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Christian Thielemann und Berlins Kultursenator Joe Chialo am Mittwoch im Apollosaal der Staatsoper 

© AFP/John Macdougall

Christian Thielemann folgt auf Barenboim: „Vom Weihnachtsoratorium bis zum Happening“

Ab 2024 wird Christian Thielemann Generalmusikdirektor an der Berliner Staatsoper. Bei einer Pressekonferenz verrät der Dirigent erste künstlerische Pläne.

Die Position des Generalmusikdirektors an der Staatsoper Unter den Linden ist die wichtigste Personalie, die der Hauptstadt-Kultursenator im Bereich der klassischen Musik besetzen kann.

Sicher, die Berliner Philharmoniker stehen im internationalen Ansehen noch höher – doch die sind seit ihrer Gründung basisdemokratisch verfasst und bestimmen selbst, wer ihr musikalischer Leiter sein soll. In einem komplizierten Abstimmungsprozess, der durchaus an die Papstwahl erinnert und beim letzten Mal erst im zweiten Durchgang zur Nominierung von Kirill Petrenko führte.

Bei der Staatsoper dagegen entscheidet die Politik, wer den Taktstock führen darf. Ob der jeweilige Amtsinhaber auf dem Gebiet des Musiktheaters nun kompetent ist oder nicht. Joe Chialo kommt aus der Unterhaltungsindustrie, betreibt zwei eigene Labels, hat zuletzt für eine große Plattenfirma Mainstream-Popkünstler betreut und war als ganz junger Mann selbst mal Sänger einer Band. Von den Bedürfnissen und Betriebsabläufen der Oper wusste der CDU-Politiker vor Amtsantritt wenig. 

Der Vertrag läuft fünf Jahre

Und doch musste er als erste wichtige Personalentscheidung seiner Amtszeit ausgerechnet einen Nachfolger für Daniel Barenboim bestimmen. Der 80-jährige Maestro hat – nach unglaublichen 30 Jahren – Anfang Januar aus gesundheitlichen Gründen seinen Posten als Generalmusikdirektor der Staatsoper aufgegeben, obwohl er eigentlich noch fünf Jahre lang weitermachen wollte.

Dieses Wunsches konnte sich Joe Chialos Vorgänger Klaus Lederer damals nicht erwehren, obwohl es viele Stimmen gab, die fanden, dass Barenboim seinem Haus künstlerisch kaum noch Impulse gab, und obwohl das autoritäre Gebaren des Dirigenten scharf in der Kritik stand. Doch Klaus Lederer, der Linkenpolitiker, sah sich in Klassikfragen nicht als kompetent genug an, um dem Jahrhundertkünstler Barenboim klarzumachen, dass es doch viel besser sei, wenn er seinen Vertrag auslaufen lassen würde. Um im Sommer 2022 mit Glanz und Gloria verabschiedet zu werden.

Sanfter Einstieg Unter den Linden

Lederer hätte seinem Nachfolger von der CDU damit viel Kopfzerbrechen ersparen können. Und der Staatskapelle das unangenehme Erlebnis einer unerwarteten, cheflosen Periode. Die offiziell im September 2024 enden wird, wenn Christian Thielemann zum Generalmusikdirektor Unter den Linden wird. Allerdings erst einmal nur punktuell. Weil im internationalen Klassik-Business nun einmal traditionell Jahre im Voraus geplant wird. Chefdirigenten lassen sich darum nicht so schnell ersetzen wie Fußball-Bundestrainer.

„Einzelne, ausgewählte Ereignisse“ werde es unter Thielemanns Leitung geben in der kommenden Spielzeit, hieß es bei der Pressekonferenz, auf der sein Name verkündet wurde. Mit etwas Glück auch eine Opernpremiere. Äußerst kurzfristig war dieser Termin anberaumt worden, am Dienstag um 16.51 Uhr traf die Einladung der Senatskulturverwaltung ein, für die Pressekonferenz, die 19 Stunden später stattfinden würde.

Elisabeth Sobotka, Christian Thielemann und Joe Chialo am Mittwoch im Apollosaal der Staatsoper
Elisabeth Sobotka, Christian Thielemann und Joe Chialo am Mittwoch im Apollosaal der Staatsoper

© AFP/John Macdougall

Im festlichen Ambiente des Apollosaals – korinthische Säulen, glitzernde Kronleuchter, viel Blattgold auf den Rokoko-Ranken der Stuckdecke – sitzen also am Mittwoch zur Mittagszeit Joe Chialo, Christian Thielemann und die designierte Intendantin Elisabeth Sobotka, die ihr Amt ebenfalls 2024 antritt, und strahlen um die Wette. Denn der Kultursenator hat sich seiner heiklen Aufgabe am Ende geschickt entledigt.

