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13 Meter. Hans Grisebach entwarf für das schmale Grundstück ein hohes Haus mit großen Wohnungen. Heute residiert hier das Auktionshaus Villa Grisebach.

© Kai-Uwe Heinrich

Architekt Hans Grisebach: Berlin, Fasanenstraße 25

Vor 125 Jahren baute sich Hans Grisebach eins der schönsten Wohnhäuser der Stadt. Und wollte partout nicht berühmt werden. Erinnerung an einen Architekten, dessen Bauten noch heute begeistern.

Ein Architekt, der alles dafür tut, nicht berühmt zu werden – so jedenfalls kolportierte es der Maler Max Liebermann –, hat es möglicherweise nicht anders verdient. Wenn der Name Hans Grisebach heute nicht die gleichen wissenden Wohllaute hervorruft wie diejenigen anderer Architekten, dann hat das allerdings lediglich mit Grisebachs betont persönlicher Zurückhaltung zu tun und nichts mit der Qualität seiner Häuser. Die war schon zu seiner Zeit herausragend.

Vor allem die Villa Grisebach kennt in Berlin eigentlich jeder. Sie steht seit 125 Jahren in der Fasanenstraße 25 südlich des Kurfürstendamms und war ab 1892 für zwölf Jahre das Wohnhaus des Architekten. Seit 1986 ist „die Villa“, die gar keine Villa ist, Sitz des von fünf Kunsthändlern gegründeten Auktionshauses Grisebach. Durch die bemerkenswerte Entscheidung, der Institution den Namen des Architekten zu geben, haben sie dafür gesorgt, dass der Name Grisebach in Gebrauch und präsent bleibt – aller Zurückhaltung des Architekten zum Trotz.

Mit der neuen Nutzung ab 1986 erlebte das Haus eine Art Wiedergeburt. Im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, sollte die Teilruine in den 60er Jahren eigentlich mit all ihren Nachbarn beseitigt werden – zugunsten einer autogerechten Untertunnelung zwischen Hardenberg- und Lietzenburger Straße. Proteste verhinderten das. 1980 wurde Grisebachs ehemaliges Wohnhaus unter Denkmalschutz gestellt, wenig später auch das benachbarte Haus Nummer 24 sowie das Literaturhaus Nummer 23. Die Gärten dieser drei Häuser hängen zusammen, obwohl sie nicht zeitgleich und auch von drei verschiedenen Architekten entworfen wurden. Mit der denkmalgerechten Wiederherstellung des Grisebach’schen Hauses ging dann auch die Übernahme seitens des Kunsthandels einher.

Grisebach nutzte Formen der Renaissance

Architektenhäuser sind seit vielen Jahrhunderten überliefert und aus zwei Gründen besonders interessant. Zum einen haben sie häufig experimentellen Charakter, weil ohne das Korrektiv eines Bauherrn leichter neue Formen ausprobiert werden können. Zum anderen können sie der Selbstdarstellung des Architekten dienen – auch wenn dieser wie Grisebach nicht darum bemüht ist. Deutlicher als andere Bauaufgaben können sie seine Haltung zum Ausdruck bringen und jenseits ihrer Zweckerfüllung etwas über die Idee des Wohnens verraten, die sich in dem Haus erfüllen soll. Man kann mit einer programmatischen Aussage rechnen, einem autobiografischen Moment. Das gilt auch für die Villa Grisebach.

Geboren wurde Hans Grisebach 1848 in Göttingen. Sein Vater, der Botaniker August Grisebach, wird auf Wunsch Alexander von Humboldts an die Universität von Berlin berufen, er will aber nicht. Der Sohn studiert in Hannover Architektur bei Conrad Wilhelm Hase und arbeitet danach bei Johannes Otzen – eine architektonische „Sozialisation“ im Geiste backsteinerner neugotischer Kirchen. Anfang der 1880er Jahre geht er nach Berlin und gewinnt fast aus dem Stand einen wichtigen Wettbewerb. Der Bleistifthersteller A. W. Faber will in der sich damals lebhaft entwickelnden Friedrichstraße ein Geschäftshaus bauen. Grisebach setzt sich gegen etablierte Kollegen durch. Das Haus wird 1883 fertiggestellt, in der Fachpresse vielfach publiziert und hoch gelobt. Es begründet Grisebachs Berliner Selbstständigkeit. Roter Klinker bildet den Hintergrund für einen auf die architektonischen Elemente Fenster, Erker, Eingang, Türme und Giebel konzentrierten Schmuck aus hellem Naturstein. Grisebach verwendet Formen der Renaissance, aber freier, mit der kühlen Distanz des Nordens.

