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Dostojewski, immer wieder gern genommen. Sebastian Hartmanns Fantasie über „Erniedrigte und Beleidigte“.

© Sebastian Hoppe

Berliner Theatertreffen: Staatsschauspiel Dresden: Einmischung ist Bürgerpflicht

Das Staatsschauspiel Dresden ist beim Berliner Theatertreffen gleich mit zwei Inszenierungen vertreten. Ein Treffen mit Intendant Joachim Klement.

Doppeleinladungen zum Theatertreffen sind ziemlich selten. Und wenn dieser Fall tatsächlich mal eintritt, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit die üblichen dramatischen Verdächtigen im Spiel; vom Wiener Burgtheater über die Münchner Kammerspiele bis zur Berliner Volksbühne in ihren Glanzzeiten. Dieses Jahr ist das anders. Mit dem Staatsschauspiel Dresden ist ein Haus doppelt beim Festival vertreten, das definitiv nicht jede Woche im überregionalen Feuilleton auftaucht – und das viele Theatertreffen-Spekulanten sicher gar nicht auf dem Radar hatten. Eine Bühne, an der konzentriert und augenscheinlich höchst erfolgreich Stadttheater gemacht wird; im buchstäblichen Sinne.

Das hatte in der sächsischen Landeshauptstadt schon bis 2016 unter der Intendanz von Wilfried Schulz gut funktioniert, die in die Anfangs- wie die Hochzeit von Pegida fiel: Schulz positionierte sich mit dem Staatsschauspiel offensiv gegen jene „Spaziergänger“, die allmontäglich auf ihrem Weg durch die Innenstadt auch am Theater vorbeimarschieren, machte das Haus zu einem Ort der bürgerlichen Gegenöffentlichkeit. Bei seinem Nachfolger Joachim Klement, der vom Theater Braunschweig kam, läuft es jetzt nahtlos weiter mit dem buchstäblichen Stadttheater.

Zwei außergewöhnliche Arbeiten

Über die Einladungen zum Theatertreffen sei das komplette Haus sehr glücklich, erzählt der Theaterchef, zumal es sich um zwei „außergewöhnliche Arbeiten“ handele. Ulrich Rasche hat Ágota Kristófs Roman „Das große Heft“, in dem sich zwei Kinder mit gezielten Selbstverrohungsübungen gegen den Krieg abhärten, grandios in sein Maschinentheater überführt. Abendfüllend – und das heißt in diesem Fall: 200 Minuten – marschieren minimal zwei, maximal 16 junge Männer auf zwei nebeneinander rotierenden Drehscheiben und pressen, keuchen und schleudern den Romantext kongenial aus sich heraus.

Auch der zweite eingeladene Abend, Sebastian Hartmanns Dostojewski-Adaption „Erniedrigte und Beleidigte“, folgt einer starken ästhetischen Setzung. Hartmann interessiert sich weniger für die Handlungslinien als vielmehr für eine theatrale Verdichtung der Grundmotive der Romanvorlage. Er überträgt die Seins-, Habens- und Liebesproblematik praktisch in die Grundaufgeregtheit eines nervösen Zeitalters, das durchaus unseres sein könnte, und konfrontiert sie mit einer Philosophie über das (Gegenwarts-)Theater aus der Feder des jungen Erfolgsdramatikers Wolfram Lotz.

Überdurchschnittlich hohe Qualität der Inszenierungen

Sowohl Rasche als auch Hartmann gehören zu den meistgebuchten Regisseuren der theatralen Champions League. Die überdurchschnittlich hohe Qualität der Inszenierungen, die sie in Dresden herausgebracht haben, lässt darauf schließen, dass sie dort besonders gute Arbeitsbedingungen vorgefunden haben. Was möglicherweise auch daran liegt, dass Intendant Klement wirklich ein Teamplayer zu sein scheint: Statt sich die Erfolge selbst anzuheften, spricht er mit größter Selbstverständlichkeit von den Leistungen der Dramaturgie, von den „tollen Werkstätten“ oder der „extrem hohen Qualität der Gewerke“.

„Ich glaube“, sagt Klement, „die Häuser tragen immer einen Kern ihrer Geschichte in sich. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier wissen einfach, dass sie einmal an etwas mitgewirkt haben, was die Welt verändert hat.“ Damit spielt er auf die Wendezeit 1989 an, als hier zum Beispiel Christoph Heins DDR-kritische „Ritter der Tafelrunde“ uraufgeführt wurden und die Theaterbelegschaft öffentlich Forderungen für einen demokratischen Umbruch formulierte.

Heute sind die Herausforderungen natürlich anderer Natur. „Auch wenn es darauf dezente Hinweise von den Wahlforschern gibt, sollte man sich nicht damit zufriedengeben, dass die überwiegende Zahl der AfD-Wähler von den Rändern kommt. Ich befürchte, der kommt aus der Mitte“, sagte der Intendant schon vor zwei Jahren bei seinem Dresdner Amtsantritt – und sah sein Haus entsprechend „in der Pflicht“.

In Dresden erfahre man, was nach dem Mauerfall unausgesprochen blieb

Das Dresdner Staatsschauspiel setzt sich immer wieder mit der politischen Situation auseinander. Sei es anhand Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“, den Hausregisseurin Daniela Löffner zu Klements Intendanzstart inszenierte. Oder sei es ganz direkt wie in Volker Löschs Beitrag „Das blaue Wunder“, der ein paar besonders dümmliche Zeitgenossen auf einer Art AfD-Kahn in See stechen und gleichsam deren Wahlprogramm durchexerzieren lässt. Wiewohl „Das blaue Wunder“ von vielen Zuschauern, auch den hauptberuflichen, als eher plakativ beurteilt wurde, scheint dem Intendanten zufolge jenseits der Bühne als Dialogangebot zu funktionieren. Klement erzählt von kontroversen Publikumsdiskussionen.

Was seine ersten beiden Jahre in Dresden betreffe, wolle er „keine Sekunde missen“, sagt der Intendant. Er sei nach wie vor „neugierig“ auf die Stadt; auch wenn er manchmal ein wenig den „Stolz“ vermisse „auf das, was gelungen ist“, und stattdessen häufig mit „der Opferrolle“ konfrontiert werde. „Ich habe noch nie in einer Stadt gearbeitet, wo die Nähe zum Osten so greifbar war; man erfährt hier eine Generation nach dem Mauerfall, was alles unausgesprochen geblieben ist.“ Auch damit setzt sich das Theater auseinander. Demnächst mit der szenischen Lesung „Demokratie von unten“, für die Esther Undisz Zeitzeugen befragte, die den Herbst 1989 in Dresden miterlebt und -geprägt haben.

Ansonsten folgt der Spielplan einem sehr sympathischen Intendanten-Credo: „Ich glaube wirklich nicht, dass man die Welt auf einen Begriff bringen kann, dazu ist sie zu divers.“ Künstlerisch ist das sicher das Beste, was einem veritablen Stadt-Theater passieren kann.

„Erniedrigte und Beleidigte“, 13. und 14. Mai, Volksbühne. „Das große Heft“, 19. und 20. Mai, Festspielhaus.

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