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Trio infernale. Szenen aus "Aesthics of Color - Ein Kammerspiel" am Ballhaus Naunynstraße.

© Wagner Carvalho/Ballhaus Naunynstraße

Ballhaus Naunynstraße: Die Markierung des Menschen

"Aesthetics of Color - Ein Kammerspiel" im Ballhaus Naunynstraße reflektiert Rassismus. Und zwar den im Kunst- und Kulturbetrieb.

Dieses Wandgemälde ist einfach der Hammer. „Die Anspielungen an den Kubismus sind unverkennbar“, doziert die Journalistin Claire, „ich denke, es ist ein Penis oder ein Herz. Es könnte aber auch die Nachbildung einer Niere sein, nein, ich meine, eine Leber. Eine Leber, die hängt“. Jedenfalls: ein sehr organisches Werk.

Es stammt von Samo. Samo ist der angesagteste Street Artist der Gegenwart, ein neuer Banksy – und genau wie dieser ein Geist. Niemand hat je ein Foto von ihm gesehen, auch seine Arbeiten verschwinden nach kurzer Zeit wieder aus dem Stadtbild. Was den novitätengeilen Kunstmarkt natürlich heiß laufen lässt. Alle jagen Samo.

Claire, gespielt von Anja Pahl, ist ihm ebenfalls auf der Spur. Und sie hat eine relativ präzise Vorstellung davon, wie das unsichtbare Genie aussehen muss: „Mitteleuropäisch. Deutsch, vielleicht britisch. Mittelgroß.“ Ach ja, und sportlich natürlich, „er bemalt ja ganze Häuserfassaden“. Jedenfalls entspricht ihr Phantombild nicht dem des Mannes, dem sie sich unversehens in einem düsteren leeren Haus gegenübersieht.

In einem kakerlakenverseuchten Abbruchviertel, in das es sie auf ihrer Suche verschlagen hat. Dieser Typ kann nur ein Gangmitglied sein. Dealer mutmaßlich, einer jedenfalls, der nicht mit Kunst beschäftigt ist, sondern „wohl eher damit zu überleben“. Schließlich ist er schwarz.

In „Aesthetics of Color – Ein Kammerspiel“ von Toks Körner, der im Ballhaus Naunynstraße auch selbst die Uraufführung inszeniert, geht es um den Rassismus eines Kunst- und Kulturbetriebs, der schwarze Menschen zwar zulässt (beziehungsweise: vereinnahmt), aber nicht ohne farbliche Markierung. Der das Werk eines Künstlers zu dem eines schwarzen Künstlers macht.

Der Text ist nicht dokumentarisch, sondern parabelhaft geraten

Körner, dessen Debütdrama „Walking Large“ ebenfalls am Ballhaus zur Premiere kam, hat dafür Interviews mit Protagonisten der Berliner Kulturszene geführt, hat Erfahrungen gesammelt und sie zu einem eindringlichen Stück über Projektionen und Zuschreibungen verdichtet.

„Aesthetics of Color“ ist kein dokumentarischer Text geworden, eher ein parabelhafter. Der von Jean-Philippe Adabra mit begründetem Missrauen gegen die Welt ausgestattete Samo ist ein Wahrhaftigkeitsgläubiger, der nur durch seine Arbeit kommunizieren will. Das Schattendasein wählt er, weil er um die Farbfilter und Schablonen des Kunstmarktes weiß. Gefeit vor den Verlockungen des Rampenlichts ist er trotzdem nicht.

[Ballhaus Naunynstraße, wieder am 21. und 23.9., 20 Uhr]

Auf einem karg beleuchteten Viereck aus Erde (Bühne: Marian Nketiah) nimmt sein zerrissenes Innenleben dabei Gestalt an: die Tänzerin Fernanda Santana performt in präzisen Choreografien ein wogendes Spektrum zwischen Ohnmacht und Sehnsucht nach Sichtbarkeit.

Ein Geschäftsmann verführt Samo zum Seelenverkauf

Körner, Schauspieler, Drehbuchautor („Borga“) und hier Regiedebütant, schickt seinen Helden geradewegs in die Hölle des Hypes. Der windige Geschäftsmann Von Hagen (schön mephistophelisch: Johannes Suhm) verführt Samo zum Seelenverkauf. Holt ihn aus seinem Outside-Atelier im gefährlichen Hafenviertel und setzt ihn ein Loft, das zur Legebatterie für Dauerproduktion wird, denn die solvente Kundschaft steht Schlange.

Auch Journalistin Claire („Ich bin eine von den Guten!“) sichert ihrer Zeitschrift „Kunst und Kapital“ Auflage. Mit einem Interview, in dem sie unter anderem fragt, ob Samo seinen Schutzraum wohl auch bräuchte, „wenn er ein weißer Künstler wäre?“ „Ernsthaft?“, fragt der nur zurück.

Körner verknüpft seine Rassismusreflexionen immer wieder mit abründig-ironischen Verweisen. Sein weißer Teufel Von Hagen etwa ist in Simbabwe geboren – „Gottes Fügung, dass wir uns getroffen haben. Zwei Afrikaner!“ – und will den Street Artist zur Kunst im Stile seiner Vorfahren bewegen, die Shona waren. Kulturelle Aneignungen sind schließlich ein Lieblingssport des Betriebs. Wovon Samo in seinem Schlussmonolog träumt, das scheint jedenfalls weit entfernt: von einem Licht, „in dem wir nicht nur den anderen sehen“.

 

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