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Frontverlauf. Bei Debalzewe standen sich die ukrainische Armee und die Separatisten gegenüber. Die Aufnahme entstand 2015.

© Florian Bachmeier / Verlag Buchkunst Berlin

Bewegende Bilder aus der Ukraine: Menschen im Schwebezustand

Der Fotograf Florian Bachmaier hat die Ukraine und ihre Menschen 13 Jahre lang begleitet. Seine Aufnahmen zeigen eine gezeichnete Landschaft.

Eine zerschossene Ambulanz steht einsam in der eisigen Winterlandschaft von Debalzewe im Osten der Ukraine. Florian Bachmaier hat das Foto 2015 aufgenommen. Ein Jahr später fotografierte er in Myronikowsky: Vor den überquellenden Mülltonnen eines Wohnviertels liegt eine Leiche, notdürftig mit einem Teppich überdeckt. Die Winterstiefel hat man dem Toten abgezogen. Keiner kannte den Jugendlichen. Fünf Tage lang lag er so da.

Die beiden Aufnahmen des in Bayern lebenden Fotografen dokumentieren die alltägliche Seite des schmutzigen Krieges in der Ukraine. Zu sehen sind sie in der beeindruckenden Online-Fotoausstellung „In Limbo – Ukraine 2013-2021“. Anna Druga und Thomas Gust vom Verlag Buchkunst Berlin haben die Ausstellung kuratiert und mit Unterstützung des Volksbunds online gestellt: unter buchkunst-berlin.de und gedenkportal.volksbund.de (bis 31. März).

Die explosive Lage an der russisch-ukrainischen Grenze hat dem schon lange geplanten Projekt eine hohe Aktualität beschert. Bachmeier, bekannt für Langzeitprojekte in Osteuropa, reiste 2013 in die Ukraine, als die Situation noch ruhig war. 2014 wurde er in Kiew hautnah Zeuge der Proteste und Kämpfe auf dem Maidan und dokumentierte die Ereignisse im Land dann weiter bis 2021.

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In seinen Bildern interessiert er sich vor allem für die Menschen: wie sie den Krieg erleben. Und Bachmeier fotografiert die scheinbar harmlosen Landschaften im kalten Winter. Aber ist die Straße im Nebel bei Tarutyne mit links einem Kreuz und rechts einer leeren Bushaltestelle wirklich nur ein idyllisches Foto von 2014? Oder verbirgt sich dahinter vermintes Gelände? Hier fanden heftige Kämpfe statt.

Vor allem die Fotografien von den Barrikaden des Maidan beeindrucken. Sie erinnern an das, was man im Fernsehen gesehen hat. Aber Bachmeier schaut auch dorthin, wohin sonst niemand guckt. Er zeigt einen jungen Belarussen mit Anzug im Sarg, einer der ersten Toten des Maidan, und ein junges Mädchen auf dem Maidan, dessen Auge verbunden ist.

Keiner lacht auf Bachmeiers Aufnahmen

Bachmeier reist durch das Land, fotografiert Abschiedsszenen von Menschen, die die eroberte Krim verlassen müssen, einen alten Mann, der durch sein zerschossenes Dorf auf der Suche nach Essbarem irrt. Zwei junge hübsche Mädchen, Zwillinge, posieren in ihrer Küche mit ernsten Gesichtern. Sie haben elf Fronteinsätze mit der ukrainischen Armee hinter sich. Fotos von der Vereidigung junger Kosaken zeigen Menschen mit verschlossenen Gesichtern. Niemand lacht auf Bachmeiers Fotos.

Eine Frau schleppt zwei schwere Wasserflaschen, denn Trinkwasser ist in Frontnähe Mangelware. Im Hintergrund erinnert ein Denkmal an die Kämpfe und Opfer des Zweiten Weltkriegs. Die Ukraine hat viel gelitten. Ein junger Mann liegt auf dem Sofa, den Blick zum Himmel gerichtet, eine Granate hat sein Knie zerschmettert.

„In Limbo“: Niemand weiß, wie es weitergeht

All diese Menschen befinden sich „In Limbo“, einem Schwebezustand, niemand weiß, wie es weitergeht. Die Religion mag Trost bieten, Fotos zeigen Priester in prächtigem Ornat und betende Frauen. Aber die Zukunft bleibt ungewiss. Die Aufnahmen vom zugefrorenen Fluss Dnepr, der Grenze zwischen Belarus und der Ukraine, sieht man heute mit anderen Augen. Die weiten, leeren Winterlandschaften lassen unwillkürlich an den russischen Truppenaufmarsch denken.

Aber das konnte der 48-jährige Fotograf damals nicht wissen. Einige wenige Bilder zeigen auch die Seite der Separatisten, als das noch möglich war: Fahnen in einer heiß umkämpften Stellung und ein einfaches Grab mit Stahlhelm mit rotem Stern. Ein kleiner Erdhügel im Grünen, mehr nicht.

[Florian Bachmaier: In Limbo. Hrsg. von Thomas Gust und Ana Druga, mit einem Essay von Kateryna Mishchenko. Verlag Buchkunst Berlin 2021, 180 Seiten, 40 €.]

Das letzte Foto der virtuellen Ausstellung lässt hoffen: Eine Frau in einem Zugabteil schaut verträumt aus dem Fenster, die Sonne scheint. Kommen doch noch bessere Zeiten? Doch klickt man die Bildlegende an, ist zu lesen, dass die Aufnahme aus Slowjansk 2015 entstand und der Zug als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung gestellt wurde. Was aus der Frau wohl geworden ist?

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