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Kultur: Besseresser

Jonathan Safran Foer und Karen Duve im Postbahnhof

Warum ist Jonathan Safran Foer nicht gleich zur Eröffnung der Grünen Woche eingeladen worden? Am Abend zuvor bildet er zusammen mit seiner deutschen Schriftstellerkollegin Karen Duve eine Doppelspitze im Kampf gegen das „Qualfleisch“, bewehrt mit ihren jüngsten Büchern „Tiere essen“ (Foer) und „Anständig essen“ (Duve), begleitet von einer Demonstration vegan lebender Menschen in Kuhkostümen. Die restliche Herde – darunter vermutlich Frutarier wie Carnivore – steht derweil in einer endlosen Schlange um den Berliner Postbahnhof und wartet gespannt auf Einlass.

Es ist kein schöner Anblick! Jung- und Alttiere stehen dicht aneinandergedrängt, treten sich gegenseitig auf die Hufe; auch ein paar herausgeputzte Hühner haben sich hierher verirrt und picken nun nach einander. Dann werden alle in einen langen Korridor geschoben, von einer Stallgehilfin abgestempelt, und bekommen erst nach Durchqueren einer zugigen Vorhalle, in der auf einer Leinwand die geistige Fütterung aus dem Nebenraum übertragen wurde, einen endgültigen Brut- und Futterplatz.

„German dioxin I think it’s called“, beginnt die Rede des jungen New Yorker Schriftstellers an die deutsche Nation. Es ist zwar nicht der offizielle Beginn der „Grünen Messe“, eine Messe ist es gleichwohl. Denn obwohl von allen Seiten darauf hingewiesen wird, dass von Dogmen nichts zu halten sei, wähnt man sich bald in einer Besserungsanstalt für schwer Ernährbare.

Karen Duve bleibt in ihren Ausführungen stets bei sich, gewährt Einblicke in ihr Privatleben und deckt familiäre Verstrickungen mit einem landwirtschaftsministerialen Schwager auf. Am Ende ihres frutarischen Selbstexperiments steht die sympathisch intolerante Erkenntnis: „Kein Fleisch, nie, gar nicht!“ Jonathan Safran Foer hingegen zeigt sich spitzfindig. Er lebe nicht vegetarisch, sondern esse lediglich nahezu null Prozent Fleisch. Bei der Geburt seines Sohnes habe ihm ein Freund geschrieben „all is possible again!“, und das wolle er auch in Sachen Ernährung so verstanden wissen.

Milde aber gibt er zu bedenken, wer seine Freunde ständig zu nachhaltiger Ernährungsweise ermahne, habe bald keine mehr. Wer ihnen jedoch das Richtige voresse, finde bald eifrige Nachahmer. Applaus! Jonathan Safran Foer arbeitet mit rhetorischen Schlingpflanzen, versichert seinen Respekt vor dem „Willen des Einzelnen“ und suggeriert doch, dass dieser unter seinen moralischen Möglichkeiten bleibe, wenn er sich einem so wichtigen Thema durch Wegschauen entziehe. Auch Foer, erfährt man zum Ausgleich, sei gelegentlich zur Sünde aufgelegt: ein Mann, der sich nicht über uns stellt, sondern in unsere Mitte.

Doch dieser kryptomissionarische Schulterschluss verstimmt am Ende nicht wenige im Publikum. Sie fühlen sich nun erst recht bevormundet und schmecken Bitteres auf ihrer Zunge: German dioxin I think it’s called! Katharina Teutsch

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