Die Grisebach-Villa (rechts) und das Kleine Palais in der Berliner Fasanenstraße. Für 13 Millionen DM sind diese Gebäude restauriert worden. Der Architekt Hans Grisebach baute für seine Familie 1892 die Villa, die im Krieg stark beschädigt wurde.

© dpa

In den kommenden Jahren realisiert der Architekt in Berlin rund ein Dutzend weiterer Geschäftshäuser und noch einmal so viele Wohnhäuser und Villen – außerdem 1901 die Berliner Hochbahnstation am Schlesischen Tor. An anderen Orten entstehen etwa 30 weitere Bauten, darunter auch Gerhart Hauptmanns Trutzburg in Agnetendorf. Sein letztes Werk ist erneut ein Wohnhaus in der Fasanenstraße. Der begeisterte Bauherr beschreibt es selbst als sehr eigenartiges und absolut neuartiges Haus: zwei zweigeschossige Wohnungen übereinander, jeweils wie ein Landhaus angelegt, einschließlich einer sieben Meter fünfzig hohen Halle. Es gehört mit der „Villa“ zu den fünf erhaltenen Berliner Bauten des Architekten. Ein Jahr später, 1904, stirbt Grisebach mit nur 55 Jahren.

Die zwölf Jahre im Wohnhaus und Atelier in der Fasanenstraße 25 gehören zu seiner schaffensreichsten Zeit: Alljährlich stellt er von dort aus im Schnitt drei Bauten fertig. Als Grisebach 1890 das Grundstück erwirbt, ist die Straße südlich des Kurfürstendamms noch kaum bebaut. Aber in Rufweite stehen bereits drei „seiner“ Villen: Wilhelm von Bode wohnt in einer Grisebach-Villa in der Uhlandstraße, Otto von Wilke weiter nördlich ebenfalls in der Fasanenstraße und Hugo Raussendorff am Kurfürstendamm im wohl stattlichsten Wohnhaus des Architekten.

Ein Mann ohne Pose und Attitüde

13 Meter. Hans Grisebach entwarf für das schmale Grundstück ein hohes Haus mit großen Wohnungen. Heute residiert hier das Auktionshaus Villa Grisebach.

© Kai-Uwe Heinrich

Zwei Nachbarn in Richtung Kurfürstendamm hat Hans Grisebach bereits: Mit einer Brandwand angrenzend, steht dreiseitig frei und von der Straße abgerückt seit 1871 ein Wohnhaus, das heute das Käthe-Kollwitz-Museum beherbergt. Daneben wird gerade das ebenfalls dreiseitig freistehende heutige Literaturhaus fertiggestellt. Grisebach verkauft die südliche Hälfte seines Grundstücks 1891 an den Kollegen Wilhelm Martens, der hier Wand an Wand ebenfalls sein eigenes Wohnhaus errichten wird. Das gereihte Einfamilienhaus als Teil einer Blockrandbebauung, wie es Grisebach, Martens und wieder daneben auch Hermann von der Hude realisieren, ist für Berlin neu.

1905 wird in der Charlottenburger Sophienstraße noch einmal eine kurze Reihe von sieben Einfamilienhäusern entstehen, aber dieser Typus ist in Berlin bis heute eine Ausnahme geblieben. Zeitgenössisches Beispiel: die Townhouses neben dem Auswärtigen Amt in Mitte. Dass hier allerdings maximale Individualität angestrebt wurde, als handele es sich um einzeln stehende Villen oder Einfamilienhäuser, offenbart einen fundamentalen Unterschied. Das gereihte Einfamilienhaus in der Stadt ist Teil eines größeren urbanen Ganzen, es sollte die Souveränität haben, sich zurückzunehmen.

