigten. Das Ende war unrühmlich. 1711 erklärte die Brandenburgisch-Afrikanische Kompanie ihren Bankrott.

Der neue König Friedrich Wilhelm I., der als Soldatenkönig bekannt wurde, verkaufte Brandenburgs afrikanischen Stützpunkt 1717 an die Niederländer, für 7200 Dukaten und zwölf Mohren, die er sich wie schon seine Vorgänger zu repräsentativen Zwecken wünschte.

Was das alles mit der Mohrenstraße zu tun hat? Vielleicht verdankt sie ihren Namen einer afrikanischen Häuptlingsdelegation, wie zuweilen behauptet wird. Sie bekam hier Quartier, während sie am Hof Friedrich Wilhelms dem Großen Kurfürst ihre Aufwartung machte.

Wie es heißt, reisten sie unbehelligt wieder in ihre Heimat. Immerhin hatte der Kurfürst ein Interesse daran, dass sie daheim von seiner Macht berichten. Vielleicht lebten hier aber auch die Mohren, die sich der Große Kurfürst von seinen Kapitänen gewünscht hatte. So oder so wäre der Name mit dem kolonialen Erbe verbunden.

Aktivisten wollen Mohrenstraße nach ehemaligen Sklaven benennen

Das könnte ein Grund sein, ihn beizubehalten, damit diese schmutzige Geschichte nicht vergessen wird. Ebenso gut könnte man den Vorschlag aufgreifen, sie nach Anton Wilhelm Amo zu benennen, der, 1703 im damaligen Ghana geboren, als Kind verschleppt wurde und auf verschlungenen Wegen an den Braunschweig-Wolfenbütteler Hof gelangte, wo ihm ein humanistisch gesinnter Herzog ein Studium ermöglichte. Teil seiner Promotion wurde eine Arbeit über die Rechtsstellung des Mohren in Europa.

Seine Stellung schützte Amo nicht vor rassistischem Spott. Er kehrte schließlich zurück nach Ghana, wo er 1784 starb.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false