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Anja Kampe als Sieglinde in der "Walküre"

© Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele 2018: Weiß ist eine kühle Farbe

Premierenwoche bei den Bayreuther Festspielen: Placido Domingo enttäuscht als Dirigent in der „Walküre“, Günther Groissböck begeistert im „Parsifal“.

Wer sagt, dass man im Alter nicht noch Ziele haben kann? Placido Domingo, 77, steht auf der Bühne wie eh und je, erst im Juni war er an der Berliner Lindenoper in Verdis „Macbeth“ zu erleben. Mit dem Dirigieren hat sich der zähe Spanier zudem ein völlig neues Ausdrucksfeld erschlossen. Zwei Herzenswünsche habe er noch, hat er gesagt: In Bayreuth im Graben stehen und das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker zu leiten. Ob es mit Letzterem etwas wird, wissen wir nicht. Ersteres hat sich Domingo jetzt erfüllt und die „Walküre“ auf dem Grünen Hügel dirigiert.

Das stürmische Vorspiel nimmt er extrem zügig, um dann aber schnell zu einem gemäßigten Tempo zu finden, die Phrasen breit auszukosten und zu -pinseln, hingebungsvoll, emotional, trotzdem schlank, ohne überzogenes Pathos. Je länger der Abend dauert, desto mehr verfestigt sich allerdings ein anderer, fataler Eindruck: Dass es Domingo an wirklicher Gestaltungskraft, an einer konkreten Idee der Partitur mangelt, dass er zu vieles treiben lässt und ohne dieses fantastische, sehr selbstständig agierende Orchester und die phänomenalen Sängerinnen und Sänger ziemlich aufgeschmissen wäre.

Domingo erntet viele Buhrufe

Ein ordentliches Dirigat, nicht mehr – das ist für Bayreuth zu wenig. So erntet Domingo, als er nach getaner Arbeit der Gluthölle des gedeckelten Grabens entstiegen ist, ein zwiespältiges Applausgemisch aus Bravos und aggressiven Buhrufen, mit deutlichem Punktsieg für die Letzteren.

Der Tenor-Bariton am Dirigierpult ist nicht das einzige Ungewöhnliche an dieser „Walküre“. Erstmals überhaupt in der Geschichte der Festspiele wird der „Ring“ zerbrochen und ein einzelnes Glied, völlig losgelöst von den anderen, aufgeführt. Weil die „Walküre“ wie in einem Brennglas die ganzen Konflikte des Rings, die Menschwerdung Brünnhildes, das langsame Entschwinden des Gottes, in sich vereine, heißt es im Programmheft. Wohl auch wegen der Hits, die der Grund sind, dass von allen „Ring“-Opern diese am meisten geliebt wird.

Eine verständliche Wahl, und eine unglückliche zugleich. Weil die „Walküre“ über weite Strecken eben auch eine herausfordernde Konversationsoper ist, bei der selbst Frank Castorf in seiner Regie von 2013 die Waffen streckte. Ausgerechnet hier legte der Berliner Ex-Volksbühnenchef am wenigsten Hand an, ließ seine Protagonisten in Aleksandar Denic’ Bühnenbild – einem Ölturm im aserbaidschanischen Baku – weitgehend lustlos herumirren.

Die Regieidee von Frank Castorf überzeugt weiterhin

Assistent Patric Seibert hat die Wiederaufnahme geleitet, während Castorf selbst gerade in Salzburg inszeniert. Seibert hat übrigens auch irrlichternde Auftritte in allen vier Inszenierungen, liegt mal tot auf der Bühne, hockt mal im Fasanenkäfig. Was man aber nicht versteht, wenn man nur diese „Walküre“ sieht.

Und doch: Die überzeugende Grundidee – Erdöl ist das Rheingold des 20. und 21. Jahrhunderts und bringt ebenso viel Verderben über die Menschen – bleibt ja. Nach wie vor erhellend auch, sich der Geschichte des Erdölbooms nicht aus westlicher, sondern aus sowjetischer Perspektive zu nähern. Die von Castorf sonst immer wieder mit großen Gewinn eingesetzte Videotechnik wirkt hier allerdings lange nicht so eindrucksvoll, die Bilder sind verschwommen und durch Schwarz- Weiß zusätzlich ins Historische entrückt. Trotzdem öffnen sie Ebenen und Räume, zeigen Hunding (Tobias Kehrer), der nach dem Genuss von Sieglindes Trank auf der Hinterbühne entschlummert. Und das völlig verstörte Gesicht von Catherine Foster in intimer Nahaufnahme, als Wotan ihr ihr Schicksal verkündet: Sie wird den göttlichen Status verlieren, immerhin durch einen Kuss.