Die Schwelle zwischen privat und öffentlich

Grisebach konnte das. Auf seinem nach der Halbierung noch gut 13 Meter breiten Grundstück entwarf er ein hohes, schmales Haus mit einer großzügigen Wohnung auf zwei Ebenen und dem Sockelgeschoss für Wirtschaftszwecke. Im zweiten Obergeschoss ordnete er eine separat durch einen straßenseitigen Treppenturm erschlossene Wohnung für seinen alleinstehenden Bruder Eduard an, darüber sein eigenes Atelier mit Zeichensaal und Oberlicht. Im Treppenturm gingen also vor allem die Brüder auf und ab sowie die Mitarbeiter des Büros. Für die Familie mit anfangs drei, dann vier Kindern gab es eine villentypische innere Erschließung in der zweigeschossigen Halle mit Holztreppe und Galerie. Das Personal nutzte im kurzen Seitenflügel seine eigene Treppe.

Im Grundriss hat das Haus zwei leicht gegeneinander verschobene Raumachsen. So entsteht an der Straße eine eingerückte Eingangssituation mit Treppe und überdachtem Podest – zurückgezogen, aber nicht privat, öffentlich, aber schon nicht mehr Teil der Straße. Schöner kann man diese heikle Schwelle mit architektonischen Mitteln kaum ausbilden. Beim Nachbarhaus von Wilhelm Martens lässt sich erkennen, wie einfach man es sich auch machen kann: mit einer schlichten Tür auf der Baulinie.

Bei Grisebach hingegen gelangt man vom überdachten Podest in ein Vestibül und in den Hauptraum des „Hauses im Haus“: die zweigeschossige Halle mit Kamin und eigenartig verschlungener Treppe, die wie ein hölzernes Objekt die Ecke besetzt. Geradeaus geht es ins Speisezimmer, parallel dazu sind die Zimmer des Hausherrn und seiner Gattin angeordnet. Im Obergeschoss befinden sich die Schlafzimmer. Das der Tochter im Achteckzimmer hat einen Austritt zum Garten, den sie sich mit den Eltern teilt. Die Söhne bewohnen eine Loge zur Straße, zu der sie über eine schmale Galerie gelangen.

Über Stilfragen muss man bei Grisebach nicht diskutieren

Das schmale hohe Haus hat zwei Fensterachsen und dazwischen den schmalen Treppenturm, der nicht mittig platziert ist. Die breitere Achse mit großem Rundbogenfenster für das Herrenzimmer setzt sich in Zwillingsfenstern fort und schließt mit einem geschwungenen Giebel ab, die schmalere wird teilweise vom Turm verdeckt. Hier bildet das überdachte Eingangspodest ein die Asymmetrie ausgleichendes Gegengewicht zum verzierten, in den Himmel ragenden Giebel.

Die Wandflächen sind oberhalb des gemauerten Sockels hell verputzt, sie wirken glatt und straff. Nur im Brüstungsbereich einiger Fenster gibt es plastischen Schmuck, und die fein ornamentierten Fenstergitter sind erst aus nächster Nähe zu entdecken. So wird das Hochaufragende des Hauses nicht etwa durch die Fassadengestaltung gedrosselt, sondern durch den Giebel und den Turm noch gesteigert. Die in Berlin übliche Trauflinie bleibt buchstäblich im Hintergrund.

Max Liebermann zeichnet Grisebach 1893 als einen souverän blickenden Mann ohne Pose und Attitüde – und vertraut ihm kurz darauf den Umbau seines Hauses am Pariser Platz an. Heute stehen von den rund 60 Häusern, die Hans Grisebach gebaut hat, nur noch etwa zwei Dutzend. Wahrscheinlich würde der distinguierte Architekt das gelassen hinnehmen. Er hat Häuser entworfen, in denen auch nach 125 Jahren immer noch hervorragend gewohnt und gearbeitet werden kann. Dem Leben zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit – jener Öffentlichkeit einer inzwischen vollkommen veränderten Gesellschaft – geben sie Raum und Form. Über „Stilfragen“ muss man bei ihnen nicht diskutieren.

Die Autorin schreibt derzeit eine Monografie zum Gesamtwerk von Hans Grisebach, die im Herbst 2018 im Deutschen Kunstverlag erscheinen soll.

Claudia Kromrei

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