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Prima Berlin-Kulisse. Der Krieg hatte die Hackeschen Höfe verschont. Später war hier eine Werkstatt für Trabis. In den Neunzigern wurde saniert. Bald kamen Artisten und Touristen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Höfe (8): Die Hackeschen Höfe in Mitte: Schabernack ist abgeschafft

Glücksritter, Wirte und Strohmänner: Die Geschichte der Hackeschen Höfe ist von Pleiten geprägt.

Von David Ensikat

Der Krawattenladen mit dem Riesenbild vom schnöseligen Chef war pleite und wurde im April geschlossen. Im Mai hat ein neuer Krawattenladen aufgemacht, direkt gegenüber im Hof II, anderer Name, derselbe Chef. Das große Bild von ihm neben der Tür ist neu, er sieht jetzt noch schnöselhafter aus, und er trägt Fliege statt Krawatte.

Das passt hierher, das Windig-Schnöselhafte, schwer durchschaubares Geschäftsgebaren, der Wille zur Eleganz, zum schönen Schein: Willkommen in den Hackeschen Höfen, diesem Stück Berlin-Kulisse, in die sich ein Berliner nur in Begleitung eines Besuchs aus Hoppenstedt oder Übersee begibt, um ihm zu zeigen – ja, was eigentlich zu zeigen?

Die schön gefliesten Wände und geschwungenen Fassadenlinien der ersten beiden Höfe. Die hinteren Höfe mit den Brunnen und den Touristen-Nippes-Läden und den Wohnungen darüber, und der Frage, ob da echte Berliner drin wohnen und wenn ja, wie sie die Touristenherden ertragen, deren Herdentiere sich allesamt fragen, wie die Bewohner den Herdenauftrieb eigentlich ertragen. Ah, um zehn am Abend schließen sie die Tore nach hinten, dann ist Trubelpause, und man kann womöglich wohnen.

Was also zeigen die Hackeschen Höfe, die niemals eine Mietskaserne waren, sondern von Anfang an was Besseres (außer in der DDR, wo es das Bessere nicht gab)? Vorausgesetzt, man läuft nicht nur drüber, sondern man liest ein bisschen und spricht mit ein paar Leuten, dann zeigen sie ganz gut, dass in den letzten hundert Jahren recht viel los gewesen ist in Deutschland, und dass die Politik das eine ist und das Geschäft das andere, und dass die Kultur ein Drittes ist, worauf es manchmal auch ein bisschen ankommt, aber nicht zu sehr. Und dass Pleiten sowieso dazugehören.

Den Nazis war überhaupt nicht klar, wem hier was gehörte

Die Erben eines Glasfabrikanten ließen die Gebäude am Hackeschen Markt Anfang des 20. Jahrhunderts errichten. Es war eine Zeit des Booms, Kaufhäuser entstanden, Bodenpreise explodierten. Die Hackesche Mischung: Geschäftsräume vorn, ein paar Festsäle und Gewerbeflächen. Weiter hinten, wo es ruhiger war, die Wohnhäuser mit gehobener Ausstattung, Balkon, Zentralheizung, Parkett. Es zogen inzwischen bessere Leute in die Gegend. Es kamen Krieg und Krise, und die Sache lief nicht mehr. Gewerbetreibende kündigten, der Betreiber der Festsäle auch, die Erben verkauften die Höfe, und 1924 kam Jakob Michael ins Spiel.

Das war ein Mann, der wusste, dass schlechte Zeiten gute sind, wenn man ein bisschen Geld und viel Geduld hat. In Krieg und Krise hatte er es mit Rohstoffen und Geldgeschäften zu märchenhaftem Reichtum gebracht, und jetzt, da sie günstig zu haben war, kaufte er die halbe Berliner Innenstadt und setzte darauf, dass die zwanziger Jahre golden wurden, dass Grundstückspreise und Mieten ständig stiegen.

So ganz hat das nicht geklappt, es gab Ermittlungen gegen ihn wegen eines Bestechungsskandals und die Weltwirtschaftskrise und mit ihr die Pleite etlicher Michaelscher Unternehmungen. Zweimal verließ er Deutschland, 1925 und 1932, jedenfalls bevor die Nazis Juden verfolgten. Die Hackeschen Höfe, seit 1930 unter Zwangsverwaltung, blieben über ausländische Firmen und Strohmänner in seiner Hand. Eine Kaufhausgesellschaft, die ebenfalls ihm gehörte, mietete sich ein. Bei der Zwangsversteigerung 1940 erhielt eben diese Firma, die ein Strohmann führte, den Zuschlag. Den Nazis war überhaupt nicht klar, wem hier was gehörte; von „Arisierung“ konnte im Fall der Hackeschen Höfe eigentlich keine Rede sein.

Es röhrten und husteten die Zweitakter

Von Kultur in den Höfen schon lange nicht mehr. Die Festsäle dienten als Kantine, das große Weinrestaurant hatte schon 1927 dichtgemacht.

Der Krieg verschonte die Gebäude weitgehend, die DDR nicht. Sie machte Volkseigentum daraus und tat, was man mit Volkseigentum zu tun pflegte: vor allem nichts. Die Festsäle dienten als Lager und als Proberaum des DDR-Fernsehens, in die Räume des Restaurants zog eine Trabant-Werkstatt. Die war schuld, dass es hier auch in den stillen DDR-Jahren nicht besonders ruhig war. Es röhrten und husteten die Zweitakter, Lieferautos fuhren hin und her. Die Bewohner zahlten Mieten, die kaum die Betriebskosten deckten. Und waren froh, wenn die Zentralheizung mal funktionierte, denn es handelte sich um das alte, anfällige Dampfsystem.