Als wackere, reife, durch sechsjährige Bayreuth-Erfahrung gestählte Brünnhilde überzeugt Foster im existenziellen Kampf mit Gottvater Wotan, der im Laufe der Inszenierung seinen archaischen Rauschebart verliert und danach nur noch strenger und gebieterischer wirkt. John Lundgren singt ihn mit ehrfurchtgebietendem Bariton. Sie alle überstrahlt ein erstaunlich agiler Stephen Gould, den mit fassungslos machendem, ebenmäßigen, nie an Druck nachlassenden und dabei alles andere als einförmig wirkenden Tenor, der den Siegmund singt.

Die Herren legen bei 37 Grad Außentemperatur die Jacketts ab

Das Thermometer erreicht draußen 37 Grad, die Herren beneiden die Damen um ihre Möglichkeit zur Sandale, lassen wenigstens das Jackett gleich im Auto. Eine Wand aus weißen Hemden tut sich im Festspielhaus auf, der Klimawandel führt auch zu einem Farbwandel.

Andere Töne dringen auch aus dem Graben einen Tag später bei „Parsifal“. Nicht mehr Hartmut Haenchen steht da, bei der Premiere 2016 überhastet eingesprungen für Andris Nelsons, sondern Semyon Bychkov – und sorgt für eine zartes, karfreitagszauberhaftes, sehr transparentes Klangbild. Auf dessen Basis sich Günther Groissböcks spektakulärer Gurnemanz-Bass entfalten kann: archaisch, gewaltig resonierend, dringt er in die hintersten Ecken, man glaubt kaum, welche Stimmkraft diesem relativ schmächtigen Körper entströmt. Andreas Schager darf als Parsifal seinen recht ansehnlichen Brustbereich im Bad mit den Blumenmädchen präsentieren; gesanglich erzielt er an exponierten Stellen („Amfortas! Die Wunde!“) eine Ausdruckskraft, die durch Mark und Bein geht.

Elena Pankratova als Kundry und Andreas Schager als Parsifal.
Elena Pankratova als Kundry und Andreas Schager als Parsifal.

© Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Der geschundene Gralsritter Amfortas selbst allerdings kann in all seinem Schmerz nicht berühren, zu offensichtlich müht sich Thomas J. Mayer ab, Mitleid zu erregen – was ihm ja bekanntlich schon bei Parsifal nicht gelingt, noch weniger beim Hörer. Dafür kann Derek Walton als Klingsor mit virilem, sehr textverständlichem Bass für sich einnehmen.

Völlig neue Bedeutungsebenen gewinnt Elena Pankratova ihrer Kundry ab: Keine geschundene, strähnige, verschwitzte Kreatur kauert da am Erdboden, sondern eine aufrechte, propere, von den Erfahrungen der Jahrhunderte gereifte und in Dauerschwarz gekleidete Frau, die allerdings etwas immobil wirkt. Größte Wirkung erzielt sie mit ihrem wirklich sehr rötlichen, in ungeahnte Tiefen herabsteigendem Sopran, der auch zu bleckender Hässlichkeit in der Lage ist, wenn sie erzählt, wie sie Christus am Kreuz verlachte.

Laufenberg entfacht Bühnenzauber ohne überzeugen zu können

Ja, die Kreuze: Uwe Eric Laufenberg zeigt ihrer viele auf in dieser Inszenierung, die in einer bedrohten christlichen Gemeinschaft im Nahen Osten angesiedelt ist. Dabei wirkt das Konzept nicht immer schlüssig: Klingsor erscheint erst als Vorsteher einer Moschee, kniet auch auf einem islamischen Gebetsteppich, später aber kasteit er sich selbst vor einer Wand aus Kreuzen. Die dann wiederum krachend zu Boden stürzen, obwohl Parsifal kurz zuvor aus den Bruchstücken des Heiligen Speers ein Kreuz geformt hat, das christliche Symbol damit bekräftigend. Die gängige „Parsifal“-Interpretation lautet: Wagner will das Ende der Religion verkünden, sie durch das Zeitalter der Kunst ersetzen. Eine Stoßrichtung, der Laufenberg grob folgt. Dazu fährt er, im Vergleich zu Castorf in der „Walküre“, einen deutlich größeren Bühnenzauber auf – ohne damit aber mehr zu erreichen.

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