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Tom Mercier (mitte), Quentin Dolmaire und Louise Chevillotte in "Synonymes".

© Guy Ferrandis / SBS Films

Berlinale-Sieger "Synonymes": Leben und Sterben in Paris

Nadav Lapids "Synonymes" hat den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen. Hier noch einmal unsere Filmbesprechung.

Von Andreas Busche

Schäbig. Obszön. Verabscheuenswert. Alt. Böse. Barbarisch. Ekelerregend. Beklagenswert. Diese Worte kommen Yoav in den Sinn, wenn er über Israel spricht. Alles Synonyme für ein, für sein Gefühl von Heimat. „So viel gleichzeitig kann ein Land unmöglich sein“, meint Emile zu ihm, während die beiden von einer Brücke auf die Seine starren.

Yoav wurde es irgendwann zu viel. Der junge Israeli, frisch aus dem Militärdienst entlassen, packt seine letzten Habseligkeiten und lässt sein Land, seine Identität, seine Sprache hinter sich. In Paris kennt er niemanden. Die Wohnung, in der er zunächst unterkommt, findet er leer vor, es ist arschkalt. Als er sich unter der Dusche aufwärmt, werden auch noch seine letzten Klamotten gestohlen. Nackt steht er bibbernd im Hausflur, die erste Nacht in seinem neuen Leben. Paris hat er sich anders vorgestellt.

Der israelische Regisseur Nadav Lapid machte bereits mit „Policeman“ (2011) und „Ich habe ein Gedicht“ (2014), inzwischen für den US-Markt neu verfilmt, auf sich aufmerksam. Mit seinem vierten Spielfilm „Synonymes“ unterstreicht er nach fünfjähriger Pause nachdrücklich, dass das Weltkino in ihm eine neue Stimme gefunden hat. Die Geschichte basiert auf den autobiografischen Erfahrungen Lapids, der nach dem Militärdienst Israel ebenfalls in Richtung Frankreich verließ.

Er wollte seine Wurzeln herausreißen, die israelische Doktrin der Unverwundbarkeit, die ihm die Armee eintrichterte, beschreibt er als überwältigend, einengend. Drei Namen hätten ihn nach Frankreich gelockt: Napoleon Bonaparte, Zinédine Zidane und Jean-Luc Godard. Es gibt wahrlich langweiligere Inspirationsquellen für einen Filmemacher.

Einsamkeit, Aggression, traumatische Erinnerungen

Die muskulöse Poesie des Filigrantechnikers Zidane und die abrupte Energie Godards haben in „Synonymes“ sichtbare Spuren hinterlassen. Der Einfluss Napoleons ging in der Übersetzung vermutlich verloren. Yoav (Tom Mercier) wendet eine radikale Methode an, um seine Herkunft aus sich herauszureißen: Er weigert sich, Hebräisch zu sprechen. Ein französisches Wörterbuch ist sein ständiger Begleiter, er hämmert sich die Vokabeln regelrecht ein, während er durch die Stadt rennt – eingefangen von einer billigen Handkamera, in deren verwackelten Bildern die frenetische Instabilität der Hauptfigur pulsiert. Leben und Sterben in Paris.

Einsamkeit, Aggression, traumatische Erinnerungen, die Sehnsucht nach einem Neuanfang. Widersprüchliche Gefühle fließen durch Yoav, in die Bilder. Und Lapid versucht gar nicht erst, diese zu kanalisieren. Es geht immer ums Fließen und um Sprünge, die Choreografie von impulsiven Bewegungsabläufen.

Ein paar Menschen werden zu so etwas wie Yoavs Begleitern in der neuen Welt: Caroline and Emile (Louise Chevillotte, Quentin Dolmaire) zum Beispiel, ein junges Pärchen, das sich in mondäner Bürgerlichkeit eingerichtet hat. „Langeweile strukturiert mein Leben“, sagt der Möchtegern-Schriftsteller Emile ganz am Anfang ihrer asymmetrischen Freundschaft. Später verkauft ihm Yoav seine Lebensgeschichten als Textmaterial: Leben aus zweiter Hand, sozusagen. Yoav hat mehr Leben hinter sich, als er alleine bewältigen kann.

Ein Kollege in der israelischen Botschaft, wo Yoav kurzzeitig Arbeit findet, hat die Angewohnheit, Passanten auf der Straße oder in der Metro mit seiner jüdischen Herkunft zu konfrontieren: Er will antisemitische Reaktionen provozieren. Die Freundschaft hält nicht lange. Als Yoav das Tor der Botschaft öffnet und Antragssteller hineinströmen lässt („Es gibt keine Grenzen!“ ruft er), ist er seinen neuen Job auch schon wieder los.

Tom Mercier ist eine Entdeckung

Hauptdarsteller Tom Mercier ist eine echte Entdeckung, er füllt die Freiräume, die Lapid ihm zugesteht. Yoav steckt sich vor der Kamera eines Fetischfotografen einen Finger in den Hintern und mischt einen Schickimicki-Nachtclub mit der Eurodisco-Nummer „Pump up the Jam“ auf. Sein lächerlicher, senfgelber Mantel, den Caroline ihm schenkt, leuchtet als Signalfarbe durch „Synonymes“. Darunter trägt er nur Muskelshirts: Merciers athletische Physis, sein hübsches Gesicht besitzen eine unkontrollierbare Anmut.

Aber wie seinen Frieden schließen? Der gallische Hahn ist stark, mutig, und er kräht früh auf dem Mist, lernt Yoav im Integrationskurs. Antworten findet er auch dort keine. Heimat ist eine Bürde, Identität nur ein Stachel im Fleisch. Man kann für diese Verwirrung gar nicht genug Worte finden.

14.2., 9.30 Uhr (HdBF), 15 und 21 Uhr, (Friedrichstadtpalast), 17.2., 22.30 Uhr (International)

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