So dämmerte das Areal der neuen Zeit entgegen, in der es endlich wieder Gewinnaussichten, Glücksritter und Insolvenzen geben würde, die gesunde Hackesche Mischung sozusagen.

Am interessantesten waren natürlich die frühen Neunziger. Es gab zunächst einen Verein, der den Traum des Wendeostens träumte: gemeinschaftliche Verwaltung, billige Mieten und freie Kultur vom Feinsten. Vorneweg das Varieté Chamäleon. Ein Schmuckdesigner aus dem Osten auf der Suche nach dem neuen Glück hatte eine großartige, chaotische und total abgebrannte Artistentruppe aus dem Westen kennengelernt, den Festsaal im Hackeschen Hof I gefunden und Nägel mit Köpfen gemacht. Damals ging so was: Kein Geld, viel Fantasie und etliche Shows, gegen die alles, was sich heute in Berlin Varieté nennt, ein inspirationsloses, stocksteifes Rumgeglitzer ist.

Nur: Was auf der Bühne sympathisch war, funktionierte im Geschäftlichen nicht so gut. Wenn dem Jongleur ein Ball runterfällt und er einen Spaß draus macht, sind alle froh. Wenn dubios gewirtschaftet wird, führt das zu wenig Frohsinn. Das Varieté ulkte erstaunlich lange an der Insolvenz vorbei, bis 2004, dann war es wirklich pleite.

Die Touristen sind hingerissen

Und gründete sich neu, professionell jetzt, und schaffte den Schabernack nicht nur im Geschäftlichen ab, sondern auch auf der Bühne. Astreine Shows machen sie jetzt, sehr muskulös und bestens ausgeleuchtet, keinem Jongleur fällt je ein Ball herunter. Die Touristen aus Hoppenstedt und Übersee sind hingerissen.

Zurück in die wilden Neunziger, als sich nicht nur romantische Artisten und Mietpreisbinder für die Hackeschen Höfe interessierten. Es meldeten sich auch die Erben von Jakob Michael aus den USA und beantragten die Rückübertragung des Grundstücks nebst 120 weiterer, die ihr Vorfahre einst erworben und verloren hatte. Die Prozesse zogen sich noch bis vor Kurzem hin. Bei den Hackeschen Höfen ging die Sache erstaunlich schnell, obwohl die Rechtslage alles andere als klar war. Wie gesagt, eine „Arisierung“ hatte es nicht gegeben, und Grundstücke, die nach 1945 enteignet wurden, werden in aller Regel nicht rückübertragen.

Die Höfe aber doch. Womöglich lag es an der Lobbyarbeit, die die Anwälte der Erben betrieben, ein ehemaliger amerikanischer Außenminister soll sich engagiert haben. Womöglich waren es pragmatische Überlegungen: Dem Land Berlin fehlten die Millionen, um den Wust instandzusetzen. Die Michael-Erben hatten ihre Ansprüche an Roland Ernst verkauft, ein Jakob Michael der neuen Zeit: Er kaufte für fantastisch viel Geld Ostimmobilien in der Erwartung demnächst blühender Landschaften. Er stellte die behutsame, doch schweineteure Sanierung in Aussicht und erklärte sich mit einem Konzept einverstanden, das Mieten sicherte und Kultur und Gewerbe in die Höfe holte.

So also ging 1993 die Immobilie an die Erben, und dann an Roland Ernst. 24 Millionen Mark, sagt er, habe er dafür gezahlt. Für 60 Millionen ließ er das Areal sanieren, 1997 war alles fertig, Roland Ernst stolz wie Bolle und alle Welt einig: ein gelungenes Stück Stadtarchitektur, herzeigbar, dazu noch voll vermietet.

Das Ende der Geschichte auf der Insel des guten Geschmacks

Andere Großvorhaben des Immobilienjongleurs gelangen nicht so gut. Der Osten blühte nicht wie vorgesehen, und Roland Ernst ging pleite. Kaum dass die Hackeschen Höfe glänzten, mussten sie verkauft werden, im Jahr 2000 an eine Gemeinschaft aus Privatleuten und einem Immobilienkonzern und 2004 gleich noch einmal, da auch dieser Konzern ins Schlingern geraten war.

Der letzte Käufer bleibt nun lieber anonym, er hat nur verlauten lassen, er wolle „die kulturelle und künstlerische Aussage und das Konzept der Höfe fortführen und weiter entwickeln.“ Was das heißt? Ganz vorn, auf der wohl prominentesten und größten Fläche wirtschaftet nach wie vor das große Restaurant. Zum Glück, denn lukrativer und inzwischen typischer für die teure Gegend wäre ein weiterer Klamottenladen irgendeiner großen Kette. Dann gibt es das neue Hochglanz-„Chamäleon“ und das Kino obendrüber und all die Läden, die sich Stück für Stück auf die Bedürfnisse der Touristenmassen einstellen. Die Galerien sind inzwischen raus, es gibt noch ein Geschäft, das hochglänzende Fotodrucke verkauft. Das Hackesche Hoftheater hat 2006 aufgegeben.

Die Touristen machen Selfies vor Berlin-Kulisse, nachts kommen nur noch die Mieter mit den Torschlüsseln hinein. Es war einmal die Rede vom „Ende der Geschichte“. Hier könnte man meinen, es zu fühlen. Auf dieser Insel des guten Geschmacks. Und die nächste Pleite wird kommen, dann eine Neugründung, dann wieder eine Pleite. So wie immer.

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