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Vorbild Edvard Munch. Im Auftrag der Pariser Pinacothèque schuf Baykam einen Zyklus über die Gemälde des norwegischen Expressionisten Edvard Munch. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Ausstellung von Bedri Baykam: Das kranke Kind

Unbedingt politisch: Die Bilder des türkischen Künstlers Bedri Baykam in der Galerie Artist.

Bedri Baykam hätten die Kuratoren der Berlin Biennale 2012 nicht provozieren können. Künstler, die sich für die Biennale bewarben, hatten sie aufgefordert, auch ihre politische Gesinnung zu nennen. Das kam als Affront an. Für Bedri Baykam dagegen ist das Bekenntnis zur Weltanschauung eine Selbstverständlichkeit. Auf seinen Internetseiten hat der 1957 geborene, international erfolgreiche Künstler seine politische Biografie aufgeschrieben: vom Einfluss des Vaters, eines führenden Politikers der republikanischen Volkspartei CHP, bis zu den eigenen Versuchen, die türkischen Sozialdemokraten gegen die Regierungspartei AKP zu einen. Er verwahrt sich auf seinen Seiten gegen Neoliberalismus und einen eigenen kurdischen Staat, er plädiert für Menschenrechte und für „alle kulturellen Rechte für alle ethnischen Gruppen, eingeschlossen der Kurden“. Baykam, seit 1995 Mitglied der CHP, ist ein Anhänger Atatürks, ein Kemalist, ein Laizist. Als Hardliner gilt er nicht.

Mit Aktionen, Artikeln und Petitionen streitet Baykam für inhaftierte Intellektuelle, und er erinnert an ermordete Journalisten, darunter den armenischen Autor Hrant Dink. „Bedri Baykam ist immer auf die Straße gegangen“, sagt Johannes Odenthal, der ihn 2009 zu der Ausstellung „Istanbul Next Wave“ an der Akademie der Künste in Berlin einlud. Vergangenes Jahr beteiligte sich Baykam an dem Protest gegen den Abriss von Mehmet Aksoys Denkmal in Kars, das eine Versöhnung zwischen Türken und Armeniern anmahnte. Dabei wurden Baykam und seine Assistentin Tugba Kurtulmus von einem Attentäter schwer verletzt.

Von den Messerstichen habe er sich erholen können, sagt Baykam Anfang September in Berlin. Hier präsentiert der Künstler jetzt eine große Einzelausstellung mit neuen Arbeiten: eine Serie über Leben und Werk von Edvard Munch. Auch sie lässt sich politisch lesen.

Die Galerie Artist zeigt 13 multimediale figurativ-expressive Bilder, die Baykam 2010 für die Pariser Pinacothèque schuf. Da war er eingeladen, den norwegischen Expressionisten als einen Maler zu würdigen, der mehr als nur „Der Schrei“ schuf. Baykam reiste nach Oslo und zu Munchs Fischerhaus in Asgardstrand, er las und forschte. Die zehn großen und drei kleineren Bilder, die entstanden, interpretieren Munchs Werk vor allem biografisch. In Berlin steht jenes Gemälde im Zentrum, mit dem Munch 1892 im Verein Berliner Künstler einen Skandal auslöste: „Das kranke Kind“, eine auf schlichte Formen reduzierte Ansicht zweier Frauen, die sich über ein totenbleich leuchtendes Kind beugen – das Schlüsselwerk. In den frühen Toden von Munchs Mutter und Schwester sieht auch Baykam die Ursache für dessen labiles Leben. Die Bilder fertigte Baykam in seiner „4-D-Technik“, einer Schichtung von leuchtender Malerei, digitalen Fotos und transparenten Materialien wie Chiffon und Plastik, die eine verwirrende Bildtiefe simuliert.

„Hommage an Edvard Munch“, so der Titel, ist eine collagierte Erzählung. Damit bleibt Baykam seiner Methode treu, die abendländische Kunstgeschichte auseinanderzunehmen, um sie aus seiner, gleichsam morgenländischen Sicht neu zu schreiben, in Fotomalerei, Aktion, Installationen, Graffiti. Bereits 1984 hatte er in San Francisco mit einem Manifest gegen den westlichen Fokus der jüngeren Kunstgeschichte protestiert, 1994 erschien sein Buch „Monkey’s Right to Paint“, die theoretische Unterfütterung.

„Bedri Baykam gehört zu den Schlüsselfiguren der 1980er Jahre und wurde zum intellektuellen Wegbereiter einer emanzipierten türkischen Kunstszene“, schreibt Odenthal im Katalog zu „Istanbul Next Wave“. An der Akademie-Ausstellung 2009 wollten nicht alle eingeladenen Künstler teilnehmen, auch wegen politischer Differenzen mit Bedri Baykam. Darauf angesprochen, sagt Baykam entschieden: Er fühle sich missverstanden von Menschen, denen das Fernsehen der Zweiten Republik das Gehirn gewaschen habe. Aus seinen Unterlagen nimmt er einen Artikel über inhaftierte und ermordete Journalisten, den er 2012 in seiner Funktion als Präsident der Türkischen Gesellschaft für Bildende Künste schrieb, im Anhang eine lange Liste aktuell verurteilter oder verhafteter Publizisten.

Die Situation von Oppositionellen, heißt es bei amnesty international, hat sich verschärft. Hintergrund sind der Krieg in Syrien, die neuen Kämpfe der PKK und die Ergenekon-Prozesse. „Die Kluft zwischen sogenannten Kemalisten und sogenannten Islamisten wächst“, sagt der Istanbuler Soziologe Ayhan Kaya. Von einer Randerscheinung habe sich der Islamismus zur hegemonialen, repressiven Strömung entwickelt, nichtislamische Bevölkerungsgruppen fühlten sich bedroht.

In der westlichen Kunstwelt jedoch dominierte zuletzt das Bild von einer liberalen Türkei, geprägt von der Istanbul-Biennale sowie jüngeren Künstlern vom Bosporus und aus dem kurdischen Osten mit ihren offenen Ansichten von einer diversen Gesellschaft in der Türkei. „Sie sind sensibel für das Land und seine Probleme“, sagt Baykam über seine jüngeren Kollegen. Aber ihre Philosophie gehe ihm nicht tief genug: Sie hätten ihre Rede- und Meinungsfreiheit, die sie Atatürk verdanken würden, noch nicht verteidigen müssen. Die Risse, die die türkische Gesellschaft teilen, sie trennen auch die Künstler.

Galerie Artist, Fasanenstr. 68; bis 6. Oktober, Mo–Fr 10–17 Uhr, Sa nach tel. Vereinbarung

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