Indem er dem Personalvorschlag von Frau Sobotka gefolgt ist. Die wiederum dem Wunsch der Staatskapelle entsprach. Denn die Mehrheit im Orchester ist spätestens seit Thielemanns Dirigat von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ im Oktober 2022 davon überzeugt, dass er „der natürliche Nachfolger“ für Barenboim sei, wie Joe Chialo betont.

Erst 2022 hat er hier debütiert

Und der Langzeit-Maestro verweist in einem Grußwort darauf, dass Thielemann und er sich seit 1978 kennen, als der damals 19-jährige Berliner sein Assistent an der Deutschen Oper war. Erstaunlich, dass es dann doch so lange gedauert hat, bis Thielemann Unter den Linden debütierte. Nämlich erst im 30. Jahr der Regentschaft Barenboims, Ende Juni 2022, als Einspringer für Herbert Blomstedt.

Als einen „magischen Moment“ beschreibt Christian Thielemann am Mittwoch dieses späte Kennenlernen bei einer Bruckner-Sinfonie. Aus dem dann bald unerwartet mehr erwuchs: Krankheitsbedingt bot Barenboim ihm an, zwei Zyklen des neuen „Rings“ zu übernehmen, anschließend dann noch eine Südkorea-Tournee.

„Kairos“ nennt der ehemalige Schüler des altsprachlichen Gymnasiums Steglitz das, eine „gute Gelegenheit“, die er beim Schopfe packte. Ganz ohne Hintergedanken, denn Barenboim war ja noch im Amt. Und aus der nun doch eine Nachfolge erwachsen ist. Für fünf Jahre ist der Vertrag abgeschlossen, Schritt für Schritt will Thielemann die Zahl seiner Auftritte an der Lindenoper erhöhen, bis er hier schließlich „mehr als genug“ präsent ist.  

Kleine Einblicke gewährt er auch schon in seine Programmplanung. Ein Musiktheaterstück des 2012 verstorbenen Hans Werner Henze will er herausbringen, er interessiert sich für die weniger bekannten, kleiner besetzten Opern von Richard Strauss‘ und beschäftigt sich aktuell mit dem Repertoire, das einst an der legendären Kroll-Oper gespielt wurde, jener experimentellen Bühne, die von 1927 bis 1933 vis à vis vom Reichstag für Furore sorgte.

Den Kanon pflegen

Wagner-Werke werden seine Fans von ihm dagegen womöglich nicht so oft zu hören bekommen, wie die sich das wünschen. Weil Thielemann einen Akzent auf Stücke legen möchte, die selten oder lange nicht Unter den Linden zu erleben waren. Im Sinfonischen will er mit der Staatkapelle „den Kanon pflegen“ und zwar vollumfänglich, „vom Weihnachtsoratorium bis zum Happening“.

Geradezu harmonieselig zeigt sich der künftige Generalmusikdirektor am Mittwoch im verbalen Duett mit seiner Intendantin in spe. „Wir sind beide in einem Alter, in dem wir nicht mehr im Kampfmodus sind“, betont Thielemann, und Elisabeth Sobotka fügt mit Blick auf die Programmplanung sibyllinisch hinzu: „Es muss nicht immer nur einer gewinnen. Ich hoffe, dass wir beide unsere Zeichen setzen können.“

In Berlin-Mitte ist die Opernwelt also wieder in Ordnung. Die Doppelspitze der Komischen Oper kann mit ihrer Saisoneröffnungsproduktion im Hangar 1 des Flughafen Tempelhof einen Sensationserfolg feiern, die Sanierung des Stammhauses ist finanziell gesichert. Und bei den Nachbarn Unter den Linden setzt man auf die Entwicklung einer kollegial-konstruktiven Zukunftsvision aus der starken Verwurzelung in der Tradition.

Das Problem hat jetzt – weit drüben im Westen – Aviel Cahn, der designierte Intendant der Deutschen Oper Berlin. Denn was soll aus dem größten Musiktheater der Hauptstadt werden? Donald Runnicles, der dortige Musikchef, wird sein Amt zum Sommer 2026 abgeben. Wen kann Cahn aufbieten, der auf Augenhöhe mit Thielemann rangiert?

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